Zwei wilde kleine Jungs, die im gestreckten Galopp durch ihre Kinderjahre ritten und am Ende zwei großartige Springreiter wurden. So beginnt die Geschichte von Peder Fredricson und seinem Bruder Jens. Sie klingt ein bisschen wie aus einer längst vergangenen Zeit, und doch wurde hier der Grundstein gelegt für olympische und andere Lorbeeren.
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Das ist natürlich nicht von mir, sondern von Hermann Hesse. Jeder von uns erinnert sich an seinen ersten Moment im Sattel, den Namen des ersten Ponys oder Pferdes, an den ersten Reitlehrer, den ersten flotten Galopp, bei dem der Wind einem die Tränen in die Augen trieb, an den ersten Bocksprung, bei dem man oben geblieben ist – oder auch nicht. Diese ersten Male sind unwiederbringlich und sie entscheiden oft darüber, ob wir dabei bleiben und unser Leben lang den Pferden verfallen, oder doch lieber irgendwann Klavier spielen oder Fußball. Gestern endlich lag das Buch von Peder Fredricson bei mir im Briefkasten, drei Monate hatte Amazon dazu gebraucht, mich immer wieder vertröstet. Es gibt es im Moment nur auf Schwedisch und Englisch, der Titel heißt „Six feet above“ (1,80 Meter oben) und der Weltranglisten-Erste beschreibt darin seinen Weg an die Spitze des internationalen Springsports, zu olympischem Gold und Silber, zum WM-Mannschaftstitel und zu vielen Siegen in Großen Preisen.
„So herrlich beruhigend“
Auch diese Karriere hatte einen Anfang und einen außergewöhnlichen dazu. Natürlich waren da immer Pferde, bei den Eltern Ingvar, einem renommierten Pferdetierarzt und späterem Leiter des Staatsgestüts Flyinge, und Mutter Stina, der Tochter eines pferdebegeisterten Farmers. Im Stall des Großvaters atmete der kleine Peder zum ersten Mal diesen unwiderstehlichen Duft ein, den zufriedene Pferde verbreiten, hörte ihr Kauen und Knuspern, wenn sie sich an ihrem Heu zu schaffen machten – für den Vierjährigen war es Engelsmusik. „Eines meiner allerliebsten Geräusche“, schreibt er, „bis heute. Es ist so herrlich beruhigend.“
Mit vier Jahren erbte Peder das Shetlandpony Jocke von seinem fünf Jahre älteren Bruder Jens, auch er heute ein Weltklassespringreiter, Mitglied der WM-Goldmannschaft von Herning 2022. Beim Ausritt mit dem Vater am Führzügel, musste Jocke, um mit dem daher trabenden Pferd des Vaters mitzuhalten, galoppieren, so schnell er konnte. Der Vater hielt nur an, wenn Peder mal wieder runtergefallen war, was bei jedem Ausritt wenigstens einmal passierte. „Jocke war wohl nicht das perfekte Anfängerpony“, sagt er heute. Jens saß bereits auf der entsprechend größeren Gotlandponystute Myran. Zwei wilde Jungs im wahrsten Sinne des Wortes ungezügelt – so tobten sie durch ihre Kinderjahre und Astrid Lindgren hätte es nicht schöner erzählen können. Jens erfand immer neue Spiele, Peder auf Jocke, Jens dahinter auf Skiern. Der Startschuss zum Wettkampf fiel gleich nach dem Aufstehen: Wer ist als erster im Stall? Wer ist als erster mit seinem Pony an dem Baum da hinten?
