Blog 2 CHIO Aachen 2024: Nullerschwemme zum 100.

Von
Moment mal 2024

Gabriele Pochhammer,. Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Paris warf seine Schatten voraus, viele Reiter sind schon im Olympiamodus und schonen ihre Nummern Eins für den Auftritt in Versailles. Der Nationenpreis-Tag hat auch immer was von Klassentreffen. Da reisen dann die Helden von gestern an und trinken ein Glas Schampus an der Reiterbar unter der Tribüne und erzählen von alten Zeiten. Und die Jungen ritten um die letzten Olympiatickets.

Donnerstag, Tag des Nationenpreises, zwei Umläufe unter Flutlicht, ein Klassiker. Spannung liegt in der Luft, es ging um vieles, wenn auch nicht um alles. Morgen in drei Wochen wird in Paris das Olympische Feuer entzündet, die meisten der für Olympia vorgesehenen Pferde sind bereits im Vorbereitungsprogramm, weswegen nur wenige Paris-Pferde in Aachen im Nationenpreis noch mal springen mussten.

Auch für das deutsche Team ging es nur noch um, das Ersatzpaar neben drei bereits fest nominierten, Christian Kukuk mit Checker, Richard Vogel mit United Touch S und Philipp Weishaupt mit Zineday. Letzterer hat sich mit vier Abwürfen bei der Global Champions Tour in Stockholm am vergangenen Wochenende nicht mit Ruhm bekleckert und Bundestrainer Otto Becker steht vor der bangen Frage, ob ihm die frühe Entscheidung, 14 Tage vor der Deadline des Deutschen Olympische Sportbundes (DOSB) bereits drei Teamreiter fest zu nominieren, nicht vor die Füße fällt. Kleiner Trost: Auch King Edward, der Überflieger des Weltranglisten-Ersten und Weltcupsiegers Hendrik Eckermann, trat in Stockholm viermal zu. Er und seine für die Schweiz reitende Frau Jana Sprunger waren heute in Aachen in verschiedenen Teams Konkurrenten.

Briten, Franzosen, Schweden, Schweiz, Belgien und andere schickten ihre zweite Wahl an Pferden, weswegen der Kurs, wie von Parcourschef Frank Rothenberger angekündigt, deutlich freundlicher aufgebaut war als in früheren Jahren. 25 Nullfehlerritte im ersten Umlauf, soviel gab’s noch nie. Es war genau der 100. Nationenpreis für Parcourschef Frank Rothenberger. Als Junge war er schon mal auf dem Aachener Turnier mit seinem Vater. „In der Dreifachen vor der Tribüne war soviel Holz in Form von Stangen, Gattern und Fängen verbaut worden, dass man daraus einen ganzen Parcours hätte gestalten können“, erinnert er sich.

Heute hat man’s ja gerne ein bisschen minimalistischer. Immer wieder nett anzusehen sind die beiden Herren im Parcours, die mit einer weißen Fahne bewaffnet, Start- und Ziellinie überwachen. Sobald ein Reiter sich der Linie nähert, nehmen sie Haltung an und senken ruckartig die Fahne, wenn das Pferd über die Linie galoppiert. Nicht dass jemand wirklich auf diese Weise noch die Zeit misst. Es hat was von den Heizern, der noch auf den Elektroloks mitfuhren, als schon lange keine Kohle mehr geschaufelt werden musste.

Ich traf den Brasilianer Nelson Pessoa, der in den 1960er-, 70er- und 80er Jahren hier so viel gewonnen hat, eigentlich unverändert seit Jahrzehnten, in flotter schwarzer Lederjeans.

Nicht weit hatte es Peter Schmitz, der in Gut Schwarzenbruch bei Aachen ein Restaurant führt, in dem sich seit einem halben Jahrhundert die Feinschmecker-Elite der Region trifft. Er ritt hier als junger Mann im Nationenpreis in der Soers, in der ersten Reihe, aber doch ein Amateur mit Hauptberuf Koch, der sich die Zeit zum Reiten und für Turnierfahrten mühsam vom Jobstress abknapsen musste. Auslandsreisen waren eher selten, sein Lieblingsturnier in Windsor im Vorgarten der Queen besuchte er aber jedes Jahr. „Einmal war mein Pferdehänger vor der Abfahrt nach England kaputt gegangen“ erzählt er. „Ich musste mir von einem Freund ein uraltes Teil leihen. Damit ich nicht jeden Tag damit durch die Gegend fahren musste, durften meine Pferde in den Royal Mews, also im königlichen Marstall stehen“. Und das alte Anhänger-Schätzchen wurde schamhaft außer Sichtweite geparkt. Dann kam die Einladung zum Empfang im Schloss,auf feinsten Papier mit Relief-Druck. Ehefrau Irene, früher ebenfalls erfolgreich im Springsattel unterwegs, wurde noch schnell von einer Hofdame eingewiesen, wie der Hofknicks auszuführen sei. Man kam ein bisschen spät und als das Ehepaar Schmitz Richtung Empfangsaal hetzte, begegnete ihm auf dem Flur eine freundliche ältere Dame, die noch später kam, die Queen herself, die ihnen fünf Minuten freundlichen Small-Talks widmete. „So was vergisst man nicht“,  sagt Peter Schmitz.

Die wichtigste Frage heute, (außer: „Hilfe, die Sonne scheint, was ziehe ich an?“) ist die, wo man Freitag Fußball gucken kann, Achtelfinale Spanien gegen Deutschland.  In den VIP-Palast dürfen wir ab fünf nicht mehr. Die Bildschirme im Pressearbeitsraum sind entschieden zu klein für so ein großes Ereignis.  Aber unser Pressechef Tobi hat schon eine Lösung parat: Hinter der Tribüne soll es mehrere große Videowände geben, davor Stühle und ein Art Biergarten. Das kann ja sehr nett werden, nur schade für die Buschis, die dann gerade ihr Springen reiten und für die Dressurreiter des Viersterne Grand Prix. Ein gutes: zumindest werden keine Zuschauermassen die Pferde irritieren.  Es gibt noch eine Idee: Den Grand Prix auf den Abreiteplatz zu verlegen und im Dressurstadion zum Public Viewing zu laden.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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