Corona hat uns um die Olympischen Spiele gebracht, jedenfalls für dieses Jahr. Gabriele Pochhammer, seit 1984 bei allen olympischen Reitwettbewerben für St.GEORG dabei, wird in lockerer Folge in den nächsten Wochen die Spiele noch einmal aufleben lassen, die Dramen und Triumphe und die kleinen Geschichten im Hintergrund.
Eigentlich sollte uns jetzt allmählich das Reisefieber packen. Wir hätten die Klamotten rausgesucht für zwei heiße Wochen, leicht zu waschen, bügelfrei, plus ein Pullover für das erfahrungsgemäß gnadenlos heruntergekühlte Pressezentrum. In Hongkong 2008 rettete mich nur eine auf dem Flughafen gekaufte Wolljacke vor dem sicheren Erfrieren. Wir hätten alles dreimal überprüft: Ist das Flugticket nach Tokio richtig ausgestellt, der Pass noch lange genug gültig, alles klar mit der Unterkunft und vor allem mit der Akkreditierung?
Begehrtes Stück Plastik
In den olympischen Wochen ist das 16 mal 11 Zentimeter große Plastikkärtchen mehr wert als alles Gold der Welt. Man hängt es sich nach dem Aufstehen um und legt es vor dem Schlafengehen wieder ab, denn ohne die Akkreditierung um den Hals ist man ein Nichts, so gut wie nicht vorhanden.
Der Deutsche Olympischen Sportbund (DOSB) schickt die Medien-Akkreditierungen vorab, sie werden dann nur noch nach Ankunft am Flughafen aktiviert und in Plastik eingeschweißt. So war es die letzten zehn Jahre, davor musste man vor Ort stundenlang in sich windenden Schlangen warten. Ein Riesenfortschritt also.
Der geübte Blick erkennt sofort, was der Träger der Akkreditierung darf und vor allem, was nicht. Die Reiter und alle anderen Athleten haben das große A, sie dürfen sich in ihrer Sportstätte frei bewegen, auch im olympischen Dorf, das ansonsten für den Rest der Welt, auch für Ehefrauen und -männer, gesperrt ist.
Die ganz hohen Chargen haben eine liegende Acht, das heißt, für sie gibt es überhaupt keine Schranken. Wir Journalisten bekommen ein E und wenn man, wie ich, nur über einen Sport berichtet, noch ein kleines S dazu, für Specialist. Richtig drin ist man allerdings erst, wenn die Sicherheitsleute den Barcode abgescannt haben. Und der – so wird uns bedeutet – kann bei Unbotmäßigkeit in Sekundenschnelle gesperrt werden.
Die Konjunktiv-Zeit
Ohne den Spielverderber Corona würden wir in diesen Wochen bei den Sichtungen, letzten Überprüfungen und Nominierungen mitfiebern. Welche Reiter dürfen mit? Warum der und nicht der? Wir würden die Bundestrainer und Ausschussvorsitzenden löchern und die Reserverreiter vor allem in der Vielseitigkeit trösten. Erfahrungsgemäß fällt immer einer aus und die Nummer sieben fährt am Ende doch mit.
Es würden auch die ersten Gerüchte aus den Trainingslagern kursieren („Hast Du schon gehört: das Pferd XY von Z soll beim Vortraben gestern so was von platt gewesen sein.“) Unangemeldete Besucher sind da gar nicht gerne gesehen, da wurden in Warendorf schon mal Leute der Tribüne verwiesen. Manchmal werden wir zu einem Vorab-Termin eingeladen, wo uns dann alle in ihrem Olympia-Outfit anstrahlen und versichern, der Teamgeist sei mal wieder „suuuper“.
Die Kleidung macht den Olympia-Teilnehmer
Überhaupt die Olympia-Ausrüstung der deutschen Sportler. Sie würde normalerweise in diesen Wochen vom DOSB vorgestellt werden, bestehend aus zig Teilen, an denen sich Designer verwirklicht haben, was Praktisches fürs Training, was Flottes für die Freizeit und was Seriöses für die Eröffnungsfeier.
Da gab es 1984 himmelblaue Jogginganzüge, die an der Jugend der Welt fesch aussahen, an den begleitenden Funktionären fortgeschrittenen Alters eher gewöhnungsbedürftig.
