St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer hat den Aachen-Sieger im Flughafen-Chaos erwischt und lässt die Tage in der Soers noch einmal Revue passieren.
So schnell kann‘s gehen: Gestern noch auf hohem Ross als bejubelter Sieger im Großen Preis von Aachen, heute in eine ätzend langen Schlange vor dem Abfertigungschalter am Düsseldorfer Flughafen. Gerrit Nieberg, der Sensationssieger in der Soers, hatte sich seinen ersten Urlaubstag auch anders vorgestellt. „Zwei Flieger sind schon ausgefallen, jetzt werden wir nach Köln gefahren“, erzählte er leicht genervt, als ich ihn gestern auf dem Handy erwischte. Der Urlaub auf der griechischen Insel Kos zusammen mit seiner Freundin Johanna war lange geplant und deswegen blieb auch keine Zeit, den Sieg ausgiebig zu feiern. „Als wir Sonntag abend zuhause waren, war es schon zehn Uhr, das war dann zu spät.“ Das Sieggeld geht natürlich wie meist im Pferdesport nicht auf sein Konto. „Leider nicht“, sagt er, „sondern auf das der Pferdebesitzer, das sind mein Vater und dessen Chef Henrik Snoek.“ Und im September in Calgary hat Gerrit die Chance, für seine beiden heißesten Fans nochmal eine Million draufzupacken.
Das Saisonziel? Welche Frage! „Wir wollen zur Weltmeisterschaft“, sagt Gerrit Nieberg und da klingt gar kein „Vielleicht“ oder „Es wäre schön, wenn“ mit durch. Hier meldet einer ganz cool Ansprüche an. Übrigens hatte Gerrits Vater Lars Nieberg dieselben Worte schon beim Leipziger Weltcupfinale im April gebraucht. Wer Otto Becker kennt, der weiß, dass sich der Bundestrainer nicht unter Druck setzen lässt. „Theoretisch müsste ich dann ja nach jeder Prüfung eine neue Mannschaft aufstellen!“, sagt er. „Am Ende zählt die konstante Leistung.“
Gerrit Nieberg hatte sich den Sieg verdient, der viele Menschen anrührte, wenn auch wohl keiner in so herzzerreißendes Schluchzen ausbrach wie ARD-Moderator Carsten Sostmeier. Ich finde, wir alle hatten nach den Tiefschlägen am Samstag noch mal ein Highlight verdient. Ein Tag zum Vergessen war das. Zunächst der Tod des 17-jährigen Weltmeisterschaftspferdes Allstar B der Britin Ros Canter, das sich bei dem Versuch, an Hindernis 16d vorbeizulaufen, einen offenen Rotationsbruch am linken Krongelenk zugezogen hatte. Nicht operabel und keine Chance für Allstar auf ein schmerzfreies Weiterleben, auch nicht als Rentner auf der Weide. Es wäre nett gewesen, wenn die siegreichen britischen Teamreiter ihre Empathie für das tragische Missgeschick ihrer Teamkameradin, die sie sicherlich hatten, mit einem kleinen Satz gezeigt hätten. Nicht alle hatten an diesem Tag einen „wonderful ride and such fun“ gehabt.
Bevor Allstar eingeschläfert wurde, musste, so wie es das FEI-Reglement fordert, noch eine Dopingprobe genommen werden. Auch gibt es, wie in solchen Fällen vorgeschrieben, noch ein „post mortem“, eine genaue Untersuchung, bei der eventuell auch Gewebeproben genommen werden. Das Ergebnis liegt dann erst in einigen Wochen vor. Bemerkenswert war übrigens die schnelle Reaktion des Nothelferteams. Es dauert kaum eine Minute, da war das Pferd, das auf drei Beinen stand, durch eine Plane vor den Blicken Neugieriger geschützt, keine fünf Minuten, bevor der Notfallwagen an der Unfallstelle war, der sich nach zehn Minuten mit dem notversorgten Pferd in Richtung Pferdeklinik in Bewegung setzte.
