Blog 6: Von einem mysteriösen Wurm, Dressurpferden im Busch und miesen Mücken

Von
Pochhamers Rio Blog3

(© Pauline von Hardenberg)

Das persönliche Resümee eines aufregenden Geländetages mit offenen Fragen, besonderen Pferden, vielen Mücken und freundlichen Menschen.

Wir grübeln noch immer, was mit dem deutschen Team passiert ist, warum plötzlich der Zauber verflogen ist, der die Schützlinge von Hans Melzer und Chris Bartle in den letzten sechs Jahren von Sieg zu Sieg geführt hat. Eigentlich war von Anfang an ein bisschen der Wurm drin, der unglückliche Austausch von Andreas Ostholt zugunsten der Reservistin Julia Krajewski, die fehlerhaften Dressuren der ersten drei. Sandra Auffarth wirkte angefressen, schon nach der Dressur: „Wenn Hans Melzers Plan, (sie als erste starten zu lassen) nicht aufgegangen ist, dann war der Plan wohl falsch.“ Im Gelände stießen ihre Kräfte mit der Bändigung von Wolle offenbar an die physische Grenze. Das war nicht das Paar, das wir kennen. Ingrid Klimke vergab mit dem überflüssigen Vorbeilaufer nicht nur in Sekundenbruchteilen eine mögliche Team-Goldmedaille, sondern auch eine Chance für sich, die sie vielleicht nie wieder bekommt. Und dann das Desaster mit Julia, begleitet von unflätigen Kommentaren von ARD-Reporter Carsten Sostmeier („brauner Strich in der Hose“) – das empört wirklich alle, die hier sind. Laue Statements von FN und DOSB, etwas deutlicher von Sostmeiers Chef Gerd Gottlob. Na ja. Sostmeier selbst gab sich zerknirscht: „Es liegt mir fern, Sportler beleidigen zu wollen, und wenn das so angekommen sein sollte, dann kann ich mich nur aus tiefstem Herzen entschuldigen.“ Mal sehen, ob Julia die Entschuldigung annimmt.

Verfassung ist zu Ende, die Deutschen und alle Führenden gut durch. Nur noch Franzosen und Briten haben vier Reiter, alle anderen Teams haben mindestens einen Reiter durch Ausscheiden verloren. Jetzt gehen sie den Parcours ab. Besonderen Spaß macht der hübsche Santano II vom in Führung liegenden Australier Christopher Burton. Kein Pferd hier hat so wenig Erfahrung wie der Sandro Hit-Brentano II-Weltmeyer-Sohn, der mit der absoluten Mindestqualifikation zu seinem ersten CCI**** nach Rio kam: einmal CCI*** in Saumur, (Sieg), zwei CIC***-Platzierungen. Der erst Neunjährige wurde als Dressurpferd nach England verkauft, bis die Besitzerin meinte, dass sie mit dem schlechten Schritt in der Dressur nicht weit kommen würde (obwohl wir ja auch schon vierbeinige Olympiasieger gesehen haben, deren Schritt einem die Tränen in die Augen trieb). Jedenfalls stellt sie den Schwarzbraunen ins Internet, dort fand ihn beim Surfen an einem langen Winterabend die Frau von Christopher Burton. „Ich finde dir ein Pferd“, hatte sie versprochen. Nicht mal Freispringen hatte Santano bis dahin gemacht. „Wir wissen doch, dass die aus der Linie nicht springen können“, verriet Aufzüchter Rudolf Rehkamp. Wozu also. Ziemlich mutig von australischen Verband, ein so junges und unerfahrenes Pferd mitzunehmen. Aber es hat sich ausgezahlt.

Pauline von Hardenberg

Geschenk eines brasilianischen Mädchens: ein Kopftuch für Fotografin Pauline von Hardenberg (© Pauline von Hardenberg)

 

Im Gelände gestern konnte man jeden Besucher mit Handschlag begrüßen, ihre Zahl wurde von der der Mücken weit übertroffen. Zum Glück kommen sie nicht zu mir, aber alle anderen sind schwer mit dem Einsatz von „Antibrumm“ beschäftigt. Der deutsche Mannschaftsarzt Dr. Manfred Giensch war eben im Pressenzentrum und bringt uns noch ein paar Wundermittel.

Jeden Tag aufs Neue ist man von der unglaublichen Freundlichkeit der Brasilianer fasziniert. Pauline saß gestern mit ihrer Fotoausrüstung am Wasser, als ein kleines Mädchen zu ihr kam und sie fragte, woher sie käme und so weiter. Sie wollte auch so gerne Fotografin werden, das wäre ihr Traum. Pauline schenkte ihr einen FN-Pin, kurze Zeit später kam die Kleine mit einem Tuch in brasilianischen Farben wieder, dass Pauline jetzt um ihre Schirmmütze geschlungen hat.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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  1. Lena Vogel

    Es ist doch wirklich nichts neues, dass sich Herr Sostmeier bei seinen Kommentaren im Ton vergreift. Besonders im letzten Jahrzehnt scheint es immer öfter immer heftiger zu passieren. Warum hat ihm das nicht schon früher mal irgendjemand deutlich gesagt?
    Ich schalte bei Kommentierungen durch ihn seit langem meist den Ton weg…

  2. Holger Kern

    Sehr geehrte Frau Pochhammer, ich möchte mich an dieser Stelle einmal bedanken für Ihre Arbeit. Ich kenne niemanden, der gehaltvollere und lesbarere Texte schreibt als Sie. Einerseits sachlich und auf fachlich hohem, richtigem Niveau, andererseits lebendig, persönlich, eigen und immer fair den behandelten Personen/Themen gegenüber. Großer Respekt!


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