CHIO: Geburtstagsgeschenk mit Babykandare von Emilio für Isabell Werth plus deutscher Nationenpreissieg

Von
onl_lambertz

Dem deutschen Team, das den Nationenpreis gewann gratulierte u.a., Natassja Kinski beim CHIO Aachen 2018 (© CHIO Aachen/ Michael Strauch)

Isabell Werths Emilio zeigte sich im Grand Prix Special tugendhaft, Verdades von der US-Amerikanerin Laura Graves hingegen eher jugendlich ungestüm. 2,5 Punkte trennten Helen Langehanenberg von der Siegerin Werth. Die USA wurden im Nationenpreis Zweite hinter den Deutschen. Hinter den Kulissen wird diskutiert, wie die Dressurmannschaft besetzt sein wird, die in knapp vier Wochen nach Tryon zu den Weltmeisterschaften in den USA fliegt.

Isabell Werth und Emilio mussten als erste ran im Grand Prix Special, der zweiten Wertungsprüfung um den Dressur-Nationenpreis. Nicht als „Team-Anker“, sprich Schlussreiterin, was ja sonst häufiger der Fall ist. Schon gestern nach dem Training von Emilio strahlte die Olympiasiegerin Optimismus aus. Nach einer grüblerischen Nacht hatte sie einen möglichen Grund für Emilios Totalausfall im Grand Prix gefunden: Das Gebiss! „Wir haben die Babykandare eingeschnallt und schon ging er viel besser.“


Was ist eine Babykandare?

Unter dem Begriff Babykandare versteht man eine Kandare, deren Unterzüge oder Unterbäume lediglich fünf Zentimeter lang sind. Laut Leistungsprüfungsordnung (LPO) sind Unterzüge bis zehn Zentimeter zulässig. Entscheidend ist, dass das Verhältnis von Ober- zu Unterbaum 1:1 oder 1:2 nicht überschreiten darf. Diese Werte beeinflussen die Hebelwirkung des Gebisses. Die Zungenfreiheit, also der gewölbte Teil dieses Stangengebisses, kann variieren. Zulässig sind maximal 40 Millimeter. Es gibt unterschiedliche Ausführungen der Zungenfreiheit, die teilweise mit einer Neigung nach vorne Richtung Schneidezähne gefertigt wird, was den Gaumen zusätzlich schonen soll. Der Begriff Babykandare hat sich etabliert, weil dieses Gebiss gerne verwendet wird, wenn man ein Pferd an die Kandarenzäumung gewöhnen möchte. Viele Pferde, die bislang nur auf Wassertrense, also mit nur einem Gebiss im Maul und einer anderen Druckverteilung, geritten wurden, kommen mittels dieses Stangegebisses besser mit der neuen Situation zurecht.


Emilio, die Babykandare und 79 Prozent

Schon beim Einreiten machte Emilio einen zufriedeneren Eindruck als im Grand Prix. Hin und wieder war das Genick noch etwas instabil, „aber das hat er immer schon ein bisschen gemacht“, sagt Isabell Werth. Auch nach der ersten Passage wackelte der Westfale etwas im Hals. Aber so wenig, dass man das ohne die Vorgeschichte vermutlich kaum wahrgenommen hätte. Insgesamt war es ein Ritt nicht auf Angriff, sondern auf Sicherheit. Und Harmonie. Die Passagen wurden bis 8,4 bewertet. Dann der Moment der Wahrheit: Bei H Abwenden zur ersten Piaffe. Die gelang so, wie man es von Emilio, „den man eigentlich aus dem Stall herausnehmen und sofort die Piaffe abfragen kann, nichts fällt ihm leichter“, kennt. Flüssig der Übergang in die Passage. 8,2 zogen die Richter für die zweite Piaffe, bei der Isabell Werth kaum Kontakt zum Pferdemaul hatte und noch einmal extra tief einsaß, den Wallach nach vorne trieb, um ungewollte Rückwärtstendenzen zu vermeiden. Im Schritt war der Ehrenpreis-Sohn losgelassen, in der Galopptour sah es nach neun guten Zweierwechseln aus. Dann gesellte sich ausgerechnet beim letzten noch ein Fehler ins Programm.

Die 15 fliegenden Wechsel von Sprung zu Sprung gelangen dann wieder gut, auf eine sehr gute Rechtspirouette folgte eine Unstimmigkeit beim Durchparieren in den versammelten Trab, genau wie schon im Grand Prix a derselben Stelle. Ansonsten allerdings war dieser Ritt kein Vergleich zu der Leistung, die den beiden am Donnerstag nur Platz 17 beschert hatte. Ob sie verwundert gewesen sei, dass Emilio wieder „auf Spur“ war? „Ich war nicht überrascht, dass es heute geklappt hat, sondern dass es vorgestern nicht geklappt hat“, sagte Isabell Werth, die ihren 49. Geburtstag feierte. Dass sie die reguläre Kandare genommen hatte, mit der Emilio u.a. in Hagen gegangen war, ärgert sie im Rückblick. „Ich fühle mich schuldig, dass am Donnerstag von schlechtem Charakter des Pferdes die Rede war. Er hat einen super Charakter, ich habe ihm nicht zugehört, ihn nicht verstanden, das war das Problem.“ Vielleicht sagt sie, hätte sie die Kinnkette am Donnerstag weniger eng schnallen sollen. „Was gestern gut war, muss heute noch längst nicht gut sein.“