In Sydney traten die Sportler in mausgrauen Blazern auf, die Frauen trugen dazu Topfhütchen wie die Modelle, mit denen unsere Großmütter einst auf den Wochenmarkt einkaufen gingen.
Die Sportler sollen die offiziellen Klamotten während der Spiele quasi rund um die Uhr tragen und erst wer nach Frankfurt zum Einkleiden fahren durfte, ist drin in der Olympiamannschaft.
Treffpunkt Deutsches Haus
Seit den Spielen in Seoul trifft sich die Szene im Deutschen Haus, das auch eine Etage in einem Bürogebäude wie in Seoul oder ein Zelt in einem Park sein kann wie in Barcelona.
Hier gibt es alle Infos, Fernsehen, Pressekonferenzen und Sportler live und, nicht zu vergessen, sehr gutes Essen. Fast alle Athleten schlagen an ihren Wettkampftagen abends auf, da muss man dann einfach hin, vor allem, wenn es Medaillen gab, der Druck auf einmal weg ist und sie es krachen lassen können.
Schwierige Interviews
Ansonsten ist es bei keinem Turnier so schwierig, mal mit einem Reiter in Ruhe zu reden. Der offizielle Weg ist die „Mixed Zone“, in der, wie der Name sagt, sich Sportler und Medien mischen sollen. Davon kann allerdings keine Rede sein, denn der Reiter steht hinter einer Absperrung, wir Journalisten davor (von uns aus gesehen).
Die Regeln in der Mixed Zone sind so streng wie in einem mittelalterlichen Ständestaat. Als erstes müssen die Reiter zum Fernsehen. Die TV-Sender haben schließlich bezahlt, ist das Argument. Die die mehr bezahlt haben, kommen als erste dran. Die Parias sind die Vertreter der Sender, die nicht bezahlt haben, aber auch was berichten wollen. Sie haben auf ihrer Akkreditierung die Buchstaben NRH (Keine Rechte-Inhaber).
Als nächstes kommen die Vertreter der Presseagenturen und ganz zum Schluss wir, die schreibende Presse. Wenn die Reiter zu uns kommen, haben sie schon 20 Mal erzählt, wie es kam mit dem versauten Galoppwechseln oder der Stange am letzten Oxer. Dann bewundere ich jedes Mal ihre stoische Geduld und freue mich, wenn es aus dem Kollegenkreis dann doch die Fragen gibt, auf die unsere Vorgänger nicht gekommen sind.
Ansonsten braucht man ein gutes Telefonverzeichnis im Handy und manchmal ein paar Überredungskünste, dass einen ein Ordner doch mal eben auf den Abreiteplatz oder sonst wohin lässt.
Eigentlich sollen die Medien, und damit die Öffentlichkeit, Gelegenheit haben, auch das Training anzuschauen, was ja gerade im Reitsport wichtig und aufschlussreich ist. So sehen es – nach langen Kämpfen von unserer Seite – die FEI-Bestimmungen vor. Aber bei Olympia herrschen andere Gesetze.
2012 in London wurde der Abreiteplatz durch blickdichte Planen abgeschirmt, damit das Publikum keinen Blick auf das Training erhaschen konnte, was den Schluss nahe legte: Wer sich soviel Mühe macht, muss was zu verbergen haben. Der Schuss ging nach hinten los.
Wie es in Tokio sein wird, wissen wir nicht. Wir werden Wege finden, zu berichten und hinter die Kulissen zu schauen. Versprochen. Wenn es denn dazu kommt. Die Olympischen Spiele sollen ja im nächsten Jahr steigen. Eigentlich.
Der Blog von Frau Pochhammer über die Olympische Spiele wäre in diesem Jahr, neben den Spielen selbst, wieder mein Highlight gewesen. Täglich habe ich mich 2016 als die Spiele in Rio stattfanden auf den täglichen Blog gefreut. Die kleinen Annekdoten, der auch mal kritische Blick hinter die Kulissen und die bildliche Beschreibung sind für mich eine sehr gelungene Mischung. Sehr schade, dass das uns Lesern dieses Lesevergnügen erst im nächsten Jahr wieder zur Verfügung steht. Aber der wöchentliche Blog von Frau Pochhammer wird über die Zeit hinweg helfen.
Bitte machen Sie weiter so Frau Pochhammer.