Reiter und Pferd stehen häufig vor Herausforderungen, die nicht nur technischer, sondern auch mentaler Natur sind. Trainer René Baumann hat mit der Methode des „Mental Kinetischen Springreitens“ einen Lösungsansatz.
Korrekt sitzen und korrekt reiten ist wichtig, reicht jedoch nicht für den Erfolg im Reitsport – weder im Alltag noch auf dem Turnier. Jeder Reiter kennt diese Situationen: Eine Kuhweide beim Ausreiten, an der das Pferd in Panik gerät. Eine bestimmte Person sitzt an der Bande, die man während der Reitstunde so gar nicht gebrauchen kann. Es läuft zu Hause alles super und auf dem Turnier geht plötzlich gar nichts mehr. Oder ganz simpel: Das Pferd lässt sich wieder nicht auf den Zirkel abwenden.
Die angebotenen Lösungen verschiedener Reitlehrer beinhalten meistens Phrasen. „Entspann dich doch mal“, „konzentrier dich“, „bleib außen mehr dran“ und viele mehr, die nicht wirklich helfen. Trainer René Baumann war selbst in dieser Situation, suchte nach Lösungen und hat es geschafft, diese zu entwickeln. Als erfolgreicher Nachwuchsspringreiter erlitt Baumann einen schweren Reitunfall. Nach einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt fand er den Weg zurück in den Sattel, wurde dabei allerdings von körperlichen und mentalen Schwierigkeiten begleitet. Ein schiefer Sitz und die Gedanken an den Sturz beeinträchtigten ihn im täglichen Reiten und auf dem Turnier.
Bewegungslehre und klassische Reitlehre
Die Lösung für Baumann: Intensive Auseinandersetzung mit der Bewegungslehre und eine Trainerausbildung nach der klassischen Reitlehre. „Leider war Mentaltraining zu diesem Zeitpunkt in der Reiterwelt überhaupt noch kein Thema, sodass ich mich selbstständig in diesem Bereich weiterbildete.“ Später folgte eine professionelle Ausbildung zum Mentaltrainer. „Durch dieses Ereignis habe ich mein Leben noch mehr den Pferden gewidmet. Ich wollte sie besser verstehen“, erklärt Baumann.
Parallel zu Schule und Lehramtsstudium in Sportwissenschaften und Mathematik unterrichtete er unterschiedliche Pferde und Reiter in Springen, Dressur und Vielseitigkeit. 2019 wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit. Mittlerweile bestreitet er nationale und internationale Springprüfungen bis zur Klasse S und teilt sein Wissen mit zahlreichen Reitern und Trainern in Trainingseinheiten, Vorträgen und Seminaren. Anfang 2023 entwickelte er daraus gemeinsam mit Tierärztin Laura Kern, die in Budapest promovierte, die „MKS-Trainerausbildung“.
MKS: Mental kinetisches Springreiten
MKS steht für „Mental kinetisches Springreiten.“ Die Ausbildung entstand in Zusammenarbeit mit einer Bildungseinrichtung in der Schweiz und wurde dort bereits zwei Mal durchgeführt. Die Zielsetzung der Trainerausbildung: Den angehenden MKS-Trainern beizubringen, nicht nur die Probleme zu benennen, sondern deren Ursachen herauszufinden und dafür maßgeschneiderte Lösungen anzubieten. Die Kernfragen sind: „Gibt es mentale Blockaden im Kopf des Reiters, was passiert im Körper von Pferd und Reiter und warum führt das in dieser Situation zu einem Problem?“
Die Entwickler sind sich einig: „Ein Trainer, der die Ursachen versteht, kann die bekannten Phrasen in seinem Reitunterricht durch echte Lösungen ersetzen. „Du hast schon wieder in der Wendung den Rhythmus verloren“ – ein Satz, der in Reitstunden regelmäßig zu hören ist. Baumann geht weiter. Er identifiziert in seinen Trainingseinheiten die Ursache, anstatt das Problem nur zu benennen. „Hat der Reiter mentale Blockaden? Ist das Pferd in sich gerade? Sitzt der Reiter symmetrisch? War der Weg gut gewählt?“
Herausforderungen bewältigen
Mental-Kinetisches-(Spring-)Reiten kombiniert das Training zu mehr mentaler Stärke und Konzentration des Reiters mit den kinetischen, das heißt bewegungsbezogenen Aspekten von Reiter und Pferd. Die Trainingmethode soll Reiter und Pferd zu mehr Erfolgen beim Reiten und auf Turnieren verhelfen und dabei unterstützen, Herausforderungen im Alltag zu bewältigen. „MKS bietet eine individuelle Lösung für jedes Pferd-Reiter-Paar. So erkennt ein ausgebildeter MKS-Trainer die mentalen und körperlichen Defizite des Reiters sowie die körperlichen Defizite des Pferdes und bietet dafür passgenaue Lösungen“, erklärt Tierärztin Kern. Baumann bildet nicht nur MKS-Trainer aus, sondern bietet auch MKS-Trainingseinheiten in Niedersachsen und MKS-Lehrgänge in Deutschland und der Schweiz an. Teilnehmen darf jeder Interessierte, unabhängig von Leistungsstand und Problemstellung.
