Springreiter, die weiter im olympischen Tal rumdümpeln, und die erste Dressurmannschaft ohne Einzelmedaille und Teamgold seit einer Ewigkeit – Reiter-Olympia 2012 im Greenwich Park wartete auf mit neuen Stars des Reitsports und einer Top-Stimmung, wie St.GEORG-Herausgeberin Gabriele Pochhammer sie nie zuvor erlebte.
Für viele von uns Journalisten waren London die schönsten Spiele. Nirgendwo waren die Volunteers und die freiwilligen Helfer freundlicher, an den Einlasskontrollen viele eiligst angeforderte Soldaten, manche von ihnen kamen geradewegs aus Afghanistan und hatten auf ihren Urlaub verzichtet. Nie waren die Abende im Deutschen Haus unten an den Docks lustiger, die Transporte zu den Sportstätten unkomplizierter. Alles war irgendwie vertraut. London ist halt ein bisschen wie Hamburg, nur größer. Die U-Bahn fuhr immer und überall hin. Die Reitwettbewerbe fanden im Greenwich Park im Osten Londons statt, gegen Proteste der Anwohner, die ein paar Wochen lang auf Hundespaziergänge und Picknicks verzichten mussten. Alles war sehr eng, die Hauptarena auf riesigen eisernen Säulen errichtet, der Geländekurs rauf, runter und um die Ecken, mit zum Teil atemberaubenden Blicken auf die Londoner City, die Pferde standen in Stallzelten.
Hogwarts und Playmobil
Die Medienvertreter wohnten in Hotels und Pensionen, meine Freundin und Kollegin Donata und ich hatten eine „Suite“ in einem Studentenheim nahe der Uni London ergattert. Dass es ungewöhnlich günstig war, hätte uns warnen sollen. Als wir ankamen, war zunächst alles Old English, wie es sich gehört: Alte Steinfliesen, gestreifte Tapeten in zartem Blau, das Empfangspult aus polierter Eiche und die Queen in Lebensgröße an der Wand. Eine nette junge Dame zeigte uns unsere „Suite“ und mit jedem Stockwerk, das der Fahrstuhl aufwärts schepperte, sank unser Herz. Am Ende ging man auf einem wild gemusterten schmuddeligen Teppichboden – ich mochte mir nicht die Generationen Milben vorstellen, die hier hausten – durch einen dunklen Flur zu unserer „Suite“: ein winziges Zimmer, das nur spärlich mit Tageslicht in Berührung kam, mit einem schmalen Bett mit Kuhle in der Mitte, in dem es nur schwer Verliebte für eine Weile aushielten, in der Ecke ein Tischchen und zwei Stühle – das war wohl der „Suite“-Faktor – und ein winziges Bad. Das ging gar nicht, am Ende der 14 Tage hätten wir uns wahrscheinlich umgebracht. Zum Glück fand sich für mich noch ein zweites Zimmer, noch kleiner, aber es reichte. Das Frühstück nahmen wir in einem großen holzvertäfelten Esssaal ein, von den Wänden blickten streng die Uni-Rektoren vergangener Jahrzehnte, ein bisschen fühlten wir uns wie bei Harry Potter.
Die Pressestelle war geradezu luxuriös im Naval College untergebracht, in diesem Gebäudekomplex wurde übrigens einst Elizabeth I. geboren. Die Kommunikation funktionierte prima, sieht man davon ab, dass einige Informationen nur gegen Extra-Bezahlung erhältlich waren. Weniger komfortabel waren die Presseplätze, sie waren sozusagen nicht benutzbar, in der obersten Reihen der temporären Tribüne, hoch über allem und allen, sah man Reiter und Pferde tief unten wie winzige Playmobile hin und her huschen. Da es keinerlei Regenschutz gab, war auch an ein Arbeiten mit Laptop nicht zu denken. Beschwerden brachten gar nichts. „I will pass it on“, sagte unsere Pressechef freundlich und auf seiner Stirn stand in unsichtbaren Buchstaben: „Ihr könnt mich mal, in 14 Tagen seid ihr sowieso alle wieder weg.“
Über all die kleinen Unzulänglichkeiten tröstete wie immer der Weltklassesport hinweg. Die deutschen Vielseitigkeitsreiter, wieder zu fünft, konnten ihren doppelten Goldtriumph von Hongkong wiederholen, Ingrid Klimke auf Butts Abraxxas, Dirk Schrade auf King Artus, Sandra Auffarth auf Opgun Louvo, Peter Thomsen auf Barney und vor allem Michael Jung auf Sam. Ein bisschen Glück war dabei, erst als Wega von Sara Algotsson-Ostholt, Schweden, im Parcoursspringen die letzte Stange am letzten Oxer mitgehen ließ, war auch Michi Jungs Einzel-Gold im Kasten. Sandra Auffarth mit „Wolle“ holte sich Bronze.