Diskussionen um Geländeritte
Weniger dramatisch aber auch nicht komisch, war die Situation nach dem Ende der Geländeprüfung, als die Jury zwei Stunden für die Erkenntnis brauchte, das Chipmunk doch nicht korrekt über Hindernis 14 gesprungen war und ihm 15 Strafpunkte aufbrummte. Für Jung und auch die als Siegerin nachgerückte Sandra Auffahrt eine Nervenzerreißprobe. Am Ende stand die Frage, warum Jung eigentlich Kilcandra Ocean Power und nicht sein Erstpferd Chipmunk in der deutschen Mannschaft ritt. Er hatte dem Bundestrainer Peter Thomsen, der sein Amt erst Anfang des Jahres übernommen hat, schon im Vorfeld mitgeteilt, dass er sein relativ unerfahrenes Nachwuchspferd fürs Team reiten wolle, um Chipmunk, seine Hoffnung für die WM im September, nach einer Trainingspause erst allmählich aufzubauen. Nach Aufbautraining sah der Ritt allerdings nicht aus, eher nach dem Ziel, unbelastet von Teamverantwortung schnurstracks zum Preisgeld von 33.000 Euro zu galoppieren. Mit Kilcandra Ocean Power wurde Jung nur 25., mit Chipmunk hätte man, trotz Herunterstufung auf Platz acht, den Briten den Nationenpreissieg noch entrissen. Manches ist halt eine Frage der Prioritäten.
Damit nicht genug des Elends. Nachmittags wurde Isabell Werth im Special abgeklingelt, weil Quantaz aus dem Maul blutete. Als das Glöckchen ertönte, dachte Isabell erst, sie hätte sich verritten, dann guckte sie am Pferdebein runter, auch nichts, schließlich sah sie die Chefrichterin auf sich zumarschieren, die wischte Quantaz das Maul mit einem weißen Taschentuch ab und zeigte die rosa Blutspuren. „Sowas ist mir noch nie passiert“, sagte Isabell, „aber wer noch nicht alles erlebt hat, ist einfach noch nicht lange genug dabei.“ Sie ist seit 35 Jahren dabei, eigentlich sollte das für Erfahrungen aller Art reichen.
Schon bei der Routine-Gebisskontrolle am Ausritt war übrigens nichts mehr zu sehen, genauso wenig wie bei einer weiteren Kontrolle abends durch den Tierarzt. Schon Stunden nach den Vorfällen forderte – nicht überraschend – die Organisation PETA, jeglichen Pferdesport zu verbieten. Hatte was von „Und täglich grüßt das Murmeltier.“
Zu den erfreulichen Terminen gehörte das Treffen in der Rolex-Lounge mit den beiden „Testimonials“ Meredith Michaels-Beerbaum und Daniel Deußer. Meredith, wie immer strahlend, toll frisiert und wahnsinnig schick mit einem chanel-artigen weißen Jäckchen, erzählte aus alten Zeiten und von ihrem neuen Leben als Turniermutter der zwölfjährigen Tochter Brianne. „Ich habe viel mehr Angst als meine eigene Mutter damals um mich“, sagt sie. „Ich weiß, denn ich kenne die Gefahren unseres Sports.“ Noch hat die dreimalige Weltcupsiegerin die Hoffnung auf ein Comeback nicht begraben. „Aber nur wenn ich wieder ein Pferd wie Shutterfly bekomme“, sagt sie. Suchen kann sie ja schon mal, denn feststeht: Das Pferd ist schon geboren, sie muss es nur finden.
Übrigens weiß ich jetzt, warum der Rasen in der Soers auch Starkregen-Attacken, wie sie es auch dieses Jahr wieder gab, standhält. Im CHIO-Museum oben im Verwaltungsgebäude stehe ein Glasbehälter mit einer Bodenprobe, die die kunstvolle Konstruktion aus fünf Schichten zeigt. Der trittsichere Untergrund ist schließlich noch wichtiger als der raffinierte Aufbau oben auf dem Gras.
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Liebe Frau Pochhammer,
Editorials, wie Sie sie schreiben, kann nicht jeder. Ich als Journalistin lese sie immer wieder mit Begeisterung. Gerade auch, weil Sie Fakten und Meinung klug und informativ miteinander verbinden. Ein offener Bruch am linken Krongelenk von Allstar B ist eben leider nicht behandelbar, so unendlich traurig es für das Pferd auch ist. Ich habe den Zwischenfall im Fernsehen gesehen und ein Pferd, das ein Bein nicht belasten will/kann, lässt von Anfang an das Schlimmste befürchten. Was einige unsägliche Kommentare hier und in anderen Medien bezüglich der Quälerei und des Zwangs, der den Pferden angetan wird, angeht, Eventer, die erfolgreich einen 4-Sterne-Kurs oder mehr absolvieren, kann man nicht zwingen. Die wollen. Egal, ob Luhmühlen, Aachen, Badminton oder Burghley – die Pferde sind genauso fokussiert wie ihre Reiter.