Morgens ein Bäuerchen, nachmittags Punkterekord

Helen Langehanenberg und Damsey kamen mit 79,021 Prozent aus der Prüfung, 2,5 Punkte weniger als Isabell Werth. Damsey passagierte recht gleichmäßig, zeigte seinen super Schritt, die erste Piaffe legte Helen Langehanenberg leicht im Vorwärts an. Dafür war sie sehr gut im Takt und energisch. In der Galopptour machte sie den Hannoveraner Hengst an der kurzen Seite noch einmal etwas frisch. Die Zweierwechseln (8,3 und damit im Zwischenranking vor Isabell Werth) und wunderbare 15 Einerwechsel auf der gesamten Diagonalen, bei denen man den Eindruck hatte, das Paar könnte noch 100 weitere folgen lassen, ohne zu schwanken, ohne mit dem Schweif zu schlagen oder im Genick abzusinken, sollten folgen. Helen klopfte den Dressage Royal-Sohn anerkennend am Hals – gut gemacht, Damsey!

Im Finale, sprich zum Abschluss der Prüfung zeigte das Paar dann Bilderbuch-Pirouetten (8,4) und eine letzte, sehr gut auf der Stelle bei X gezeigte Piaffe. Riesenapplaus brandete auf. Helen Langehanenberg gelang damit eine Punktlandung Nummer zwei in Aachen. Diesmal vier Wochen und drei Tage nach der Geburt von Tochter Finja. Die hatte übrigens dafür gesorgt, dass Bundestrainerin Monica Theodorescu morgens zur vereinbarten Trainingszeit allein im Stadion stand. Gerade als Helen aufbrechen wollte, wollte Finja genau das auch. Ohne das „auf“, sprich brechen. Ein „Bäuerchen“ – das musste Mama sich ersteinmal umziehen, erzählt die Bundestrainerin, die Helen wieder und wieder ihren Respekt für die Leistung zollt.

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Die Jungmutter freut sich nicht nur über Damseys persönlichen Punkterekord in einem Grand Prix Special, sondern auch, dass sie hat dazulernen dürfen:

Schon am Donnerstag habe ich gedacht, das ist das Beste was wir können. Aber offensichtlich lag ich da falsch.

Am morgigen Sonntag steht nun die Kür an. Für Helen Langehanenberg ein Sprung ins kalte Wasser: „Ich hatte mich ja auf die CDI-Tour vorbereitet. Ich habe viel Grand Prix geübt, ein wenig Special und kein bisschen Kür. Aber Damsey mag die Kür, ich freue mich“, sagt Helen und erinnert an Neumünster, das letzte Turnier vor der Babypause, wo das Paar die Weltcupkür gewonnen hatte.

Überraschung im US-Team

Ein Protokoll zum Einrahmen nimmt die US-Amazone Kasey Perry-Glass mit aus Aachen über den großen Teich. Mit dem dänischen Diamond Hit-Sohn Goerklintgaards Dublet zeigte sie einen wunderbar harmonischen Ritt. Die kleine Person auf dem doch recht mächtigen Wallach führte Dublet von Höchstschwierigkeit zu Höchstschwierigkeit. Das Pferd ging stets in einer sicheren Silhouette, arbeitete spannungsfrei aber energisch über den Rücken. Sogar der Takt im Schritt, Dublets Schwäche, war akzeptabel. Höhepunkte waren die Serienwechsel im Galopp. 78,787 Prozent bedeuteten Platz drei. Acht Punkte hinter Isabell Werth rangierte die 31-jährige Kalifornierin damit.

Hätte die Richterin bei M, die Schwedin Annette Fransén-Iacobaeus, das Paar nicht deutlich schlechter gesehen als ihre Kolleginnen und Kollegen – Platz acht mit 74,681 Prozent –, wäre ein Sieg denk- und vertretbar gewesen. Im Scherz sagte Kasey-Perry anschließend, ihr Plan sei aufgegangen. „Nach Europa kommen und vor der WM die Deutschen noch mal ein bisschen aufmischen“. In der Tat ist diese Kombination sicherlich eine, die man sich in den Top Fünf bei der WM in Tryon vorstellen könnte. Vorausgesetzt, schönes Reiten und losgelassen gehenden Pferden wird dort die Priorität gegenüber festgehaltenen Stramplern und abgerichteten Piaffier-Maschinen eingeräumt. Das wird man dann in vier Wochen wissen.

Mannschaftskollegin Laura Graves wird den Tag vor ihrem 32. Geburtstag, den sie am Sonntag in der Soers begehen wird, nicht so schnell vergessen. Ihr Verdades guckte sich an einer TV-Kamera fest, startete im starken Trab durch und patzte in den Zweierwechseln. Platz elf. Das straften fast alle richter entschieden und zu Recht ab. Die schwedische Jurorin Fransén-Iacobaeus hatte Graves lediglich zwei Punkte unterhalb von Kasey Perry-Glass einsortiert. Die Dame wird auch in Tryon am Viereck Platz nehmen.

