Alle müssen Verantwortung übernehmen

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(© Screenshot TV2)

Der Fall Helgstrand hat ein Erdbeben in der Pferdewelt ausgelöst. Aber es war eines mit Ankündigung, und Vodskov ist nicht der einzige Ort der Welt, an dem es zu knallen droht. Wo stehen wir in Sachen Social License?

Der organisierte Pferdesport hat ein Problem. Und das Problem ist nicht, dass uns die Social License abhanden zu gehen droht. Das ist nur die Konsequenz des Problems. Dessen Ursache ist das Pferdebusiness selbst. Das Wegschauen, Mitmachen, Schweigen. Rumms, da war sie da, die Dokumentation über den Alltag bei Helgstrand Dressage, gezeigt von einem dänischen TV Sender und mit Strahlkraft bis über den Atlantik. Was haben wir dort gesehen? Wir haben Gewalt gegen Schwächere gesehen, gegen Pferde und Pfleger, physische und psychische Gewalt. Und was sind die überwiegenden Reaktionen von „Insidern“? Achselzucken. Ist doch nichts Neues. Oder gar: „Das sehe ich bei uns im Stall auch täglich.“ Was klar macht: Die mutige und kluge Reporterin Rebekka Klubien hat hier nichts enthüllt, sie hat Beweise für etwas dokumentiert, das nicht nur bei Helgstrand gelebter Alltag ist und von dem viele wussten, wie es läuft.

Ist Helgstrand also ein einzelnes schwarzes Schaf? Natürlich nicht. Ich persönlich erinnere mich an ein deutsches Paar aus einem bekannten Handelsstall in der Vorbereitung auf eine Nachwuchspferde-Grand Prix-Prüfung. Die Szene: Ein sichtlich überfordertes Pferd, das einfach nicht wusste, was von ihm erwartet wird, eine ebenso starke wie skrupellose Reiterin samt Trainer, die vorne zog, unten stach und hinten draufhaute. Das Pferd mit blanker Panik im Blick. Was hat der Steward gemacht? Nichts. Vielleicht weil sie eine Vertreterin des gastgebenden Vereins war? Ich war geschockt. Aber warum eigentlich? Ein anderes Pferd aus diesem Stall ging Wochenende für Wochenende zum Amusement seiner Reiterin und Besitzerin mehr oder weniger erfolgreich Grand Prix-Prüfungen mit Ergebnissen knapp unter 70 Prozent, meist fehlerlos. Und immer mit einem Gesichtsausdruck, der klarmachte: Dieses Pferd hat sich aufgegeben. Jeglicher eigener Wille, jegliches Leben wurde ihm genommen. Aber es piaffierte, wo es sollte, es machte fliegende Wechsel, wenn es sollte und es tat einen tiefen Seufzer, wenn es das letzte Mal auf der Mittellinie angehalten wurde. Vorbei. Zumindest für heute. Armes Pferdeleben.

Die Richter sind schuld?

Es wäre zu einfach zu sagen, die Richter haben es in der Hand. Denn was haben sie bei oben genanntem Beispiel gesehen? Das war kein in dem Moment gequältes Pferd, sondern eines, das brav, aber glanzlos seinen Job gemacht hat, durchschnittliches Ergebnis der Einzelnoten: knapp unter „ziemlich gut“. Was die Ausführung der Lektionen angeht, kann man den Richtern nicht widersprechen. Wäre „Happy Horse“ eine eigene Note gewesen, hätte die allerdings anders aussehen müssen. Aber dieses Kriterium gibt es nicht. National gibt es immerhin noch die Fußnoten, wo man auf die Harmonie zwischen Reiter und Pferd eingehen konnte, international wurden die abgeschafft.

„Warum gibt es keine Note fürs Pferdewohl?“ lautete denn auch eine der Fragen, die wir über Social Media für unser Special zum Thema Richten in der Ausgabe 12/23 erhalten haben (das Heft kann man hier versandkostenfrei erwerben). Die Antwort der Richterin, mit der wir gesprochen haben, lautete sinngemäß, dass es die Aufgabe der Richter ist, die Erfüllung der Kriterien der Skala der Ausbildung zu bewerten und dass damit jede Wertnote zum Teil auch eine Bewertung des Tierwohls ist. Nachvollziehbar. Aber die Realität sieht anders aus.