Das doppelte Gold war wie schon in Hongkong auch der große Triumph des genialen Trainer-Duos Hans Melzer und Chris Bartle. Dabei hätte IOC-Mitglied Princess Anne vermutlich lieber ihrer Tochter Zara, die im britischen Silberteam ritt, die Goldmedaille umgehängt, war doch jeden Tag die Royal Family vor Ort, um Zara Phillips die Daumen zu drücken: Großvater Prinz Philip, Prinz William mit frisch angetrauter Kate, der fröhliche Junggeselle Harry, Prinz Andrews Töchter Beatrice und Eugenie. Im Bronzeteam aus Neuseeland ritt auch wieder Mark Todd nach erfolgreichem Comeback. „Diese Farbe hatte ich noch gar nicht“, sagte der damals 56-Jährige, der jeden Morgen aufs neue die Ordner überreden musste, ihn in den Athletenbus einsteigen zu lassen. Sie hielten ihn für einen Funktionär. Auch der Friseur im Olympischen Dorf wollte ihm aus demselben Grund erst nicht die Haare schneiden.
Heimattriumph
Die deutschen Springreiter, seit 1988 zum ersten Mal ohne Ludger Beerbaum, dümpelten weiter in ihrem olympischen Tal. Sie erreichten nicht mal den zweiten Umlauf der acht besten Teams, wurden nur Zehnte, und das nicht durch Einbrüche und Katastrophen, sondern einfach durch hier und da einen Abwurf zu viel. Das reichte einfach nicht, dazu war die internationale Spitze inzwischen zu gut. Es siegten nach 60 Jahren wieder die Briten, vor den Niederländern und den überraschend starken Saudis. Im Einzelspringen lief es nicht besser, Platz zwölf für Marcus Ehning und Plot Blue, die anderen noch weiter weg vom Fenster. Wie immer waren diese Olympischen Spiele auch die Stunde der Trainer, die aus allen Himmelsrichtungen eingeflogen wurden.
Einer von ihnen war Paul Schockemöhle, der die ganze Zeit im grellgemusterten Mannschaftsoutfit der Ukraine herumlief. Er betreute seinen Großkunden Alexander Onischenko, dem er wertvolle Ratschläge gab: „Immer nach vorne ausgleichen. Augen zu und erst drei Meter vor dem Sprung wieder aufmachen. Bloß nicht herunterfallen.“ Onischenko gehorchte und kam tatsächlich heil und gesund mit 18 Fehlern aus dem ersten Nationenpreisumlauf, das Ukraine-Team wurde vorletztes. Die Kurse in London von Bob Elliott waren kleine Kunstwerke für sich: Da stand Big Ben im Parcours, die berühmten roten Doppeldeckerbusse und die Löwen vom Trafalgarsquare. Strahlender Einzelsieger wurde der geniale Schweizer Steve Guerdat mit dem ebenso genialen Nino des Buissonnets, trauriger Vierter der hohe Favorit Nick Skelton, dessen Big Star im letzten Springen den ersten Abwurf des ganzen Turniers kassierte. Er musste noch vier Jahre auf sein Einzelgold warten.
