Moment mal! Sternstunden und Tiefschläge

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Es gibt hunderte von Pferden, die im Spitzensport Woche für Woche ihr Bestes geben, aber die wenigsten sind Superstars, deren Namen auch nach ihrer Karriere im kollektiven Gedächtnis bleiben werden. Es sind nie die einfachsten Pferde, sondern immer die Besonderen. Auch sie haben ihre Tiefschläge, die ihre Glanzleistungen aber nur umso heller strahlen ließen.

In Leipzig kann man es sehen, in Aachen kann man es sehen und auf vielen anderen Plätzen auch: Pferde faszinieren die Menschen auf eine besondere Weise, natürlich durch ihre grandiosen Leistungen, durch die Erfolge, die sie ihren Reitern schenken, durch die Spannung, die ein Wettkampf haben kann. Aber auch durch ihre Kraft, ihre Schönheit, ihren Mut und ihre Treue, Eigenschaften, um die sie viele Menschen beneiden könnten und die den Pferdesport einzigartig machen. Was nicht heißen soll, dass Pferde die besseren Menschen sind oder dass bei manchen Reitern nicht die Liebe zum Geld die zu ihren Pferden deutlich übersteigt. Was wiederum zu jenen bekannten Auswüchsen führt, die den Sport an den Rand der Glaubwürdigkeit führen: Doping, Barren und andere Schweinereien.

Doch jeder Sport braucht Stars, die in Erinnerung bleiben. Unter den vielen Pferden, die im Laufe der Turniersportgeschichte über Hindernisse sprangen, in den Vierecken piaffierten oder durchs Gelände galoppierten, gab es immer wieder die Besonderen, die die Arenen beherrschten, kaum dass sie sie betreten hatten. Es waren selten die Pferde, die auf dem großen Marktplatz Spitzensport für Millionenbeträge die Besitzer wechselten, es waren fast immer die Pferde, die lange mit einem Reiter zusammen waren und wo beide ein unverwechselbares Paar bildeten, die vollkommene Einheit, von der in vielen Romanen und Reitlehren erzählt wird und die doch am Ende selten ist. Viele Namen fallen mir ein, die in meiner langen Laufbahn als Pferdesportjournalistin meine Begeisterung entfacht und mein Herz angerührt haben. Da waren Milton und John Whitaker. Die Hallen tobten, wenn der Schimmel mit der wehenden Mähne hereingaloppierte, oder kaum weniger populär der knuffige kleine Jappeloup, der 1988 dem Franzosen Pierre Durand zu Olympiagold verhalf. Oder die körperlich kleinen, aber im Herzen ganz großen Buschpferde Charisma und Sam, die beide für ihre Reiter Mark Todd und Michael Jung zweimal Olympiagold erkämpften.

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Der Fast-Nervenzusammenbruch von Shutterfly

Eines dieser Ausnahmepferde war auch der kürzlich im Alter von 30 Jahren verstorbene Hannoveraner Shutterfly, das „Lebenspferd“ von Meredith Michaels-Beerbaum. Leichtfüßig flog er über die Sprünge, mit seiner zierlichen Reiterin, die nie die frische Eleganz des All-American-Girls verlor, auch wenn sie atemlos aus dem Parours kam. Reithelm runter, Haare schütteln und alles saß wieder am Platz. Die beiden hatten Starqualitäten und wie so oft, sind es gerade Momente der Schwäche, die die Großen noch größer machen. Bei Shutterfly war es der Fast-Nervenzusammenbruch beim Pferdewechsel im WM-Finale 2006. Es waren nicht die fremden Reiter, es war das Umsatteln und Aufsitzenlassen. Kaum war der Gast im Sattel ging Shutterfly wie eine Eins und gab wie immer sein Bestes. Aber es brauchte Monate, bis er seine Phobie überwunden hatte und Meredith wieder problemlos aufsitzen konnte.