Nicht nur, aber gerade Dressurpferden kann man seinen Willen aufzwingen, wenn man als Reiter geschickt genug ist und über das entsprechende Instrumentarium verfügt. In Zeiten der Hexenverbrennung wurden mittels Folterinstrumenten ja schließlich auch Geständnisse erpresst, die nichts als blanke Lügen waren. Der Schmerz muss nur groß genug sein. Sporen, Gerte, ja selbst Schlaufzügel (und ja, ich weiß, da wird es jetzt viel Gegenwind geben!) können Hilfsmittel sein, die dem Pferd leichter verständlich machen, was der Reiter von ihm möchte. Aber nicht erst seit der Helgstrand Dokumentation wissen, wir, dass der Missbrauch ebenso naheliegt wie der Gebrauch. Das gleiche gilt für die Kandare. In Händen von Könnern sind all diese Hilfsmittel eine Verfeinerung der Kommunikation. Was die Öffentlichkeit in der Regel wahrnimmt, ist genau das Gegenteil. Und hier kommen sehr wohl die Richter ins Spiel. Wie geritten wird, liegt nicht allein in der Verantwortung der Ausbilder und Reiter, sondern auch in der Hand derjenigen, die das Gesehene beurteilen. Wenn ein verspanntes Pferd in absoluter Aufrichtung mit durchfallender Kandare Grand Prix-Prüfungen gewinnt, was ist dann die Message?

Institutionalisierte Gewalt

Soll man die Hilfsmittel nun verbieten? Wäre nicht nötig, wenn verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen würde. Das führt uns zurück nach Dänemark. Prof. Kathrin Kienapfel sagte, Bilder wie die aus dem TV Beitrag kenne sie vereinzelt, aber nicht in der Häufung. Wie ist das zu erklären? Was wir dort gesehen haben, ist eine Form der Kultur. Wenn Quälen zum institutionalisierten Alltag gehört, dann findet niemand etwas dabei. Wenn es nicht unterbunden, sondern ignoriert und eventuell sogar gefördert wird, bleibt für die Pferde nur ein Ausweg: Entweder sie ertragen alles oder aber sie drehen durch. Alles hat man im Sport schon erlebt, auch aber nicht nur bei den Pferden des Stalls Helgstrand.

Aber zum Glück gibt es auch andere Beispiele. Pferde, die Freude ausstrahlen, die nicht machen, sondern mitmachen. Gäbe es diese Beispiele nicht, müsste man den Sport wirklich abschaffen. Doch es gibt sie.

Wie kann es nun gelingen, sich der schwarzen Schafe, die es ja nicht nur in der Dressur gibt, zu entledigen? Hier sind alle gefragt, die mit der Pferdebranche zu tun haben. Die ewige Social Media Litanei, es gehe nur ums Geld, man kann sie nicht wegdiskutieren. Pferde sind auch eine Ware, von der viele Beteiligte profitieren – Ausbilder, Reiter, Händler, Besitzer, Veranstalter, Funktionäre, von den indirekt vom Pferd lebenden Gewerken wie Tierärzten, Hufschmieden, Sattlern usw. ganz zu schweigen. (Die Züchter lasse ich hier bewusst außen vor, denn sie sind in der Regel diejenigen, die am wenigsten vom Kuchen abbekommen, aber das ist ein eigenes Thema.) Es ist ein großes Rad, das da rund um ein besonderes Tier gedreht wird. Wie sagte der große Hans-Heinrich Isenbart? „Und vergesst mir die Pferde nicht!“ Fakt ist, im Stall Helgstrand hat man die Pferde vergessen. Und ganz sicher nicht nur dort.

Es muss ein Umdenken her!

Eigentlich ist die Linie klar vorgegeben: Alles Tun mit dem Pferd hat sich an den Bedürfnissen des Tieres zu orientieren. Es wäre Aufgabe der Verbände, sofort, konsequent und vor allem so zu handeln, dass es weh tut, wenn die Linie der Pferde verlassen wird. Stand jetzt sind sie diejenigen, die es in der Hand haben, die schwarzen Schafe auszusortieren, bevor sie die ganze Herde in Verruf bringen. Sie sind diejenigen, die die Leitlinien nicht nur stecken, sondern auch deren Durchsetzung verantworten. Zumindest in ihrem Einflussbereich. Und da stoßen wir an das Problem, das jeder Sportverband hat: Sein Einfluss ist begrenzt aufs Spielfeld. Schon hier wird nicht konsequent und schnell genug gehandelt, sondern erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Jüngstes Beispiel ist der dänische Verband, der Andreas Helgstrand trotz der bereits bekannten Vorwürfe der Verbotenen Medikation im Rahmen der Dänischen Meisterschaften für die EM in Riesenbeck nominiert hat. Erst nach der EM- wurde ihm seine DM-Bronzemedaille aberkannt.

