Was tun, wenn der Youngster, der erst vor sechs Wochen auf die Welt gekommen ist, auf drei Beinen vor einem steht? Dr. Eva Miersch ist zwar Tierärztin, aber in dieser Situation vor allem Pferdebesitzerin. Umso dankbarer war sie dafür, einen kompetenten Schmied und gute Freunde an ihrer Seite zu haben.
Nichts ist es heute mit wildem Galopp und freudigem Gewieher. Mit traurigem Blick, auf drei Beinen steht der kleine Mann vor mir und lässt den Kopf hängen. Man möchte ihn auf den Arm nehmen und trösten, so unglücklich schaut er drein.
Der Huf vorne rechts ist warm und während ich die Pulsation am Fesselgelenk fühle, hält er mir seinen kleinen Fuß hin. Seufzend drehe ich mich um und hole die Hufzange aus dem Auto. Außen sitzt der Schmerz – ein sechs Wochen altes Fohlen mit Hufgeschwür? Schweren Herzens fahre ich vom Hof, ich brauche Hilfe.
Abends lege ich 30 Meter Kabel quer über den Hof und packe meine Röntgenkiste aus. Zehe seitlich ohne Befund, Zehe AP ohne Befund, Hufbein ohne Befund. Langsam atme ich tief durch. Kein Trümmerbruch. Aber warum ist Escobar denn nur so lahm?
Die schrägen Röntgenaufnahmen bringen es ans Licht der Abenddämmerung: Fraktur des äußeren Hufbeinastes.
Bereits am nächsten Morgen ist mein Freund Klaus Mäurer da, seit fünfzig Jahren Hufschmied. Unermüdlich bastelt er zwei Stunden lang an einem passenden Fohlenschuh. Endlich können wir ihn festkleben. Escobar hat geduldig alles über sich ergehen lassen, während seine Mutter kaum fünf Minuten im Paddock hatte ruhig stehen bleiben können.
Ich nehme mein Fohlen am Strick und mein Plan ist es eigentlich, ihn zusammen mit seiner Mutter wieder auf die Wiese zu stellen. Vorsichtig tritt er auf, aber an der Paddocktür ist Schluss. Keinen Meter geht er mehr weiter. Mein Blick fällt auf drei Steine, fest im Boden, dachförmig ragen sie aus dem Boden heraus, direkt vor der Tür. Ich verstehe – es war sein waghalsiges Spiel, welches ihm zum Verhängnis geworden ist. Allen vorweg, Sprung durch die offene Tür ins Paddock, in den Offenstall und Mama schreiend auf der Wiese – da waren die Steine am Absprung. Schluss mit lustig.
Zwei Tage hält der Schuh, dann liegt er auf der Wiese. Das Chaos beginnt: Fohlenschuh fällt ab, Schmied anrufen, immer wieder 80°C heißer Kleber auf die kleine Hornkapsel, wieder verloren. Die Röntgenbilder wieder schlechter. So geht es nicht. Wir fahren Stute und Fohlen zurück zum Haus, erneut Schuh drauf und die Boxentür zu.
Ist hier unser gemeinsamer Weg zu Ende? Die Tränen kommen, ich will es nicht wahr haben. Mein kleiner Mann kaut am Reißverschluss meiner Jacke herum, pustet mir liebevoll ins Haar – er tröstet mich. Ich schließe die Boxtür, lasse Züchterin und Freunde stehen und ergreife die Flucht.
Mit der Welt und dem lieben Gott hadernd sitze ich schluchzend im Gras. Sechs Wochen Glück, Freude und jetzt das. Alle erwarten eine Antwort von mir – ich bin schließlich die Tierärztin. Nein. Hier bin ich die Besitzerin, diejenige, die mit den Emotionen kämpft, diejenige, die nicht weiß was richtig und falsch ist, diejenige, die sonst allen Besitzern sagt, was wir machen und Hoffnung sät. Ich bin diejenige, die weint und todunglücklich ist.
Und plötzlich sind sie alle da: Meine besten Freunde, mein Sohn, die Züchterfamilie und alle stehen sie geschlossen vor mir und es gibt nur eine Ansage: „Du sagst wie es geht und wir machen – hier wird nicht aufgegeben.“
Der neue Fohlenschuh, eine neue Idee –kürzer, enger, fester, steiler – kann das ein Baby-Huf aushalten? Boxenruhe und jede Mittagspause Spielstunde in der Box, während die Züchterin ihre Stute an die Longe nimmt.
Nach zwei Wochen wird es schwierig, Escobar sieht es nicht mehr ein. Meine beste Freundin hält alles zusammen: Mitleid ist keine Option. Und dank ihr lässt sich Escobar immer wieder ablenken, reißt sich zusammen. Der Striegel kreist am Hals, rubbelt das Fohlenfell zu Boden. Escobar schaut über die Boxentür hinaus auf die Weide, wo die Ponys auf der Wiese spielen. Ich halte inne und stelle mich daneben. Der Wind streicht uns beiden durchs Gesicht, tröstet und wir atmen für einen Moment die gleiche Sehnsucht ein.
Mein Sohn hat einen Plan und übernimmt die Regie. Auf dem Hof tauchen Bagger auf, Schotter, Kies und Sand werden von LKW abgeladen, meine Freunde bringen Holzbalken. Die Söhne der Züchterin und mein Sohn bauen mit unermüdlichem Einsatz innerhalb von 10 Tagen ein Sandpaddock mit Drainage-Unterbau und hoher Holzeinfassung.
Mein Röntgengerät kann durch den Fohlenschuh röntgen. Und siehe da: Es wird besser.
Das Hufbein fängt an zu heilen. Nach fünf Wochen Boxenruhe ist der Paddock fertig und die Stute darf mit ihrem Fohlen in den weichen Sandboden. Während sie sich unendlich oft wälzt, tobt, bockt, dreht Escobar um sie herum – hoffentlich geht das gut.
Ja, es ist gut gegangen. Das Hufbein ist im Röntgenbild wieder heil, so heil, als wäre es nie kaputt gewesen. Escobar steht neben mir auf der Wiese, seine Mutter grasend daneben, er schaut in die Ferne. Der Wind greift unter seinen Schopf, während ich ihn beobachte. Dann wendet er mir sein Gesicht zu und unsere Blicke treffen sich – ohne näher zu kommen, streckt er den Hals und leckt ganz sacht über meine Finger.
Mir fällt der Spruch von Audrey Hepburn ein: Realist zu sein, bedeutet an Wunder zu glauben. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer einem riesigen Dankeschön an alle, die uns so sehr geholfen haben.
Die Freude auf unser gemeinsames Leben – sie ist endlich wieder da.
Infos darüber, wie die normale tiermedizinische Versorgung eines Fohlens in Escobars Alter sein muss mit Parasitenmanagement, Impfschema & Co., was die gängigsten Fohlenkrankheiten sind, und was man im Falle eines Falles zu tun hat, finden Sie hier.
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