Moment mal! Der Züchter zahlt die Zeche

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Wir wissen vieles über die Hengste, die der Züchter für seine Stute wählen kann. Aber immer noch viel zu wenig. Welche Gesundheitsprobleme auf Gendefekte zurückzuführen sind, liegt im Dunklen. Die Forschung über Erbkrankheiten kommt nur zäh voran.

Es naht für uns Züchter mal wieder die aufregendste Zeit im Jahr: Noch wenige Wochen, bis die Stute abfohlen soll. Hoffentlich geht alles gut, hoffentlich legt sie uns einen kleinen Prachtkerl oder ein Prachtmädel ins Stroh: gesund, korrekt und möglichst schön, das wäre ja schon mal die halbe Miete. Im Geiste planen wir schon das nächste Fohlen, stöbern im Internet, sehen uns Videos von Hengstschauen an, fahren selbst hin, um die Kandidaten in Augenschein zu nehmen. Das Bauchgefühl hilft ja oft mehr als die größte Datenbank. Der Bewerber muss uns gefallen, man muss sich vorstellen können, wie das Fohlen vielleicht aussehen wird, obwohl wir alle wissen, dass man auf Überraschungen gefasst sein muss.

Der Züchter des 21. Jahrhunderts hat im Vergleich zu seinen Vorvätern viel mehr Informationen über den Hengst seiner Wahl. Er kann in den Erfolgsstatistiken der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) und des Züchterportals Horsetelex ziemlich genau ablesen, was der avisierte Hengst geleistet hat, selber durch eigene Turniererfolge oder Prüfungsergebnisse, und durch die Erfolge seiner Nachkommen und Verwandten. Wie in der Vollblutzucht sind inzwischen auch die Turnier- und Zuchterfolge der Mutterlinien genau nachzuvollziehen.

Von wegen behutsame Ausbildung

Es sollte eigentlich ein Leichtes sein, den idealen Partner für die eigene Stute zu finden. Ist es aber nicht. Wir wissen vieles, aber immer noch viel zu wenig. Das Deckgeschäft ist ein hart kalkulierender Wirtschaftszweig. Jede Mutter lobt ihre Butter und jeder Hengsthalter seinen Beschäler als Produzenten künftiger Kracher, möglichst von olympischer Qualität und das oft in blumenreichen Worten, die beachtliches lyrisches Talent verraten. Das kann man glauben, muss man aber nicht. Auf den Hengstschauen sehen wir dann die blitzblank herausgeputzten Hengste live. Zugegeben etwas verallgemeinernd, kann man sagen: Entweder steppen sie verspannt in Grand Prix-Aufrichtung durch die Bahn oder sie fliegen haushoch über die Sprünge, als ob die Stangen beißen. Das hat vor allem bei den Junghengsten, den Drei- und Vierjährigen, nichts mit behutsamer Ausbildung gemäß der Deutschen Reitlehre zu tun, die ja immerhin auf dem Weg zum „Weltkulturerbe“ ist. Was von den spektakulären Tritten und Sprüngen übrig bleibt, wenn der Alltag wieder eingekehrt ist und so mancher Hengst wieder zum ganz normalen Mitteleuropäer wird, sieht der Besucher der Hengstvorführungen selten.

Deckzahlen als „Staatsgeheimnis“

Und noch anderes erfährt er so gut wie nie. Zum Beispiel wie viele Stuten der Hengst in der vergangenen Saison gedeckt hat,  wie viele Fohlen geboren wurden. Die Listen mit den Deckzahlen werden verschwörerisch herumgereicht und zuweilen gehütet wie Staatsgeheimnisse. Das Verhältnis von Bedeckungen zu Geburten sagt zum Beispiel etwas aus über die Fruchtbarkeit des Hengstes. Auch darüber, mit wie vielen „Konkurrenzfohlen“ ich im nächsten Jahr bei der Vermarktung rechnen muss. Diese Daten wurden früher in den Gestütbüchern festgehalten, inzwischen ist die Lage unübersichtlich geworden: Durch Embryotransfer, OPU und ICSI, (die Befruchtungsmethoden außerhalb des Mutterleibs), durch Auktionen von Sperma und Embryos, bereits angewachsenen und noch tiefgefrorenen, durch die Globalisierung der Pferdezucht insgesamt mit über den Erdball verstreuten Verbänden, die sich die gewünschte Genetik von überall herholen können, wissen Hengsthalter manchmal tatsächlich nicht, wie viele Nachkommen ihre Hengste produziert haben.