Nun könnte man fordern, die Schiedsgerichte der Verbände aufzulösen und Doping- wie Tierschutzfälle ordentlichen Gerichten zu übertragen – letzteres passiert ja auch schon, wenn Fälle im privaten Umfeld zur Anzeige gelangen. Doch das wäre wenig praktikabel. Zu langsam mahlen die Mühlen der ordentlichen Gerichte.

Was bleibt also? Die Eigenverantwortung der Akteure. Und zwar aller. Erst neulich wurde von Athletenseite wieder der Vorwurf laut, Schuld an der Social License-Debatte seien die Medien. Wie war das mit dem Kopf des Überbringers der schlechten Botschaft (ohne den sich in den letzten Jahren in Sachen Pferdewohl wahrscheinlich beträchtlich weniger getan hätte)? Ist jetzt TV2 schuld daran, dass der Reitsport wieder negativ in den Schlagzeilen steht? Lächerlich! So kann nur jemand argumentieren, der den Status Quo gutheißt und um den Preis des Pferdewohls halten will. Solange hier kein Umdenken stattfindet, hat der Reitsport keine Chance.

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Dominique WehrmannRedakteurin

Studierte Politologin, seit 2006 bei St.GEORG. Als Jugendliche Dressurtraining bei Hans-Georg Gerlach, Michael Settertobulte und Reitmeister Hubertus Schmidt und das auf einem selbstgezüchteten Pferd. Verantwortet die Bereiche Spitzensport und Pferdezucht. Im Presseteam des CHIO Aachen und der Pferdemesse Equitana, hat für den NDR im Fernsehen kommentiert.

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  1. Olav Parnem

    Ganz genau so ist es.
    Auch die FN dreht und wendet sich als sich mit den Großkopferten im Lande anzulegen.
    Geht auch teilweise schlecht, weil die oder deren Strohmänner mit im Vorstand sitzen.

  2. Sophie

    Eine schlaue Person hat mal gesagt „Denkt dran: die Dressur ist für das Pferd da, nicht das Pferd für die Dressur.“ Es reden zwar immer alle vom gesunderhaltenden Reiten, wenns um Geld geht bleibt dann aber nicht mehr viel davon übrig. Da hat der Sport nach wie vor einen weiten Weg vor sich. Würde vllt schon helfen wenn man das wichtige Thema LOSGELASSENHEIT stärker in den Fokus der Benotungen nehmen würde.

  3. Roswitha Eberbach

    Dieser Artikel von D. Wehrmann trifft den Nagel in jeder Hinsicht auf den Kopf! Ja, Helgstrand Praxis ist weder neu noch ein Einzelfall! Und Verantwortliche und Verbände reagieren viel zu langsam und milde. Es schreit zum Himmel, was – nicht nur im Spitzensport – Pferden angetan wird! Dabei ist das Wissen über gute Haltung und Reitweisen groß wie nie. Und es gibt Vorbilder, die Reitkunst und Pferdewohl praktizieren.
    Ohne bessere Kontrollen und scharfe Sanktionen verbessert sich nichts!!
    Roswitha Eberbach

  4. Bia

    Ist doch schön, dass über sowas diskutiert wird, weil es Öffentlichkeitsinteresse weckt, aber sowas wie die ganzen Emslandhöfe, wo Tierquälerei ganz weit oben steht und die Pferde behandelt werden wie Maschinen, die für die kleinen Mädchen, die Wendy spielen wollen herhalten müssen, diese Höfe existieren weiter und viele hundert Pferde leiden, weil die ja kein Öffentlichkeitsinteresse wecken.

  5. Dr. L. Erasimus

    Aber selbstverständlich sind die Richter wesentlich mitschuldig an diesem Dilemma. Der beste Beweis dafür ist die Richterei bei der Jungpferde – WM. Taktmäßiges, korrektes Rückwärtstreten Fehlanzeige, bei den ersten 10 Metern im Schritt schauen wir lieber nicht hin. Dafür lächelnde ReiterInnen mit 40kg in den Händen, hochgestellte, spannige Pferde und Traversalen im Mitteltrab. Die ganze mediale Aufregung geht ja schon viele Jahre, sie ist zweifellos gut gemeint aber offensichtlich wirkungslos. Der wirkliche Hebel für den Turniersport sind die Richter. Wenn richtiges Reiten gewinnt, wird richtiges Ausbilden die Folge sein. Richter die das nicht erkennen, gehören eben auf die Schulbank und nicht ins Richterhäuschen.