Klassische Dressurausbildung wird belohnt
In der Dressur ging das Teamgold zum ersten Mal seit 1976 nicht nach Deutschland. Die drei deutschen Olympiadebütantinnen Helen Langehanenberg auf Damon Hill, Kristina Sprehe auf Desperados und Dorothee Schneider auf Diva Royal mussten sich mit Silber begnügen, zum ersten Mal seit 1960 gab es auch keine Einzelmedaille. Vierte und damit beste Deutsche wurde Helen Langehanenberg. Trotzdem und gerade deswegen, weil Dauersiege ja irgendwann langweilig werden, erlebte die Dressur großartige Tage. Denn es waren nicht die Niederländer, die mit ihren umstrittenen Trainingsmethoden in den vergangenen Jahren für kontroverse Diskussionen gesorgt hatten, es waren die Briten, die dem eigenen Publikum vorführten, wie schön Dressur sein kann. Getragen wurde das Team von Charlotte Dujardin auf dem mächtigen, gangstarken Valegro, und ihrem Trainer und Valegros Besitzer Carl Hester, eine Lichtgestalt nicht nur der britischen Dressurszene. Er selbst ritt den Hengst Uthopia, musste aber in allen Prüfungen seiner Schülerin den Vortritt lassen und tat das mit großer Grandezza. Dass in London am Ende die klassische Dressurausbildung belohnt wurde, war die beste Nachricht dieser olympischen Spiele.
Kristina wurde unterstützt von ihrem Freund Christian Bröring, der aus dem Emsland bis London geradelt war und damit eine Wette einlöste. Seit 2015 ist der sportliche junge Mann Kristinas Ehemann, 2019 wurden sie Eltern einer kleinen Tochter. Wehmut schwang in der Silbermedaille für Dorothee Schneider mit. Es war das letzte Turnier mit Diva Royal, die anschließend von der Tochter der Besitzerin übernommen wurde. Bei der Pressekonferenz darauf angesprochen, rollte die Tränen. Inzwischen ist Doro mit so vielen selbst ausgebildeten Spitzenpferden bestückt, wie sonst nur noch Isabell Werth. Wahre Klasse setzt sich halt durch.
Zum Hotspot aller Medaillenpartys geriet die Eckkneipe vor dem Eingang zum Greenwich Park, hier konnte jeder mitfeiern, mit und ohne Akkreditierung, sofern er sich schnell genug ein Bier besorgte. Da knubbelte sich alles, die Stimmung war high, die Menschen quollen auf die Straße, sodass die Polizei die Kreuzung schließlich für Autos sperren musste. Die Besetzung wechselte nach Disziplin. Von weitem sah man Mark Todd und William Fox-Pitt aus der Menge ragen, es war also Busch-Zeit. Sah alles aus, wie mit Phosphor übergossen, waren es unsere Freunde aus Holland, die die Medaillen ihrer Dressur- und Springreiter feierten. Am letzten Tag, nach dem Sieg von Steve Guerdat, der ersten Schweizer Goldmedaille im Springen seit 1928, lagen sich Leute in den Armen, die, so schrieb der Daily Telegraph, aussähen, als ob ihnen Genf und Zürich zusammen gehörten. Es waren Steves Sponsoren, denen unter anderem zu verdanken ist, dass Steve, einst von Onischenko fürs Ukraine-Team angeheuert, dem Oligarchen seinen Scheck zurückschicken konnte. Das Goldross Nino des Buissonnets gehörte Urs Schwarzenbach, der vielleicht nicht ganz Genf, aber immerhin ein Dorf in England mit 44 Häusern, Pub, Post und Kirche sein eigen nannte. Ist ja auch was.
Wie vorher zugesagt, war schon wenige Wochen nach der Schlussfeier alles, was an die sehr fröhlichen und glanzvollen Spiele erinnerte, abgebaut. Der Park gehörte wieder den Londonern, ihren Hunden und den dicken grauen Eichhörnchen.Sneakers Draked Viola | Atelier-lumieresShops | Sneakers search engine | cheap air jordan 1s for sale
Und wieder ein sehr gelungener Artikel von Frau Pochhammer. Ich finde ihre offene und ehrliche Art einfach unbezahlbar. „Das ging gar nicht, am Ende der 14 Tage hätten wir uns wahrscheinlich umgebracht.“ Solche Sätze strotzen vor Ehrlichkeit und beschreiben mir als Leser ein Gefühl von Dazugehörigkeit. Ich bin und bleibe ein treuer Fan von Frau Pochhammer.