Freiheit, die es heute nur noch selten gibt
Erwachsene mischten sich so gut wie nie ein und die beiden hatten einfach ganz viel Spaß. „Wir konnten tun und lassen, was wir wollten, solange die Tiere gut versorgt waren.“ Vater und Großvater machten klar: „Die Ponys sind eure Verantwortung.“ So kam es vor, dass die beiden Jungs abends im Bett sich auf einmal fragten: „Haben wir die Ponys eigentlich getränkt?“ Raus aus den Kissen, rüber in den Stall, Double Check. Wer so aufwächst, wird es nie vergessen: Die Pferde kommen immer zuerst. Eine der wenigen Forderungen des Großvaters: Jeden Morgen putzen, fünf Striche mit dem Striegel für jedes Pony auf der Stallgasse. Macht das heute eigentlich noch irgendeiner? Um schneller losreiten zu können, wurde dann schon mal ein bisschen Kleie unter den Staub gemischt. „Im Wesentlichen war meine Jugend ein einziges Reitabenteuer“, erzählt Peder, „es gab kaum Grenzen.“ Eine gab es doch: „Nie auf Asphalt schnell reiten, davon werden die Pferde lahm“. Auch das hat er bis heute nicht vergessen.
In jenen Jahren war noch keine Rede von Turnieren, von Dressurstunden, von Reitabzeichen Klasse xy, keine Ermahnungen wie „Absatz tief und Daumen krumm.“ Es war die große Freiheit zweier kleiner Jungen, die heute wohl nur wenige Kinder noch erleben dürfen. Weil die Eltern zu besorgt sind, weil überall gefährliche Straßen lauern, Reitverbote Feld und Wald überziehen, weil schon früh ein Ehrgeiz gezüchtet wird, der die Sorge um das Wohlergehen des vierbeinigen Partner schnell mal überschattet und, und, und.
Ein Jahr Reitunterricht ohne Sattel
Eines Tages beschloss der Vater dann doch, dass seine Söhne ein wenig Reitunterricht haben sollten. Er engagierte den Kavalleriecaptain Kurt Wiksell, ein ehemaliger erfolgreicher Springreiter. Zur der ersten Stunde erschienen Jens und Peder geschniegelt und gestriegelt, mit frisch geputztem Sattelzeug. Kurt ließ sie erstmal die Sättel abnehmen. „Im ersten Jahr werdet ihr ohne Sattel reiten“. Er gab ihnen die Möglichkeit, ihre Grenzen auszutesten. Er schickte sie steile Berge hoch und runter, ließ sie über Naturhindernisse springen, Rennen gegeneinander austragen und mit ihren Ponys im See schwimmen. Dazu zog er sich selbst nackt aus bis auf die Pfeife, die wie festgeklebt im Mundwinkel saß, schwamm los, sein großer Rottweiler hinterher und dann seine beiden Schüler. „Es war die richtige Methode für zwei wilde Jungs“, sagt Peder.
Irgendwann kam, vor allem bei Jens die Begeisterung fürs Fußballspielen. Die Eltern hatten nichts dagegen, solange die Pferde vorsorgt wurden wie zuvor. Das klappte wohl nicht so richtig. Denn eines Tages, als die beiden aus der Schule kamen, war der Stall leer, und nur ein einsamer Fußball lag auf der Stallgasse. „Ich habe die Pferde verkauft“, sagte der Vater. In Wirklichkeit hatte er sie zum Großvater gestellt. „Jetzt könnt ihr Fußballspielen, soviel ihr wollt.“ Die Botschaft kam an: Wenn man Tiere haben will, muss man sie versorgen, die Stallgasse ordentlich fegen, das Sattelzeug putzen. Die Jungen waren außer sich und bettelten den Vater an, die Pferde zurück zu kaufen. Er holte sie noch am selben Abend nach Hause. Nicht auszudenken, er hätte Ernst gemacht…Was wäre dem Springsport entgangen! Auch wenn mich alle Feministinnen der Welt steinigen werden: Mehr Jungen würden sich für Pferde begeistern, wenn sie sie so kennenlernen würden, wie in Jens und Peder.
Peder Fredricson
Six feet above
Jumping to the Top
Verlag Max Ström
ISBN 978-91-7126-585-2
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