    • Anne

      Dem kann ich nur beipflichten.

      Natürlich sind es die Richter, die den Maßstab festlegen und damit auch, woran sich die „Reitsportelite“ orientiert bzw. die Ausbilder der folgenden Reitergenerationen. Denn die bringen ihren Schülern auch nur das bei, was gut benotet wird.

      Losgelassenheit? Was ist das? Unwichtig. Übertrieben.

      Spektakulär, verspannt und übertrieben rumstrampeln? Höchstnote. Dass das Pferd während der kompletten Prüfung mit pinselndem Schweif, hektischem Kauen auf dem Gebiss und aufgerissenen Augen (gerne auch konsequent mit der Nase hinter der Senkrechten) spannig durch die Prüfung gepeitscht wird und keine Sekunde lang stillstehen kann bei den Grußaufstellungen? Nebensächlich.

      Es fallen immer wieder auch Reiter auf, die mit ihren (zufriedenen!) Pferden locker durch die Prüfung kommen – Höchstnoten räumen die meist nicht ab. Nicht spektakulär genug.

      Beschämend.

  6. Rüdiger

    Doch: die Richter sind in der Pflicht! Wenn ein Bewertungssystem die Mängel nicht aufdecken kann, so wie sie sagen, dann taugt das Bewertungssystem für diese Zielsetzung nicht und muss verändert werden. Dies ist doch seit mindestens 2 Jahrzehnten bekannt. Dass sich diesbezüglich nichts tut ist sehr beschämend.

  7. Katharina Ahrens

    Die Verlogenheit derer, die als Presse mit verantwortlich sind, dass sich 30 Jahre nichts verändert hat, zum Vorteil für die Pferde, schreit zum Himmel! Gerade die Homestorys über die so genannten Stars und kritiklose Berichte über Sport, Auktionen und Zucht, das hat diesen Zustand mit verursacht. Frau Wehrmann Finger zeigt auf andere, drei Finger zeigen auf sie selbst

  8. Esther

    Voraus eine Entschuldigung an alle Redlichen und Guten die am Wochenende im Nebenberuf am Richtertisch sitzen!
    Die Richter sind in der Pflicht, sowohl Dressur als auch Springen, die gezeigten Leistungen auch nach dem Pferdewohl zu beurteilen und diese den Reitern deutlich mitzuteilen.
    Geht ein Pferd im Springen den ganzen Parcours widersetzlich gegen die Reiterhand, sieht es aus wie ein Pferd auf der Flucht —muss das Reglement eine Massnahme finden dieses Reiten zu sanktionieren!!! Und zwar ab Einstiegsstufe!
    Dito in der Dressur, ein junges elastisches Pferd was die ganze Dressurprüfung hindurch die Nase hinter der Senkrechten hat, aber einen prominenten Reiter im Sattel – darf die Prüfung eigentlich nicht gewinnen! (Clipmyhorse – Dielsdorf) . Lediglich ein Pferd, das deutlich Unwohlsein zeigte, mehrfach Taktfehler hatte wurde nach der Trabverstärkung, wo es deutlicher taktunrein ging, abgeklingelt.
    Leider sind „die Richter“ auch nur Menschen in sozialen Strukturen, oft Lehrer oder Pensionäre im selben Stall wie einer der Reiter, da sind Gefälligkeitsnoten nur zu menschlich.
    Damit ist aber niemand geholfen!

    Vorschlag: Videomaterial gibt es genügend – warum wird nicht wenigstens stichprobenartig gegengeprüft , a la Fussball & Videobeweis? — – – Ja das ist Arbeit, das muss jemand machen. Jemand unabhängiges unesoterisches.
    My50cents

  9. Ursula

    Wie es mit wenigen Worten erwähnt wird. Die starken gegen nicht nur gegen die Pferd vor. Sondern auch gegen die was sagen und zudem auch ihren Stallkollegen/in. Das Klima Ansicht ist in vielen Ställen vergiftet.
    Warum zum Pferd nett sein, wenn man es nicht mal schaft zu einen deren Menschen nett zu sein.


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