Muskeln sind wichtig, um sportliche Leistung bringen zu können und gesund zu bleiben. Doch vielen Pferdebesitzern und Reitern fällt es schwer, die Muskulatur des Pferdes zu beurteilen. Ein neues Muskelbewertungs-System soll helfen: der Muscle Condition Score.
Die Muskulatur des Pferdes beurteilen zu können, ist nicht nur für Sportpferde wichtig. Gut trainierte Muskeln sind zwar für die körperliche Leistung und somit für Geschwindigkeit, Beschleunigung und auch Ausdauer entscheidend. Doch das ist noch nicht alles: In der Humanmedizin hat sich gezeigt, dass Muskelkraft dazu beiträgt, sich vor Verletzungen zu schützen. Denn sie verbessert die Stabilität der Gelenke und verhindert somit, dass man sich abnormal bewegt oder bestimmter Körperbereiche zu stark beansprucht.
Ob man gut bemuskelt ist, hängt von vielen Faktoren ab. Vor allem Training, Alter und Krankheiten haben großen Einfluss. Aus diesem Grund ist es für Pferdebesitzer und Trainer so wichtig, die Muskulatur des Pferdes beurteilen zu können. Dabei soll ein neues Muskelbewertungs-System helfen, das Tierärzte der Universität von Kopenhagen entwickelt haben.
Sieben Muskeln stehen im Fokus
In ihrer Studie „Development of an equine muscle condition score“ haben die Wissenschaftler das Bewertungssystem an 25 Vollblutpferden getestet. Es handelte sich um Hengste, Stuten und Wallach im Alter von ein bis neun Jahren. Um herauszufinden, ob das System zuverlässig ist, verglichen sie die Ergebnisse der Bewertung mit Ultraschallmessungen der Muskeln. Ausgehend von den Ergebnissen früherer Studien, welche Muskeln mit Ultraschall besonders gut bewertet werden können, und an welche Körperstellen die Verwechslung von Fett und Muskeln etwas geringer ist, haben sich die Wissenschaftler auf sieben Muskeln konzentriert:
1. m. splenius (Riemenmuskel)
2. m. brachiocephalicus (Oberarm-Kopf-Muskel)
3. m. multifidus (vielgefiederter Muskel)
4. m. longissimus dorsi (langer Rücken-, Hals- und Kopfmuskel)
5. m. glutaeus medius (mittlerer Kruppenmuskel)
6. m. tensor fasciae latae (Unterarmfaszienspanner)
7. semitendinosus (halbsehniger Muskel)
Lernen, wie man die Muskulatur des Pferdes beurteilt
„In der Studie wird gezeigt, an welchen Bereichen des Pferdes man die Muskulatur beurteilt“, erklärt Tierärztin Isabelle Lange. Der Muscle Condition Score ist noch sehr neu und auch unter Tierärzten noch nicht weit verbreitet. Isabelle Lange, die Tierärztin ist und an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Professur für Tierernährung, arbeitet, hat sich intensiv damit auseinandergesetzt. Zuletzt hat sie bei einem Workshop auf Burg Warberg gezeigt, wie man den muscle condition score anwendet.
„Manchmal braucht man etwas Übung, weshalb es sinnvoll ist, sich zunächst an fachlich geschultes Personal zu wenden.“ Hinzu kommt, dass die Begriffe, die die Wissenschaftler verwenden, für viele nicht geläufig sind und man Angebote wie spezifische Workshops wahrnehmen sollte, um in die Thematik eingeführt zu werden.
So wendet man das neue Bewertungssystem an
Um die Muskulatur des Pferdes gut bewerten zu können, sollte das Pferd in gewohnter Umgebung beurteilt werden. „Das hat den Vorteil, dass das Pferd keine ungewohnte Körperhaltung einnimmt und entspannt ist. Zur Beurteilung sollte es nämlich Hals, Kopf und Rücken etwa auf einer Höhe tragen“, erklärt Isabelle Lange. Der Untergrund sollte eben sein, damit das Pferd alle vier Beine gleichmäßig belastet. „Sehr wichtig finde ich auch, dass die seitliche Beurteilung von beiden Seiten stattfindet! Oft hat man an der Schulter eine unterschiedliche Ausprägung und muss eine Seite anders bewerten als die andere“, rät die Tierärztin.