Eine andere Größe, bei der tiefer Fall und sensationeller Höhenflug dicht beieinander lagen, war Classic Touch von Ludger Beerbaum. Olympia 1992 in Barcelona, es lief katastrophal für die deutschen Springreiter. Der einzige, der noch einen ehrenvollen Platz hätte retten können, war Beerbaum und seine erst achtjährige Holsteiner Stute. Es fing gut an, bis mitten im Parcours das Hackamore brach und Classic Touch quasi führerlos durch die Bahn raste. Beerbaum konnte gerade noch abspringen, bevor sie volle Fahrt aufgenommen hatte. Und was tat Classic Touch? Als sie merkte, dass ihr der Reiter abhanden gekommen war, blieb sie stehen und ließ sich brav wie ein Lamm zum Ausgang führen. Das Bild des Reiters, den Kopf gesenkt, eine Hand auf dem Mähnenkamm seines Pferdes, wird niemand vergessen, der dabei war. Drei Tage später waren Ludger Beerbaum und Classic Touch Olympiasieger – als die Hymne erklang, blieb kein Auge trocken, jedenfalls kein deutsches.

Geist, Intelligenz, Sensibilität

Dramen sind das Gewürz einer Pferdelaufbahn, sie lassen die Erfolge umso strahlender scheinen. Davon kann auch Dressur-Ikone Isabell Werth mit dem Hannoveraner Satchmo erzählen, mit dem sie 2006 in Aachen Weltmeisterin im Grand Prix Special wurde und zwei Jahre später bei den Olympischen Spielen in Hongkong eine Achterbahn der Gefühle durchlebte. Damals wurden alle drei Prüfungen (Grand Prix, Special und Kür) für die Gesamtwertung gezählt. Satchmo, elegant und geschmeidig wie kaum ein anderes Dressurpferd, an das ich mich erinnere, gewann souverän den Grand Prix. Als Isabell zum Special einritt, lag die Goldmedaille quasi schon vor ihr auf dem Tablett. Die Richter hauten die Neunen reihenweise raus. Dann kam die erste Piaffe parallel zur kurzen Seite. Satchmo kroch rückwärts, drehte um, versuchte zu steigen. Alles aus? Von wegen! Isabell stellte die Pferdenase wieder in die richtige Richtung und ritt weiter, als sei nichts gewesen. Auch die Neunen erschienen wieder, doch am Ende war das Gold weg. Aber immerhin Silber noch in der Tasche.

Tragik umwehte auch die Laufbahn von Totilas, einer lackschwarze Schönheit, hochbegabt für die schwierigsten Lektionen wie Piaffe, Passage und Pirouetten. Seinen Vorführungen haftete etwas Zirzensisches an, das Puristen der Reitlehre bedenklich stimmte, aber dafür konnte er ja nichts. Gefeiert als „Wunderhengst“ auch von Menschen, die sonst gar nichts mit Pferden am Hut hatten, war er unter dem Niederländer Edward Gal fast unschlagbar, zu seiner Zeit das berühmteste Pferd der Welt. Ein spektakulärer Millionenverkauf an Paul Schockemöhle, der die Sportrechte an den Stall Linsenhoff weiterreichte, sorgten dafür, dass Totilas in den Schlagzeilen blieb. Sportlich war der zweite Teil seiner Karriere unter Matthias Rath eine Enttäuschung und sein Zwangsabgang in Aachen, als er verletzt den Grand Prix beendete, kein Ruhmesblatt für die deutsche Mannschaftsführung. Da hatte dieses Pferd, das so vielen Menschen Freude gemacht hatte, Besseres verdient. Aber er wird unvergessen bleiben, schon weil der Streit um seinen Samen bis heute die Gerichte beschäftigt.

Die Pferde, die ich genannt habe, sind alle verschieden und keinem von ihnen ist die Weltkarriere unbedingt an der Wiege gesungen worden. Sie lassen sich nicht über einen Kamm scheren, sind auf ihre Weise einzigartig, und meist nicht unkompliziert. Aber sie alle eint der Geist, die Intelligenz, die Sensibilität, die Mitmacherqualitäten.  Und wenn so genannte Tierrechtler in ihnen nur geknechtete Opfer übersteigerten Ehrgeizes sehen wollen, dann haben sie nichts verstanden.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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