Mangelndes Wissen über die Gesundheit

Vom wichtigsten erfährt der Züchter am wenigsten, von der Gesundheit des Hengstes, den er benutzen möchte. Zwar gibt es eine Untersuchung vor der Körung, bei denen die schlimmsten Problembefunde durchs Sieb fallen, zwar können Kaufinteressenten die Röntgenbilder der Körkandidaten einsehen, aber das verhindert nicht, dass zunehmend Hengste mit zweifelhaftem Gesundheitsstatus gekört werden, bis hin zu Lahmheiten, beginnendem Spat oder einer ungeregelten Mechanik, die zeigt, dass der Hengst mit seinem Körper (noch?) nicht umgehen kann. Das positive Körurteil fällt umso leichter, wenn der Aussteller zahlungskräftige Kunden vorweisen kann. Denn an jedem lukrativen Verkauf verdient ja auch der Verband mit. Ist der Hengst einmal gekört und legt er die Pflichtprüfungen, die ja längst keine echte Selektion mehr darstellen, erfolgreich ab, kann er sich vermehren, solange sich genügend Stutenbesitzer für ihn finden.

Vieles über die Gesundheit der Hengste, (auch der Stuten) ist im Dunkeln. Zwar hat sich die in Deutschland gegründete International Association of Future Horsebreeding (IAFH), der die wichtigsten Reitpferdezuchtverbände angehören, zur Aufgabe gemacht, Erbkrankheiten aufzuspüren und zu veröffentlichen, aber bisher fehlen aussagekräftige Datenmengen, um einem Hengst einen Gendefekt zuzuschreiben. Bei der Fohlenkrankheit WFFS, bei der sich die Haut des Fohlens ablöst, was den Tod zu Folge hat, ist es inzwischen gelungen, das Gen zu benennen, aber andere immer häufiger auftretende Defekte wie ECVM, eine angeborene Fehlbildung der unteren Halswirbelsäule, oder PSSM, eine Muskelerkrankung, geben den Wissenschaftlern nach wie vor Rätsel auf. Folge von Inzucht? Oder von Zuchtzielen, die der naturgegebenen Konstitution des Pferdes wiedersprechen? Die Forschung stecke noch in den Kinderschuhen, sagt Dr. Wolfgang Schulze-Schleppinghoff, langjähriger Zuchtleiter des Oldenburger Verbandes und ein Kämpfer für eine genetische Datenbank, die öffentlich zugänglich ist. „Aber im Moment können wir noch keine fundierten Aussagen machen.“ Und vorher kann man keinen Hengst als Schad-Gen-Träger brandmarken.

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Einsicht in Röntgenbilder wird in der Regel nach der Körung nicht mehr gewährt. Kein Züchter erfährt, wieviel ärztliche Betreuung ein Hengst oder seine Nachkommen brauchen, um im Sport durchzuhalten. Und mancher fragt sich, warum überraschend viele Hengst gerade „im Aufbau“ sind, wo man doch nie was von ihrem Abbau erfahren hat.

Als Entscheidungshilfe hat Schulze-Schleppinghoff einen zwar altmodischen, aber deswegen nicht weniger guten Rat für den Züchter: „Schauen Sie sich an, wie viele Nachkommen der Hengst im Sport, möglichst im Spitzensport, hat und wieviele Jahre sie erfolgreich eingesetzt werden.“ Die falsche Wahl rächt sich manchmal erst Jahre später. Das Risiko liegt zu hundert Prozent beim Züchter. Denn der zahlt am Ende die Zeche.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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  1. Monika

