…hatte Bundestrainer Otto Becker selten wie in diesem Jahr vor der Springreiter-Weltmeisterschaft in Herning, bei der es auch schon um Startplätze für Olympia Paris 2024 geht. Vier dürfen sich freuen, eine ist enttäuscht und andere mussten ganz außen vor bleiben. Eine kleine Vorschau.
Eigentlich könnte Bundestrainer Otto Becker glücklich sein, endlich hatte er diesmal nicht nur vier oder fünf, sondern acht Kandidaten, die er guten Gewissens mit zur Weltmeisterschaft nach Herning (6. bis 14. August, alle Infos hier) nehmen könnte. Er stand diesmal wirklich vor der Qual der Wahl. „Alle acht aus dem Olympiakader hätten es verdient gehabt,“ sagt er. Das Team stellte sich diesmal nicht quasi von alleine auf, weil mehr als fünf Championatspaare gar nicht übrig waren, sondern einigen Reitern mit sehr guten Vorleistungen musste der Bundestrainer einen Korb geben. „Und das ist wirklich nicht einfach“, sagt er. Und macht wahrscheinlich auch keinen Spaß. Der Sensationssieger von Aachen, Gerrit Nieberg, ging ebenso leer aus wie Routinier Daniel Deußer, Vierter im Großen Preis von Aachen. Schaut man in die FEI-Datenbank, so sieht man, dass seine Championatsstute Killer Queen auf Rasen, wie in Aachen, deutlich besser ging als auf Sand (wie in Herning). Und die Steher von Tokio bei Olympia und Barcelona beim FEI-Nationenpreisfinale 2021 sind wohl auch noch nicht vergessen.
Unstrittige Nummer eins
Es geht in Herning um einiges, nicht nur um die WM-Titel, auch um die Qualifikation für die nächsten Olympischen Spiele 2024. Die fünf besten WM-Nationen können bereits jetzt ihr Ticket nach Paris lösen. Früher als nötig wurde die Nominierung bekannt gegeben, der Nennungsschluss ist der 25. Juli, bis dahin kann noch ausgetauscht werden. Insgesamt stehen ja zehn Reiter auf der Longlist. „Aber wir wollten den Reitern früh Klarheit geben für ihre Planung“, sagt Otto Becker. Für die Berufenen heißt das, genau durchdachter Aufbau zum Höhepunkt im August, für die anderen, dass sie jetzt ohne Rücksicht aufs Team die zweite Saisonhälfte in Angriff nehmen können. Die endgültige Entscheidung, welche vier von den fünf Nominierten tatsächlich starten, fällt nach dem Warm Up am ersten Tag in Herning, da sind alle Reiter, auch die Reservisten startberechtigt. „Aber die Entscheidung ist natürlich vorher gefallen, das Warm Up ist schließlich nicht noch eine weitere Qualifikation“, sagt Becker.
Auch wenn die Namen der Reiter für Herning in alphabetischer Folge aufgezählt werden, es gibt eine unstrittige Nummer Eins, und das ist der Mecklenburger André Thieme (47), der amtierende Europameister, der nach gutem Aachen-Auftritt jetzt mit dem Sieg im Großen Preis von Falsterbo zeigte, dass er seine zwölfjährige DSP-Stute Chakaria v. Chap bestens in Form hat. Der Mann ist in den letzten Jahren seinen eigenen Weg gegangen, startet im Winter – nach Absprache mit dem Bundestrainer – auf den gut dotierten US-Turnieren, und das mit großem, auch finanziellem Erfolg. Daneben handelt er mit Nachwuchspferden, die er mitbringt, aber im Idealfall nicht wieder mit nach Hause nimmt. Weltcup und Global Champions Tour (GCT) waren bisher kein Thema für Thieme, jetzt wird er im Herbst erstmals im Team Valkenswaard United mitreiten. Zwei GCT-Auftritte, in Riad und Prag, sind Pflicht, aber dann ist die WM ja vorbei.
WM wird erster Nationenpreis für Dominator Z
Auch über Jana Wargers (30) und den 13-jährigen Holsteiner Hengst Limbridge v. Limbus gab es keine Diskussionen, sichere Leistungen, konstante Ergebnisse, nie mehr als ein Abwurf in 1,60 Meter-Springen in den letzten sechs Monaten – die Entscheidung für die junge Frau, die für einen belgischen Besitzer reitet und jetzt ihrer Premiere in einem Seniorenchampionat entgegensieht, fiel vermutlich leicht.