Video gesehen? Allstar wollte eben nicht mehr! Er ist vorbei gelaufen bzw. hat es versucht.
Warum müssen solche derart schmalen Schwachsinnshindernisse nunmehr im Gelände aufgebaut werden bei ungerader Linienführung? Was soll das sein- Dressur im Gelände?
Wir sollten allmählich viel mehr hinterfragen, was wir den Pferden abfordern- gerade im Busch. Jeder Tote ist einer zu viel- ob Mensch oder Pferd. Sonst tun es andere für uns- zu Recht!
Dem kann ich nur beipflichten, leider ist das Gelände in den höheren Klassen total ausgereizt.
Liebe Frau Pochhammer,
auch ich schätze Sie und Ihre journalistische Arbeit. Allerdings wundere ich mich darüber, wie mit dem tödlichen Unfall von Allstar B in Aachen umgegangen wurde. Noch vor einigen Jahren wurden Veranstaltungen nach tödlichen Unfällen abgebrochen. In Aachen ließ man die Prüfung nach kurzer Unterbrechung weiterlaufen, obwohl allen Beteiligten klar gewesen sein muss, dass es für das Pferd keine Rettung geben würde. Die Öffentlichkeit wurde lange über das Schicksal des Pferdes im Unklaren gelassen. Canter und Alby waren nicht das einzige Paar, das an dieser Hindernis- Kombination Probleme hatte. Warum war das so? Und: Die Reiterin ritt wenige Stunden nachdem ihr Pferd eingeschläfert werden musste, den CHIO-Cup, eine „Spaßprüfung“. Es ist alles andere als glaubwürdig, wenn man einerseits über die Medien gefühlige Abschiedsworte verbreitet und kurz danach zum Tagesgeschäft übergeht. Ich finde, manchmal muss man innehalten und darf die Show nicht einfach weitergehen lassen. Oder haben wir so wenig Achtung vor dem Leben und dem Tod?
Liebe Frau Neumann,
ich denke, man wird Rosalind Canter zugestehen müssen, dass sie nach dem Verlust des Pferdes erst einmal unter Schock steht, bevor die Trauer kommt.
Auch wenn es für Unbeteiligte befremdlich wirken mag, anschließend an einer Spaßveranstaltung teilzunehmen, darf man hier ein bisschen nachsichtig sein. Vielleicht hat es ihr über den Tag geholfen, die ersten Stunden nach dem Verlust das Tagesgeschäft zu absolvieren, wie es zunächst geplant war.
Liebe Frau Martsch,
es mag sein, dass Frau Canter unter Schock stand und ihr das Tagesgeschäft Halt gegeben hat, wie I.B. es ausdrückte. Aber es geht nicht um Frau Canter, sondern darum, dass ihr Pferd im Cross zu Tode gekommen ist. Muss ich als betroffene Reiterin danach an einer Spaßveranstaltung teilnehmen? Hätte der Veranstalter die Reiterin vor dem zu erwarteneden Shitstorm schützen müssen? Muss diese Spaßveranstaltung am Abend überhaupt stattfinden? Ich denke, diese Fragen sind diskussionswürdig – gerade im Interesse des Reitsports.
Da gebe ich Ihnen Recht. Der Veranstalter hätte hier einschreiten müssen. Allein um das „Bild nach außen“ zu vertreten und hier keine Projektionsfläche zu bieten. Im üblichen CHIO-Newsletter über gelungene Veranstaltungen des Tages ist sie sogar namentlich unter einem Foto erwähnt. Ok, das wird eine Agentur gemacht haben. Und sie ist in D. nicht so bekannt. Aaber alles in allem ein schlechtes professionelles Handling, wie es heute heißt. Der Unfall selbst passiert überall.
Dass Ros Canter abends noch mit ihrem zweiten Pferd – Allstars langjährigem Stallgefährten Zenshera – das Ride & Drive geritten ist, rechne ich auch ihrer professionellen Einstellung zu und vielleicht auch dem Wunsch, sich selbst und dem verbliebenen Pferd zumindest ein bisschen Halt und Normalität zu geben. Die mangelnde Empathie ihres Mannschaftskameraden William Fox-Pitt hat mich allerdings auch schockiert. Ich habe ihm nach der Prüfung zu seinem eigenen gelungenen Ritt gratuliert und mein Bedauern über den Tod von Allstar ausgedrückt. Woraufhin er lediglich lapidar bemerkte: „That´s our sport!“ und einen rasanten Themenwechsel vollführte.