Für das Foto brauchte man ein Weitwinkel-Objektiv. Das ist nicht der einzige Grund, warum es in jüngerer Zeit kein Bild des kompletten Whitaker-Clans gibt, dessen zahlreiche Mitglieder im internationalen Sport unterwegs sind. Denn irgendwo ist immer ein Springturnier, wo der Name Whitaker auf der Starterliste steht.
Es begann in Yorkshire auf der Hayside Farm, wo Donald Whitaker und seine Frau Enid einen Milchviehbetrieb führten, schon damals ein hartes Brot für die Familie mit vier Söhnen. John und sein jüngerer Bruder Michael fuhren vor der Schule die Milch aus, Mutter Enid sorgte dafür, dass auch immer ein paar Ponys zum Reiten im Stall standen. Was als Freizeitbeschäftigung für die Kinder gedacht war, legte den Grundstein für die berühmteste Dynastie des internationalen Springsports.
Zwei Whitakers fanden den Weg zum Weltcupfinale nach Leipzig: John, 66, der weitaus Erfolgreichste des Clans seit Jahrzehnten, und sein Neffe Jack (20), Sohn von Michael, auch er viele Jahre ein Säule des britischen Springteams, der in den Messehallen vor Ort war, um Sohn und Bruder zu helfen. Schon in den vergangenen Jahren hatte Michael viele junge Whitakers unter seine Fittiche genommen.
Was ihn von seinem Onkel unterscheide, wurde Jack in Leipzig gefragt. „Das Alter, die Haare (John hat fast keine mehr) und die Tatsache, dass er der bessere Reiter ist.“ Witz und Bescheidenheit – das kommt gut bei einem jungen Reiter, der ganz unbefangen drauflos plaudert. Auch das unterscheidet Jack von Onkel John, der für seine Zwei-bis-sechs-Wörter-Sätze bekannt ist. Johns berühmteste Kalauer ist die Antwort auf eine Journalistenfrage nach der Ursache eines Fehlers: „Mein Pferd ist nicht hoch genug gesprungen.“ Da gab es dann nichts mehr hinzuzufügen. Oder nach dem Unterschied zwischen seinen Top-Pferden Ryan’s Son und Milton: „The colour“. Die Farbe. Der eine war braun, der andere weiß, zweifellos richtig.
„Ich bin ein schlichter Denker“
Bei Jacks Redetempo hingegen versagt das Schulenglisch des Zuhörers zuweilen. Er erzählt von seiner Begeisterung für Manchester United, die ihn fast in Richtung Fußball gedrängt hätte statt in den Pferdestall. „Irgendwas mit Sport hätte ich auf jeden Fall gemacht, ich bin kein Intellektueller, ich bin ein schlichter Denker,“ sagt er. Sein Ausnahmetalent zeigte sich schon als Ponyreiter. Mit 15 gewann Jack sein erstes Auto, das er eigentlich noch nicht fahren durfte, weil er noch keinen Führerschein hatte. Bei der Ehrenrunde probierte er es trotzdem und würgte zweimal den Motor ab. In Leipzig hat er mit dem sechsten Platz in der Gesamtwertung einen Meilenstein in seiner jungen Karriere gesetzt, John war Zwölfter und immer noch für Weltklassekurse gut. Mehr als eine Handvoll Whitakers der zweiten Generation sind international unterwegs, die Kinder von John und Michael, den beiden berühmtesten des Clans, und ihren Brüdern Steven und Jan. Und eine ganze Riege Enkel trainiert schon im Ponyclub, um eines Tages die Familienehre hochzuhalten.
Auch andere Söhne berühmter Väter überzeugten in Leipzig auf großer Bühne, angefangen von Weltcupsieger Martin Fuchs, dessen Vater Thomas Fuchs nach der eigenen Karriere jetzt die Schweizer Springreiter trainiert, über den 21-jährigen Briten Harry Charles, den Sohn von Mannschaftsolympiasieger Peter Charles, Vierter in Leipzig.
In diese Reihe gehört auch Gerrit Nieberg (29), der besser anfing als er aufhörte, am Ende 13. wurde, aber doch schon im Blickfeld des Bundestrainers galoppiert. Jetzt müssen erstmal die Videos von den Leipzig-Ritten ausgewertet werden, um zu sehen, was man noch besser machen kann. Die Analyse nach dem Ritt gehört für seinen Vater, den Mannschaftsweltmeister und -olympiasieger Lars Nieberg und seine Söhne Max und Gerrit dazu. Sie sind ein Team. Der Turnierplan und die Verteilung der Pferde werden gemeinsam festgelegt. Nicht immer sind alle einer Meinung. „Dann wird auch mal Klartext geredet, aber keiner hier ist nachtragend“, sagt Lars Nieberg. Auch Gerrit lief als Kind eher dem Fußball als den Pferden hinterher, mit 13 Jahren dann der Schwenk Richtung Stall. Bevor er eine Bereiterlehre bei der FN in Warendorf absolvierte, ließ sich Gerrit noch zum Steuerfachangestellten ausbilden. „Falls es mit der Reiterei nicht geklappt hätte.“ Wie es aussieht, braucht er dieses Know How jetzt nur noch für seine eigene Steuererklärung.
Reiter-Kinder sind klar im Vorteil
Kinder erfolgreicher Reiter haben es leichter, nicht nur weil das erste Pony schon bereit steht, bevor sie laufen können und schon am Frühstückstisch über Pferde geredet wird. Kinder aus diesen Familien wissen schon früh, dass Pferde nicht nur zum Streicheln da sind, sondern zuweilen verkauft werden müssen, damit die Stallkasse stimmt. Sie lernen zu akzeptieren, dass selbst der Verkauf des Lieblingspferdes nicht das Ende der Welt bedeutet. „Wendy“-Romantik hat in diesem Umfeld keinen Platz. Reiter-Kinder wissen früh, wie man ein gutes Pferd erkennt, seine Qualitäten und Möglichkeiten beurteilt, bevor es sechs- und siebenstellige Summen kostet. Ein unschätzbarer Vorteil, wenn man eine Profikarriere anstrebt.
Wer diesen „Pferdeverstand“ nicht hat, – und er geht nicht immer Hand in Hand mit der reiterlichen Begabung – ist sein Leben lang auf den Rat von Experten angewiesen. Sich schnell auf neue, auch schwierige Pferde einzustellen, immer wieder den richtigen Draht zu verschiedenen Vierbeinern zu finden, auch diese Erfahrung haben Reiter-Kinder Gleichaltrigen voraus, die mit Hilfe des elterlichen Portemonnaies ein, zwei teure Pferde unter dem Sattel haben. Wer nicht sparen muss, ist klar im Vorteil. Aber vieles kann man eben auch im Pferdesport nicht kaufen, wie Sachverstand und das tägliche Vorbild im Sattel und einen Vater oder eine Mutter, die wissen, wie’s geht.
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