Skandinavien-Duo auf Platz vier und fünf

Die Dänin Cathrine Dufour und Atterupgaards Cassidy hatten einen Patzer im Programm. Der Caprimond-Sohn galoppierte in einem starken Trab an, danach lieferte der Fuchs eine sichere Performance ab. 77,489 Prozent, Platz vier. Fünfte wurde die Schwedin Therese Nilshagen mit dem Oldenburger Hengst Dante Weltino v. Danone mit 76,766 Prozent. Dahinter kam Dorothee Schneider mit Sammy Davis Jr. und 76,404 Prozent auf Platz sechs. Gewohnt souverän zelebrierte die Pferdewirtschaftsmeisterin den bayerischen San Remo-Sohn. Es sah alles nach einer sicheren Runde aus. Dann aber gab es einen Knoten kurz nach den ersten Einerwechseln. Ein teurer Fehler, „diesmal ohne Hase“, wie Dorothee Schneider sagte. Beim Grand Prix hatte ein Hase, der durchs Viereck hoppelte, Sammy Davis jr. während der Einerwechsel irritiert. Glücklich sei sie über den Fortschritt, den der Rappe in den Lektionen höchster Versammlung mache. „Piaffe und Passage werden immer besser“.

Jessica von Bredow-Werndl und Dalera auf 80-Proznet-plus-Kurs – zunächst

Als letzte Starter gingen Jessica von Bredow-Werndl und Dalera ins Stadion. Zuvor hatte gerade Helen Langehanenberg ihre 79-Prozent-Runde abgeliefert. In der ersten Drittel der Aufgabe lag eine kleine Sensation in der Luft im Deutschen Bank Dressurstadion. Nach einem mäßigen Gruß zogen die Noten an: Starker Trab im Wechsel mit Passagen – da punktete die Stute, die zwar ab und zu leicht hinter die Senkrechte rutschte, aber immer wieder in gute Selbsthaltung zurückfand. 80,692 Prozent zeigte das Open Scoring, der öffentliche Einblick in die Richterbeurteilung, vorm starken Schritt. Auch nach dieser Lektion (7,4) lag die Bayerin mit ihrer Trakehner Stute vor der Konkurrenz.

Pauline von Hardenberg

Jessica v. Bredow-Werndl und Dalera im heißen Aachener Dressurstadion. CHIO 2018 (© Pauline von Hardenberg)

Dann aber gab es ein deutliches  Abstimmungsproblem bei der zweiten Piaffe. „Ich hatte das Genick zu tief,“ sagt die Reiterin. Der Stute mangelte es an Platz, sie kam mit der Hinterhand zu weit unter den Körper, konnte den Takt nicht halten. Jessica von Bredow-Werndl sagte, die Stute entwickle sich so rasant weiter, von Start zu Start, dass sie als Reiterin in der Prüfung immer wieder neu reagieren müsse. Auch die letzte Piaffe misslang. „Ich sitze hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge, weil ich keine Kür reiten kann und zeigen kann, dass wir gut piaffieren können.“ Allerdings gibt sie zu Bedenken, dass es erst der vierte Grand Prix Special in der Karriere der Easy Game-Tochter war. Platz sieben mit 76,255 Prozent, 3,5 Punkte hinter Dorothee Schneider. Bundestrainerin Monica Theodorescu spricht vom „Pferd der Zukunft“, will die mangelnde Prüfungsroutine nicht negativ bewerten.

Der Däne Daniel Bachmann-Andersen und Zack reihten sich ein. Der Hengst aus dem dänischen Gestüt Blue Hors, in den vergangenen Jahren im Paralleljob einer der meist beschäftigten Deckhengste Europas, stand in diesem Jahr den Züchtern nur sechs Wochen zur Verfügung. Dann wurde trainiert und der züchtende Zack-Fan musste auf Tiefgefriersperma umsteigen. Cool, dass sich das Prinzip ausgezahlt hat. Zack sollte sich auf den Sport konzentrieren, der Start bei der Weltmeisterschaft ist ihm sicher. Glatte 75 Prozent erzielte der Braune KWPN-Hengst, Platz acht. Sein Sohn Zac Efron gewann übrigens zeitgleich das Oldenburger Landeschampionat der dreijährigen Hengste im Schlosspark von Rastede.

Neunter wurde der spanische Reiter aus dem Helgstrand Dressage Team, Severo Jurado Lopez. Sein De Niro-Sohn Deep Impact ging wie für die Pferde aus diesem Stall typisch einen versammelten Trab, der eher wie Schwebetritte bzw. eine schnelle Passage aussieht, 74,872 Prozent.

Platz zehn ging an die Amerikanerin Adrienne Lyle mit dem Hannoveraner Salvino v. Sandro Hit, die vor allem in Trabtour und Passage Punkte holte (74,511).

Ergebnisse finden Sie hier.

Im Nationenpreis siegte die deutsche Equipe (464,351) vor den USA (459,371) und den Dänen (444,106).

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

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