Schulter
Legen Sie Ihre Hand quer auf das Rückenteil des Schulterblatts. Das Schulterblatt direkt ist nicht spürbar, aber es besitzt eine vertikal verlaufende und hervorstehende Knochenleiste (Spina scapulae). Diese Knochenleiste kann man fühlen und beurteilt dann, inwiefern sich die Muskelbäuche rechts und links dieser Knochenleiste hervorwölben.
Hals
Dreieck vor Schulterblatt auf dem letzten Drittel des Halses: Schieben Sie Ihre Hand mit den Fingerspitzen zum Mähnenkamm zeigend unter das Nackenband über das Muskeldreieck. Beachten Sie, ob Ihre Hand sich durchbiegt, gerade ist oder ob sich Ihre Hand nach außen biegt aufgrund eines leicht hervorstehenden Muskeldreiecks.
Hals-Muskeln: Sehen Sie sich die Muskulatur an und fühlen sie diese, um zu beurteilen, ob die Muskulatur prominent ist oder nicht.
Rücken
Legen Sie Ihre Hand quer auf die Mittellinie des Pferdes, auf Höhe der halben Strecke zwischen Widerrist und Hüfthöcker. Fühlen Sie die Muskulatur rechts und links der Dornfortsätze.
Kruppe von hinten
Stellen Sie sich in einer geraden Linie ein paar Meter hinter dem Pferd auf und bewerten Sie die die Muskulatur auf der Kruppe (obere rote Linie) und die untere rote Linie (auf halbem Weg zwischen Kruppe und dem Schweifansatz).
Muskelübergänge
Legen Sie die flache Hand auf die Stelle, wo sich die drei Muskeln (m. gluteus superficialis, m. bizeps femoris und m. Tensor fasciae latae) kreuzen. (Siehe auch Foto oben, braunes Pferd, die gestreifte Fläche an der Hinterhand.)
Das Pferd fühlen
Je nachdem, wie stark die Muskulatur ausgeprägt ist, erhält sie entsprechend des Muscle Condition Score eine Punktzahl von eins bis fünf: 1 beschreibt den Zustand, dass die Muskulatur kaum ausgeprägt ist und die entsprechende Stelle, wo die Muskulatur liegt, eher hohl erscheint oder eingesunken wirkt. Bei dem Score 5 hat man eine stark ausgeprägte Muskulatur vor sich. Man kann dies sehen und fühlen. Die Hand wölbt sich bei einigen Muskeln leicht, wenn diese gut ausgeprägt sind.
Muskulatur beurteilen: ein Gesamtbild machen
Ob die Muskulatur mild bis mäßig (Wert 4) oder markant (Wert 5) hervortritt, ist für Laien nicht einfach zu beurteilen. Hinzu kommt, dass der Score mit Vollblütern entwickelt wurde. „Andere Rassen sind teilweise ganz anders gebaut, haben beispielsweise einen viel stärker ausgeprägten Hals als ein Vollblüter. Auch bei adipösen Pferden (Body Condition Score mehr als 7) ist der Muscle Condition Score nur eingeschränkt anwendbar, da an den zu bewertenden Lokalisationen mit Fettauflagerungen zu rechnen ist, was die Beurteilbarkeit der Muskulatur einschränkt“, so Isabelle Lange.
Es sei auch schwierig zu sagen, dass ein Pferd eine bestimmte Punktzahl haben müsse. Die Scores 1 und 2 seien bedenklich, vor allem wenn ein Pferd reiterlich genutzt werde. Es sollte mindestens eine 3 sein. „Wichtiger als die genaue Punktzahl ist, dass man die Muskulatur fühlt und sich ein Gesamtbild des Pferdes macht: Wie ist der Ist-Zustand und wie entwickelt sich das Pferd? Dann weiß man, ob man anders trainieren müsste und bemerkt beim Abtasten auch, ob es Hinweise auf Verspannungen an bestimmten Bereichen gibt. Das sind Anhaltspunkte die zeigen, ob man vielleicht reiterlich oder bei der Ausbildung Fehler macht.“
Unsere Expertin: Isabelle Lange
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