Moment mal! Angezählt und aus der Zeit gefallen

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Das CCI5*-L in Badminton war auf den ersten Blick alles andere als eine Werbung für den Sport, trotz grandioser Leistungen der Pferde und umsichtiger Entscheidungen vieler Reiter. Auch innerhalb der Szene regt sich Kritik. Der Pferdesport im Allgemeinen und die Vielseitigkeit im Besonderen sind angezählt.

Wer alles richtig macht, dem kann es eigentlich egal sein, was die Leute denken. Leider gilt das für den Pferdesport schon lange nicht mehr, erstens, weil die Akteure nicht alles richtig machen, und die Kritiker es zweitens nicht bei Gedanken belassen, sondern lautstark mit Aktionen und Taten auf Missstände oder was sie dafür halten, hinweisen. Oft verbunden mit der Forderung, den Sport ganz abzuschaffen. Neben dem Rennsport steht vor allem die Vielseitigkeit im Brennpunkt tatsächlicher oder vermeintlicher Tierschützer. Es kann deswegen niemandem egal sein, wie dieser Sport in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Auch nicht den Briten, die immer noch stolz darauf sind, mit den CCI5*-L Badminton und Burghely die schwersten Geländeprüfungen der Welt aufzubauen, die ultimativen Tests für tollkühne Buschreiter und ihre mutigen Pferde. Während Welt- und Europameisterschaften, ja sogar Olympischen Spiele inzwischen auf einen Stern verzichten, sich also mit Vier-Sterne-Niveau begnügen, regiert bei den britischen CCI5*-L-Prüfungen immer noch die „Nur-die-Harten-kommen-in den Garten“-Mentalität.

Es ist fast ein Glück, dass Badminton in diesem Jahr außerhalb Englands nur von wenigen Medien wahrgenommen wurde. Wer nicht 20 Pfund, etwa 23 Euro für die Video-Übertragung berappte, bekam vom Gelände so gut wie nichts zu sehen, vor Ort war nur ein Dutzend schreibende Journalisten. Das miserable Wetter, Regen und aufgeweichter Boden, prägten das Bild. Die Bilanz bleibt düster, 30 von 64 Pferden beendeten die Prüfung, sechsmal ging das Pferd, neunmal der Reiter zu Boden, elf Reiter gaben auf, 17 Pferde wurden angehalten, ein Pferd wurde in einer Tierklinik eingeschläfert, nachdem es sich bei einem Sturz ein Bein zwar nicht gebrochen, aber schwer verletzt hatte. Ob es für ein schmerzfreies Renterleben hätte gerettet werden können, entzieht sich meiner Kenntnis. Informationen über den Sturz erschöpften sich in einer dürren Fünfzeilen-Meldung am schwarzen Brett, Pressekonferenzen , bei denen die Medienvertreter Fragen stellen, gab es nur eine am ersten Tag, als sich der Hauptsponsor darstellen konnte, und das interessierte natürlich niemanden.

Parcourschef beratungsresistent

Das ist wahrlich keine Statistik zum Jubeln, auch wenn eine differenzierte Betrachtung angebracht ist. Es gab souveräne Ritte, wie von der Siegerin Ros Canter, gleich mit zwei Pferden, es gab Bilder von top-fitten Pferden auch noch bei der letzten Verfassung und viele Reiter zeigten, dass sie vernünftiger sind als die Funktionäre: Sie „warfen die Uhr weg“, um nur noch nach Gefühl zu reiten und nahmen dabei ein oder sogar zwei Minuten Zeitüberschreitung in Kauf. Oder hörten rechtzeitig auf, wenn das Pferd müde wurde. Das war Horsemanship, die Respekt verdient! Während ein Unbelehrbarer wie Oliver Townend, der aus der Prüfung genommen wurde, weil sein Pferd völlig erschöpft war und – nicht zum ersten Mal – eine meldepflichtige mündliche Verwarnung kassierte, dem Ansehen des gesamten Pferdesports schadet.

Die Statistik wäre erfreulicher ausgefallen, wenn sich Parcourschef Eric Winter entschlossen hätte, den Kurs zu verkürzen, ein oder zwei Schleifen wegzulassen, und mache Hindernisse von Anfang an freundlicher gestaltet hätte. Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres hätte er es besser wissen können. Stürze, etliche aufgrund von unpassenden Distanzen, prägten bereits im Vorjahr das Bild. Europameisterin Nicola Wilson stürzte so schwer, dass sie ihre Sportkarriere beenden musste. In diesem Jahr war sie als TV-Kommentatorin dabei, am Stock. „Ein Aufbauer muss sich doch bei jedem Sprung fragen, welches Risiko er eingehen, ob er nach menschlichem Ermessen einen Sturz vermeidet“, sagt der frühere Bundestrainer und langjährige FEI-Richter und Aufbauer Martin Plewa. „Ich halte den Aufbau in Badminton für völlig überzogen.“ Zwar passten diesmal die Distanzen, zwar wurden einige Hinderniskomplexe entschärft und 14 Hindernisse mit MIM-Sicherheitssystem versehen, aber ansonsten erwies sich der Parcourschef angesichts des miserablen Wetters als weitgehend beratungsresistent.

Fünf-Sterne-Plätze gibt es auch in fair

„Es gab Aufgaben, die hätte ich so nicht gestellt“, sagt der Aufbauer vieler Championate, Mark Phillips, in seiner Kolumne in Horse and Hound. Die Kritik aus dem Mutterland des Eventing kommt sehr vorsichtig, so als dürfe nichts am gloriosen Image der beiden Leuchttürme kratzen. Das ist fatal. Die Zeiten haben sich geändert und Fünfsterne-Plätze wie Kentucky, Luhmühlen und Pau zeigen, dass man sehr wohl Prüfungen bauen kann, die sportlich fair und zugleich von hohem Niveau sind, in denen Pferde das Beste zeigen können, was in ihnen steckt, nämlich durchs Gelände galoppieren und natürliche Hindernisse meistern.

Wieviele Badmintons kann sich die Vielseitigkeit noch leisten, bevor ihre militanten Kritiker die Oberhand behalten? Und was kommt dann? Schon jetzt diskutieren „woke“ Menschen im Netz, ob Fahren und Voltigieren eigentlich noch vertretbar sind. Schließlich müssen die armen Pferde im ersten Fall eine Kutsche ziehen, im zweiten als Sportgerät dienen, wobei doch ein Roboter es auch täte! Die wahren Totengräber des Pferdesports kommen übrigens bisher noch glimpflich davon, die Distanzreiter aus den arabischen Staaten. Stand heute wurden alle zwölf aktuellen FEI-Sperren über Reiter aus dem Königreich Saudi-Arabien verhängt, alle aus der Disziplin Endurance, Distanzreiten. Die Verschärfungen des Reglements haben offenbar nichts geändert, immer wieder kommen Pferde bei den Gewaltritten durch die Wüste zu Tode. Fotos gibt es anders als von Stürzen im Gelände so gut wie nie und offenbar ist es in Staaten, in denen man es mit der Pressefreiheit nicht so hat, einfacher, Informationen zu unterdrücken. Und die FEI muss sich fragen , ob sie vom sauberen Sport nur redet, sondern auch eingreift, wenn nötig.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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