    Finger in der Wunde.
    Sehr geehrte Fr. Pochhammer, das ist ein toller Artikel geworden, gerade jetzt vor den nächsten Körungen, in denen viele wieder dem Junghengsthype erliegen werden. Alle Ihre Anregungen sollten aufgegriffen werden.
    Nur eines ist nicht ganz richtig: Der Züchter zahlt die Zeche? Nein, der Käufer! Bis 3 halten die Pferde ja doch noch in der Regel durch. Aber dann geht nur allzu oft die Odyssee los. Zuerst nach Profiberitt mit Erfahrung für hypermobile Sensibelchen, um den Spagat zwischen Ausbildung und Überlastung noch zu managen, dann, wenn der Magen oder die wertvollen Beine trotzdem die ersten Macken haben, nach einem Tierarzt, und zuletzt, so mit 7 Jahren, nach Osteopathen, Physiopathen, Futterexperten oder gar Pferdeflüsterern allerlei Couleur, wenn statt Reiten die Probleme von PferdeKopf und PferdeKörper die Freizeit bestimmen.
    Freilich stimmt es auch, dass schlechtes Reiten die körperlichen und psychischen Probleme der talentierten Pferde immer schneller zu Tage treten lässt, Reitunterricht und körperliche Fitness des Reiters viel ausgleichen können. Aber Pilates-Kurse, Dressurfit, Meynart und Co – anscheinend schon Grundvoraussetzung für das Reiten dieser empfindlichen Tiere – sind auch nicht gerade umsonst.
    Wohl dem, der ein gut gefülltes Bankkonto hat, für schöne Sportstudios bzw. schöne Rentnerställe in seiner Umgebung.

  2. M. Bach

    Ein weiterer Aspekt ist, wie schnell einst gehypte Zuchthengste auch wieder in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht laufend weiter auf Turnieren vorgestellt werden (Beispiele hierfür, unter anderem auch Escolar, Imperio TSF und Millennium, etc.).

    Es scheint sich leider vieles in Richtung auf „Wegwerfhengste“ zu entwickeln. Bei den letzten Körungen in Westfalen und Hannover fiel ganz besonders auf, dass die jungen Vatertiere des Körungslots selbst erst ihren ersten oder zweiten Fohlenjahrgang präsentierten, und gleich mit mehreren Junghengsten vertreten waren. Bald wird dann „der Markt“ vermutlich mit Glamourdale-Fohlen geflutet werden.

  3. Dietrich

    Wenn sich an und für sich rennomierte Richter wie Dr. Plewa oder erfolgreiche Reiterinnen wie Frau Kemmer als Kommentatoren auf Hengstschauen verdingen und das Schowreiten mit absoluter Aufrichtung kommentarlos hinnehmen wird sich das täuschen der Züchter und Reiter nicht ändern.
    Es wäre aber auch zu kurz gegriffen, Ihnen die Alleinschuld an der Fehlentwicklung zu geben. Wenn die FN und FEI solches Reiten und Pferdeausbildung auf den Turnieren mit hohen Noten belohnen – warum soll es auf den Hengstpräsentationen dann nicht auch so gezeigt werden. Es wird immer das trainiert, was auf den Turnieren gefordert wird. Gäbe es noch den Gehorsamssprung würde jeder Reiter auch das üben. Würde es für korrektes Reiten Höchstnoten geben und die verspannten Edeltreter wären trotz ihrer Qualität auf den hinteren Rängen wären schnell andere, schönere BIlder auf den Turnieren und den Hengstschauen zu sehen. Spannend wäre es vermutlich wenn die Hnegste wie auf offiziellen Turnieren Dopingproben unterzogen werden würden.
    Etwas schizophren ist es dann schon, wenn die FN einerseits die Auktionsreiterei im Viereck belohnt und andererseits auf ihren Seminaren mit Herrn Hess und anderen Referenten „Besser Reiten“ propagiert. Auf den Turnieren sind nicht selten die vorn, die das Klavierspielen mit dem Vorschlaghammer praktizieren anstatt, dass die Richter die falsche Ausildung bzw. deren Folgen mit entsprechenden Noten bewerten.
    Im Podcast zur Dressur WM hat St. Georg es zumindest mal recht treffend formuliert, dass das beste Pferd zwar gewonnen hat – es allerdings nicht das am besten ausgebildete Pferd war. Dressurpferde-Grand Prix wurde es genannt. Was es meiner Meinung nach ziemlich treffend beschreibt.
    Die Zucht hat enorme Fortschritte gemacht mit gangewaltigen Pferden, welche mit ihrem Bewegungspotenzial über die Schwächen in der Ausbildung hinwegtäuschen. Dies funktioniert bis zu einem gewissen Grad, wenngleich man schon eine Menge schlechter Piaffen gesehen haben muss bis man auch als Grand Prix-Richter eine mittelmäßige Piaffe mit Höchstnoten bewertet.
    Das traurige ist, dass man die Ansichten von PETA und Co. in vielen Bereichen zu den Pferden nicht teilen muss – wir Ihnen aber regelmäßig Material liefern wo sie volkommen zurecht den Pferdesport an den Pranger stellen. Und das immer als Einzelfall ab zu tun entspricht leider nicht der Wahrheit und wir laufen Gefahr, das die gesellschaftliche Akzeptanz für die Reiterei, in Teilen zurecht, weiter schwindet.