Erst Sturz, dann Probleme…
Pferdewirtschaftsmeisterin Christine Theilen absolviert seit einem halben Jahr MKS-Trainingseinheiten bei Baumann. Theilen ist 34 Jahre alt und betreibt in Westerstede einen Reitsportbetrieb. Sie ist in Dressur- und Springprüfungen bis zur Klasse M erfolgreich auf Turnieren gestartet. Mittlerweile widmet sich Theilen der Jungpferdeausbildung und ihren Reitschülern und startet häufig in Springpferdeprüfungen. Theilen stürzte vor einigen Jahren auf dem Turnier. „Ich hatte daraufhin Probleme mit höheren Hindernissen. Dann hatte ich noch ein Pferd, dass vor dem Sprung gerne mal stehenblieb und gestiegen ist. Das war immer ein unschönes Gefühl. Geht er jetzt rüber oder nicht?“ Baumann kannte sie von einem Springlehrgang, an dem sie teilnahm. „Dann habe ich von MKS gehört, wollte das mal ausprobieren.“
Mentale Übungen im Sattel für Stresssituationen
Der Trainer erklärt, woran sie gearbeitet haben: „Ein Reiter muss lernen mit der Stresssituation umzugehen, da hilft kein ,entspann dich einfach mal‘. Es gibt für jeden Fall spezielle mentale Übungen, die auch Christine sehr gut geholfen haben.“ Die Besonderheit an der MKS Methode: „Die mentalen Übungen finden ausschließlich auf dem Pferd, während des Reitens statt. So erzielen wir schnell und unkompliziert nachhaltige Ergebnisse“. Theilen berichtet weiter: „Im Unterricht haben wir festgestellt, dass mein Pferd nicht genügend geradegerichtet war. Durch das Erarbeiten einer besseren Geraderichtung beim Anreiten an die Hindernisse springen meine Pferde deutlich besser.“
Die mentalen Übungen finden ausschließlich auf dem Pferd statt.
Baumann gibt Einblicke in eine Übung, die er unteranderem zur Lösung von Schwierigkeiten mit der Geraderichtung nutzt: „In einer Volte soll der Reiter sein Pferd bewusst über den inneren Schenkel nach außen drücken. Dadurch vermittele ich ein Gefühl für den Effekt des inneren Schenkels. Im Anschluss soll der Reitschüler das Pferd mit den äußeren Schenkel- und Zügelhilfen begrenzen. Dann sagen die inneren Hilfen ,Pferd bewege dich nach außen‘ und die äußeren Hilfen sagen ,du darfst nicht nach außen gehen‘. Sie begrenzen und der Reiter rahmt das Pferd ein.“
Diagonales Reiten in beide Richtungen
Es gehe darum, ein Gefühl für den Einsatz und die Wirkung der diagonalen Hilfen zu bekommen. „Wenn ich das gleichmäßig hinbekomme, geht es weder nach innen, noch nach außen. Ich habe dann ein Pferd, das an den Hilfen steht, sich besser selbst tragen und in sich organisieren kann.“ Baumann nennt das „diagonales Reiten in beide Richtungen“. Daraus resultiere häufig ein neues Reitgefühl oder wie es ein Trainingsteilnehmer Baumanns formulierte: „So etwas habe ich noch nie gefühlt, einfach irre!“
Auch Theilen ist begeistert: „Meine Pferde springen besser und ich kann wieder viel selbstbewusster zum Sprung reiten. Letzte Woche bin ich in einem Lehrgang einen höheren Parcours gesprungen, den ich vor einem halben Jahr nicht mit einem guten Gefühl geritten wäre. Die ganze Kombination aus mentalem Training, der Arbeit am Pferd und am korrekten Reitersitz – das hat mir sehr geholfen. Ich versuche jetzt einmal in der Woche zu René zu fahren, schaffe es nur wegen des Betriebes zuhause leider nicht immer.“
Ausbildung zum MKS-Trainer
Die MKS-Trainerausbildung wird seit 2023 in der Schweiz angeboten. Ab Januar 2025 gibt es sie auch in Deutschland. Zugelassen sind ausgebildete Trainer und Pferdewirte. Die Trainerausbildung legt ihren Fokus auf das Springtraining, wobei die teilnehmenden Trainer allerdings ebenso aus der Dressur oder der Vielseitigkeit kommen. „Die Trainer bekommen eine Toolbox an die Hand, die sie in ihren eigenen Unterricht mitnehmen können, unabhängig von der Reitsportdisziplin“, erklärt Baumann. Darin enthalten sei viel Fachwissen u. a. zu Anatomie, Bewegungsorganisation von Pferden, Bewegungsmustern, Biomechanik, Konzeption, Methodik und Didaktik, mentale Übungen, die direkt auf dem Pferd angewandt werden können, und vieles mehr.
