Zineday, das EM-Silbermedaillenpferd von Philipp Weishaupt, wird uns in den nächsten Jahren hoffentlich noch manche schöne Geschichte liefern, vielleicht sogar eine olympische. Der Hochbegabte sei schwierig, das betont Weishaupt immer wieder. „Wenn Du ihm den kleinen Finger gibt, nimmt er die ganze Hand.“ Nur zur Info für alle, die damit liebäugeln, die Finger nach dem Fuchs auszustrecken. Er stehe ohnehin nicht zum Verkauf, sagt Weishaupt. Das freut nicht nur den Bundestrainer.
Mailand ist Geschichte, Riesenbeck steht in den Startlöchern. Bisher war es eine durchwachsene, aber keine schlechte Championatssaison für die deutschen Seniorenteams und das kann ja an diesem Wochenende mit der Dressur-EM noch besser werden. Zwei Medaillen sollten drin sein, vielleicht auch mehr. Der letzte große internationale Test vor Paris. Den hat bei den Springreitern vor allem ein Paar bestanden. Philip Weishaupt und der im nächsten Jahr zehnjährige westfälisch gezogene Zineday v. Zinedine aus der Polydor-Tochter Paola. Die Silbermedaille für Weishaupt war ein versöhnlicher Abschluss eines Championats, bei dem es für Bundestrainer Otto Becker alles andere als rund gelaufen war. Erst blieb Ben, das Pferd von Gerrit Nieberg, weit unter Form, kassierte insgesamt acht Abwürfe. Dann musste Ehning vor der zweiten Nationenpreisrunde seinen Stargold zurückziehen, weil der Hengst sich morgens in der Box den Rücken verrenkt hatte. Aus der hauchdünnen Führung wurde am Ende nur Platz vier. Aber viel wichtiger war die Erkenntnis, dass mit Zineday ein Pferd zum deutschen Team gehörte, das in Paris eine Olympiamedaille gewinnen kann. Europäisches Springblut vom Feinsten, in den Genen neben sportlicher Hochbegabung auch eine ordentliche Portion Eigensinn und Selbstbewusstsein. Geniale Pferde sind selten die ganz braven.
Bei Springpferden sind die Genies diejenigen, die mitdenken im Parcours und fast immer null gehen. Dem erst neunjährigen Zineday passierte in Mailand nur ein Abwurf in fünf Kursen. Aber der Fehler war teuer: Einzelgold und Teambronze. Wie war das mit der Fahrradkette? Das vierbeinige Wunderkind im Stall von Ludger Beerbaum, Weishaupts Chef, ist, wie es aussieht, nicht zu verkaufen. So hörte es sich in der Pressekonferenz jedenfalls an. Und allein das sollte im vorolympischen Jahr, wenn viele gut betuchte Reiter noch einen Partner für Paris suchen, den Bundestrainer etwas ruhiger schlafen lassen.
Drachenzähmen leicht gemacht
Zineday wurde in Riesenbeck geboren und wuchs dort zu einem selbstbewussten jungen Hengst heran, der es seinen Reitern alles andere als leicht machte. Zunächst kam er in den Beritt von Richard Vogel, Weishaupts Assistenzreiter, dann zu Christian Kukuk, der als Einzelreiter mit Mumbai in Mailand 14. wurde, Weltklassereiter alle beide. „Es war Zinedays Glück, dass er immer sehr gute Reiter hatte“, sagt Weishaupt. Sonst wäre aus ihm womöglich nichts geworden. Er scheute häufig, wehrte sich und war alles andere als rittig. Bei Menschen würde man von einem „Borderline-Syndrom“ sprechen. „Er konnte von einer Sekunde zu anderen vom Pony zum Drachen werden“, sagt Christian Kukuk. Weniger gute Reiter wären an dem starken Charakter des Pferdes gescheitert, dessen Klasse aber nie in Frage stand.
Als Philipp Weishaupts US-amerikanische Sponsorin ihm vor zwei Jahren ein Nachwuchspferd mit Perspektive kaufen wollte, fiel die Wahl auf den Zineday. Sich von einem Pferd zu trennen, wenn ein zahlungskräftiger Kunde kommt, ist das tägliche Brot eines Profis. Da fließen keine Abschiedstränen wie in Junge-Mädchen-Filmen. Er sei froh gewesen, dass das Pferd in Riesenbeck geblieben sei, erklärte Kukuk sachlich. Weishaupt ließ Zineday kastrieren, das machte vieles einfacher. Aus dem ungebärdigen Hengst wurde ein handlicher Wallach, dessen Erfolgskurve steil nach oben zeigte. Der dritte Platz im Großen Preis von Aachen im Juli dieses Jahres zeigte: Zineday ist in den oberen Etagen des Springsports angekommen. Wo ihm die Erfahrung fehlt, hilft ihm die Routine seines Reiters. Noch immer stellt er Weishaupt vor disziplinarische Aufgaben. „Man darf ihm nichts durchgehen lassen“, sagt er. „Gibst Du ihm den kleinen Finger, nimmt er die ganze Hand.“
Geschenk des Himmels für Otto Becker
Ein Jahr vor Olympia ist für den Bundestrainer ein Pferd wie Zineday ein Geschenk des Himmels, wenn er gesund bleibt. Die ganz große Auswahl hat er nämlich nicht für Paris. Einige Reiter setzen inzwischen andere Prioritäten, fahren lieber zu Turnieren der lukrativen Global Champions Tour oder zu den Grand Slam Turnieren wie Calgary, das diese Woche beginnt. Becker muss viele Kompromisse eingehen, um seine Reiter bei der Stange zu halten. Er kann ihnen keine verpflichtenden Starts vorschreiben, wie es früher üblich war, und muss auf die Terminwünsche seiner Kandidaten eingehen.
In Mailand waren drei Reiter aus dem Stall Beerbaum im Einzelfinale dabei, Weishaupt, Kukuk und der Ire Eoin McMahon mit Mila, mit der Beerbaum im Juli in Aachen den letzten Parcours seiner Karriere geritten hatte. In Mailand stand er jetzt stand auf dem Abreiteplatz, um McMahon bei der Vorbereitung zu helfen, baute die Probesprünge auf, legte Stangen höher oder niedriger – am Ende stand ein respektabler 9. Platz und insgesamt ein überzeugender Auftritt des Stalles Beerbaum. Das springsportliche Machtzentrum in Riesenbeck wird auch im Olympiajahr ein Wörtchen mitzureden haben, darauf kann sich der Bundestrainer schon mal einstellen.
Doch am kommenden Wochenende stehen ausnahmsweise mal nicht die Springcracks im Mittelpunkt. Europas beste Dressurreiter tragen ihre EM aus, auch für sie der letzte große vorolympische Test. Und das erste Zusammentreffen der beiden Vierecks-Legenden, Glamourdale von Weltmeisterin Lottie Fry und Dalera von Olympiasiegerin Jessica v. Bredow-Werndl. Das wird mindestens so spannend wie ein 1,60 Meter-Stechen. Hengst gegen Stute, Junger gegen Ältere, jugendlicher Glanz gegen Reife und Erfahrung. Wir sind gespannt. Und bekommen vielleicht schon Aufschluss darüber, wer in einem Jahr unter dem olympischen Feuer triumphiert. Vielleicht ja auch jemand ganz anderes.
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