  4. Ella Le

    Nicht ganz, die Zeche zahlt nicht der Züchter sondern der Pferdebesitzer der entweder als Fohlen als junges oder mittelates Pferd teuer gekauft hat und dann seinem 7 oder 10 jährigen die Rente finanzieren muss

  5. Christine

    Nun, die Züchter werden die Zeche auch zahlen: Im Bereich der Reiter des finanziellen Mittelstandes haben immer mehr die Hoffnung und den Spaß verloren. Wenn das 7 jährige Nachwuchspferd, dem 13 jährigen Vorgänger in der Frührente Gesellschaft leistet (man hat nicht nur zufällig 1x Pech gehabt und es reiten auch nicht alle diese Leute schlecht ;)), sind sowohl die finanziellen als auch die zeitlichen und nervlichen Grenzen für den Reitsport erschöpft. Der Sport ist dann Spazierengehen, ein paar Zirkuskunstücke beibringen, etwas Bodenarbeit und pflegen. Und dafür ist ein Shetlandpony weit geeigneter und günstiger als das moderne Sportpferd.
    Es brechen Käufer für die „Mittelklasse“-Reitpferde weg und das merken dann die Züchter, bei denen nur sehr wenige ihrer Zuchtprodukte in den Eliteställen unterkommen, wo ein paar mehr Frührentner kein wirkliches Problem darstellen. Der Reitsport verliert dabei leider seine breite Basis.

  6. AnjaK

    Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen! Als Besitzerin einer von DSLD betroffenen und vorzeitig in Rente geschickten Stute (diese Erkrankung fehlt noch in der Aufzählung von Frau Pochhammer) bin ich auf Equestride gestoßen, eine Art Schiene für den Fesselträger, eigentlich zur Heilungsunterstützung von schweren Sehnenverletzungen entwickelt, wird es von Hengsthaltern eingesetzt, um Hengste, die Aufgrund Fesselträgerproblemen keinen Sprung mehr machen können, weiter in der Zucht zu halten:
    „Many valuable sport horse and racehorse stallions all around the world are forced to retire early from stud duty because of injuries to the flexor tendons, suspensory ligaments and fetlock joints, particularly in the hind legs. The Equestride Support System has revolutionised the way these horses are managed. Its allows the valuable older stallions to continue their stud duties for much longer, and it keeps the young stallions from developing the kind of leg problems that cause early retirement.“ (Equestride.com – Paul Schockemohle explains the Equestride System)
    Die Käufer der so entstandenen Nachkommen haben dann das Nachsehen, wenn ihr Pferd in den besten Jahren in Rente gehen muss…

  7. Christiane Schmid

    Sehr guter Artikel, endlich ist Bewegung in der Masse. Schon vor 10 Jahren habe ich die Zucht hingeschmissen. Immer noch habe ich den Stall voll mit kranken, unreitbaren Pferden. Aber wie an dieser Stelle schon gesagt wurde, die Uhr tickt. Heutzutage völlig normal, dass man sein Pferd mit 12 in den Himmel schickt, weil es nicht mehr kann. Tolle Zucht!!!!


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