Zwangsweiser Gebisswechsel Minuten vor dem Start, Verwirrung bei Reitern, Grooms und Offiziellen – die im vergangenen Jahr eingeführte „Tack App“ der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) sorgte für Chaos und Unmut, vor allem bei den Springreitern. Eine neue Arbeitsgruppe, bestehend vorwiegend aus erfahrenen Springreitern, soll Ordnung schaffen und Unsicherheit beseitigen.
Es war gut gemeint mit der „Tack App“, die die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) im vergangenen Frühjahr etabliert hat, um den Reitern, Grooms und Offiziellen in allen Disziplinen zu zeigen, welche Gebisse und Hilfszügel erlaubt sind, welche nicht und welche noch geprüft werden. Ein Blick aufs Handy sollte genügen, um Klarheit zu schaffen, welche Zäumung ok ist. Alles im Sinne des Pferdewohls, versteht sich. Die App sollte monatlich aktualisiert werden, immer am ersten Montag des Monats.
Doch der Schuss ging nach hinten los. Frust und Chaos brachen aus – Gebisse, freitags noch erlaubt, waren montags verboten. Manchmal musste noch in letzter Minute vor dem Start das Gebiss gewechselt werden. Selbst bei der Europameisterschaft in Mailand im vergangenen Jahr musste ein Reiter noch die Zäumung ändern, als sein Adrenalinspiegel und der seines Pferdes schon im Prüfungsmodus pulsierten. Bei der Generalversammlung des Internationalen Springreiterclubs (IJRC) im Dezember vergangenen Jahres ging es hoch her. Springsport-Direktor Todd Hinde, der die App als hilfreiches Tool für die Reiter verkaufen wollte, musste sich herbe Vorwürfe anhören. Vorstandsmitglied Ludger Beerbaum, Chef des Turnierstalls Beerbaum Stables, wetterte, die App sorge für Chaos auf der ganzen Linie und müsse sofort geändert werden. „Am besten noch heute“. Zweimal habe man bei einem seiner Pferde wenige Minuten vor dem Start ein weicheres Ledergebiss gegen ein schärferes Mundstück austauschen müssen, wobei sich die Stewards auf die FEI-Tack App beriefen. Die allerdings, auch das war so keinem richtig klar, zu dem Zeitpunkt gar keine Regelkraft hatte. „Also keine Rule nur ein Tool“, kalauerte Beerbaum. Das letzte Wort, was geht und was nicht, hatte eine FEI-Gruppe, die von Tierärzten dominiert wurde.
Neue Arbeitsgruppe aus erfahrenen Reitern
Nun wurde eine neue Arbeitsgruppe, die „Tack App Consulting Group“, vorwiegend aus erfahrenen Reitern wie Nick Skelton, Olympiasieger 2016, Rodrigo Pessoa, Olympiasieger 2004, und Max Kühner, österreichischer Topreiter und langjähriges Mitglied der FEI-Springkommission, sowie Todd Hinde als FEI-Hauptamtlicher gegründet, um die Gebisse und Zäumungen zu beurteilen. Die Gruppe hat im Moment genug zu tun. „Es gehen jede Woche gefühlte 300 WhatsApp-Nachrichten hin und her“, erzählt Max Kühner. „Man glaubt gar nicht, was einem da präsentiert wird. Gebisse und Lederkonstruktionen, die man noch nie zu sehen bekommen hat, auch deren Wirkung mir teilweise sehr fraglich erscheint.“ Richtschnur ist das Wohlergehen des Pferdes, heißt es. Alle Zäumungen, die das Pferd irgendwie verletzen können, scheiden aus – wäre ja schlimm, wenn’s anders wäre. Wichtig war den Reitern, dass nicht nur Tierärzte bestimmen, was über die App als zulässig angesehen wird, sondern auch Reiter mit entsprechender Erfahrung. Kühner hat kein Verständnis dafür, dass ein 19-jähriges Pferd, das seit elf Jahren problemlos mit einer Kombination aus Hackamore und Aufziehtrense geht, sich auf einmal umgewöhnen soll.
Mittlerweile Regelstatus
Einiges hat sich geändert. Seit dem 1. Januar hat die App Regelstatus, also ist jetzt Rule und nicht nur Tool. Max Kühner strebt an, die App nur einmal im Jahr anzupassen, nicht jeden Monat. „Das wäre auch fairer gegenüber den Herstellern“, sagt er. Tatsächlich kann nicht sein, dass ein Hersteller ein bis dahin erlaubtes Gebiss auf den Markt bringt, dass ein paar Tage später verboten wird. Kühner wünscht sich auch, dass in diesem Jahr nach dem 31. März bis zu den Olympischen Spielen in Paris keine Änderungen mehr vorgenommen werden. „Damit sich alle in Ruhe vorbereiten können“, sagt er. Er kann sich auch vorstellen, die Reiter in zwei Gruppen zu teilen, ähnlich einer Regelung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) – in Reiter, die bis 1,35 Meter, also M, reiten und Reiter, die in höheren Klassen starten, denen man eine geschickte Hand und eine kontrollierte Zügeleinwirkung zutraut.
Zwar gilt die App für alle Disziplinen, aber nicht ohne Grund fühlen sich die Springreiter am stärksten betroffen. In einem großen Special hat St.GEORG bereits im Juni 2023 auf die Gefahren unkontrollierter Leder- und Gebiss-Orgien verwiesen. Es ist der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, warum ein Pferd zwei Gebisse und mehrere Paar Zügel braucht, um sicher über Runden zu kommen. Dass oft die Reiter selbst nicht wissen, wie welches Gerät im Maul ihres Pferdes wirkt, dürfte auch unbestritten sein. Auch auf die Tatsache, dass vor Ort oft nicht genau hingeschaut wird oder eben doch, aber dann ohne das richtige Augenmaß, haben wir im St.GEORG schon hingewiesen. Und dass in Zeiten, in denen die „Social Licence“ in aller Munde ist, auch darauf Rücksicht genommen werden muss, wie es auf Außenstehende wirkt, wenn ein Pferd vor lauter Leder am Kopf und Metall im Maul kaum noch zu erkennen ist. Und dass Ausbildungsfehler nur selten bis nie mit einem anderen Gebiss behoben werden können – das ist ja auch nicht so neu.
Allein die Tatsache, dass ein Max Kühner, offensichtlich ohne Problembewußtsein, erklärt Aufziehtrense und Hackamore seien völlig in Ordnung sollte uns zu denken geben. Wenn man dann noch sieht wie stramm diese Zäumungen verschnallt sind ist klar, mit korrekter Ausbildung eines Pferdes hat das nichts zu tun. Da wird ein Pferd mit Gewalt geritten. Mit sowas gefährdet der Reitsport seine Social License