Christian Ahlmann, 2021 durch Formschwäche seines zwölfjährigen Tophengstes Dominator Z v. Diamant de Semilly (ZANG) weder bei den Olympischen Spielen in Tokio noch bei der EM in Riesenbeck dabei, hat sich durch zwei Siege in Fünfsterne-Großen Preisen (Stockholm und Hamburg) wieder ganz nach vorne geritten. Hinzu kommt die große Erfahrung des 47-Jährigen, der schon vor fast 20 Jahren, 2003 in Donaueschingen, Europameister war. Dass Dominator Z auch ein längeres Turnier wie Herning (drei schwere Springen mit fünf Kursen) durchstehen kann, hat er dem Bundestrainer in den vier Tagen von Hamburg gezeigt. Herning wird der erste Nationenpreis im Leben des Hengstes sein. So gesehen wird es anderen Reitern schwer zu vermitteln sein, dass gute Nationenpreis-Ergebnisse die Chancen, in ein Championatsteam berufen zu werden, entscheidend verbessern.
Stargold und Ehning: Die Konstanten
Auf jahrzehntelange Erfahrung kann auch Marcus Ehning verweisen, dessen elfjähriger Hannoveraner Hengst Stargold v. Stakkato Gold das ganze Jahr über konstant gegangen ist, in keinem 1,60 Meter-Springen mehr als eine Abwurf hatte. Der 48-jährige Ehning gilt als Säule des Teams, auch wenn seine Nerven im entscheidenden Moment nicht immer Drahtseile sind. In Aachen konnte er sich nicht so in Szene setzen, wie er und der Bundestrainer es sich gewünscht hätten. Da er im Nationenpreis Jüngeren Platz gemacht hatte, in den anderen großen Springen jeweils einen Abwurf kassierte, war er nicht für den Großen Preis von Aachen qualifiziert – gerade mal einen raus. Der Sieg im großen Preis von Doha, Dritter im Großen Preis von Stockholm nach zwei Nullrunden stehen für ihn zu Buche. Otto Becker weiß, was er an Ehning hat.
Nicht glücklich ist Janne-Friederike Meyer-Zimmermann mit ihrem Reserveplatz. Auch sie kann auf zuverlässige Erfolge im Laufe der Saison verweisen, zweimal Null im Nationenpreis von Sopot, dasselbe nochmal in Aachen. Zwei Fehler im Großen Preis von Aachen waren mindestens einer zu viel und auch den Schreckmoment im Springen am Tag vor dem Nationenpreis, als Janne gänzlich unpassend zum letzten Sprung kam und Messi van’t Ruytershof nichts mehr tun konnte, sodass die Stangen flogen, hat der Bundestrainer wohl noch im Hinterkopf (obwohl er das nie zugeben würde).
„Kann passieren, sollte nicht passieren“, sagte er damals am Rande des Abreitplatzes. Janne kann ihre Enttäuschung nicht verbergen und bemüht sich um Contenance. „Ich will keine schlechten Vibes verbreiten“, sagt sie, „Alle im Team sind tolle Reiter, ich bin ja schließlich auch ein Teamplayer. Aber ich hatte gedacht, die Nationenpreise zählen mehr, zweimal doppelnull, das hat sonst keiner.“ Ein kleines Fragezeichen lässt sie noch hinter ihrem Herning-Auftritt, eine Woche vorher hat sie selbst ein großes Turnier auf ihrer Anlage Hof Waterkant. Bis dahin sollte auch ihr Mann seine Corona-Infektion überstanden haben, die er, wie so viele, die St.GEORG-Redaktion eingeschlossen, aus Aachen mitgebracht hat. Sogar der kleine Friedrich war infiziert. „Zum Glück nur leicht“, sagt Janne und zeigt auf Instagram ihren Sohn bei seinem ersten Ritt auf Jannes Aachen-Sieger Lambrasco, der dank guter Weide bei Jannes Eltern seinem Namen „Mops“ immer mehr Ehre macht. „Ich hatte die Entscheidung anders erwartet“, sagt sie, „aber ich hatte ein tolles Jahr, habe ein tolles Pferd, bin glückliche Mutter – ich will mich nicht beklagen.“
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