Baumann gibt ein Beispiel: „Es stehen zwei Pylonen im Abstand von 30 Metern in der Reitbahn. Ein Reiter hält mit seinem Pferd an Pylone eins an, schließt die Augen und versucht auf einer geraden Linie im Schritt zu Pylone zwei zu reiten und selbstständig möglichst nah an der Pylone zu halten. Die Augen bleiben die ganze Zeit geschlossen. Das funktioniert in den seltensten Fällen von Anfang an. So schule ich die Konzentration und die Körperwahrnehmung der Reiter.“
Intensiver Praxisteil
Die Ausbildung enthält einen intensiven Praxisteil: Die angehenden MKS-Trainer lernen von Baumann, wie sie die in der Theorie gelernten mentalen und pferdebezogenen Inhalte in der Praxis anwenden können. Die Reiter werden durch das Training befähigt, die identifizierten Stellschrauben in ihrem Körper und Kopf bewusst anzusteuern, um möglichst harmonisch und selbstbewusst auf dem Pferd zu sitzen. Von Tierärztin Kern lernen die Trainer das Pferd und dessen Asymmetrien im Bewegungsablauf zu betrachten und zu beurteilen. Diese resultieren sowohl durch die Muskulatur, die das Pferd in der Ausbildung entwickelt hat, als auch aus der natürlichen Schiefe. „Mein Kernanliegen ist die Gesunderhaltung des Pferdes durch individuell abgestimmtes und angepasstes Training. Das ist für mich gelebter Tierschutz“, erklärt die Tierärztin.
Anschließend wird das Gelernte kombiniert und in einem kurzen Springparcours abgefragt. Hier lernen die angehenden MKS-Trainer auch, wie sie ihr Training z. B. möglichst turnier-nah gestalten oder auf bestimmte Problemsituationen aus dem Alltag der Reitschüler eingehen können. Alle Aspekte werden ganzheitlich betrachtet. Dr. Kern und Baumann sind sich einig : „Aus MKS kann jeder etwas für sich mitnehmen, egal, ob das Ziel ist, morgen Olympia zu reiten oder beim Ausritt an der Kuhweide vorbeizukommen.“
Hanna Hagenbrock
Das ist MKS
Mental-Kinetisches-(Spring-)Reiten kombiniert das Training zu mehr mentaler Stärke und Konzentration des Reiters mit den kinetischen, das heißt bewegungsbezogenen Aspekten von Reiter und Pferd. Die Trainingsmethode soll Reiter und Pferd zum einen zu vermehrtem Reit- und Turniererfolg helfen und zum anderen dabei Herausforderungen im Alltag zu bewältigen.
www.reitcoaching-baumann.de
Unsere Experten
René Baumann
1992 in Niedersachsen geboren und auf dem Hof seiner Eltern aufgewachsen. Er studierte Lehramt. Mittlerweile reitet Baumann erfolgreich bis Klasse S und unterrichtet Reitschüler vom Einsteiger bis zum Olympiateilnehmer. Er ist ausgebildeter DOSB-Trainer Reiten, BKR-Trainer und Mentaltrainer. Im Jahr 2023 entwickelte er die MKS-Methode und die dazugehörige Trainerausbildung in der Schweiz.
dr. vet. Laura Kern
1988 geboren, studierte Tiermedizin und promovierte in Ungarn (dr. vet). Seit 2019 verbeamtete Tierärztin beim Veterinäramt des Landkreises Cloppenburg. Aktuell besitzt sie drei eigene Pferde und startet im Springsport im Amateurbereich bis Klasse M. Kern war maßgeblich an der Entwicklung der MKS Trainerausbildung beteiligt.
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