Moment mal! Gewichtige Probleme

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Sollen reiterliche Leichtgewichte wieder Blei mitnehmen müssen, um schwerere Reiter nicht zu benachteiligen? Klingt abstrus, wird aber in Großbritannien derzeit diskutiert.

Kaum 45 Kilo dürfte Rosalind Canter auf die Waage gebracht haben, als sie in diesem Frühjahr erst das Fünfsterne-Event in Badminton gewann und vor zehn Tagen in Haras du Pin Europameisterin wurde, beide Male auf dem Grafenstolz-Sohn Graffalo, beide Male auf schwerem, durchnässtem und klebrigem Boden, der dem Wallach nicht das Geringste auszumachen schien. Kein Wunder bei dem Fliegengewicht – und schon waren wir wieder bei einer Diskussion, die vor vielen Jahren die Gemüter beschäftigte und seit 1996 beigelegt schien.

Das Gewicht des Reiters ist zweifelsohne eine gewichtige Komponente. Nicht ohne Grund werden die Kilos, die ein Jockey im Rennen auf die Waage bringen darf, sorgfältig austariert. Außer in den klassischen Rennen, in denen alle Pferde dasselbe Gewicht tragen – im Derby sind es 58 Kilo für Hengste, 56,5 Kilo für die in der Regel etwas leichter gebauten Stuten – wird in den so genannten Ausgleichsrennen vom Handycapper anhand der bisherigen Erfolge festlegt, wieviel jedes Pferd tragen muss, damit ein einigermaßen ausgeglichenes Starterfeld zustande kommt. Die Guten mehr, die nicht so Guten weniger. Das belebt das Wettgeschäft. Es gibt sogar eine Formel: Geht man von einer Renndistanz von 2000 Meter aus, bringen zwei bis zweieinhalb Kilo weniger eine Pferdelänge Vorteil, ein Kilo immerhin noch eine Halslänge. Zumindest theoretisch. Die Verfechter berufen sich auf ein Gesetz von Isaac Newton, das manchen aus dem Physikunterricht bekannt vorkommt: „Kraft gleich Masse mal Beschleunigung“. Mit anderen Worten: Ein höheres Gewicht verlangt bei gleichbleibender Geschwindigkeit einen erhöhten Kraftaufwand, in diesem Fall vom Pferd. Bleibt der Kraftaufwand derselbe, wird sich die Geschwindigkeit reduzieren.

Totes Gewicht ist nicht pferdefreundlich

Geht es bei Jockeys meist darum, Gewicht zu verlieren, um die gewünschten Kilos reiten zu können, gab es im Geländesport keine Grenze nach oben, sondern Leichtgewichte mussten aufstocken. Bettina Hoy, Mitglied des olympischen Bronzeteams in Los Angeles 1984, berichtet: „Zu der Zeit hatte ich etwa 48 Kilo und musste mit Sattel 75 Kilo auf die Waage bringen. Beim Zurückwiegen nach dem Cross durfte ich die Trense als Ausgleich hinzunehmen, für den Fall, dass ich beim Ritt Gewicht verloren hatte.“

Wenn ein schwererer Sattel nicht reichte, wurde mit Bleiplatten in der Satteldecke ausgeglichen, eine deutliche Erschwernis für die Pferde, denn totes Gewicht balanciert nicht, kann nicht flexibel reagieren und belastet ein Pferd mehr als „Lebendgewicht“. Das benachteiligte vor allem die Reiterinnen, aber auch schlanke junge Männer kamen nicht ohne schwere Zugaben über den Kurs. Ein mir befreundeter Reiter, in seiner Jugend das, was man Hänfling nennt, wurde als 14-Jähriger nach einem Geländeritt disqualifiziert, weil alle Bleiplatten, schwere Stiefel und ein dicker Helm nicht reichten, das erforderliche Mindestgewicht zusammenzubringen. Ein Konkurrent hatte ihn bei den Richtern angezeigt.

Überlastung der Vorhand

Mit dem Spuk war es dann im Jahre 1996 vorbei. Eine treibende Kraft war der damalige Bundestrainer Martin Plewa, der sich im St.GEORG für die Abschaffung der Gewichte aussprach, sehr zum Missvergnügen seines damaligen Chefs, des Ausschussvorsitzenden Dr. Bernd Springorum, der den Gewichtsausgleich mit Bleiplatten beibehalten wollte.

Plewa selbst musste als Reiter circa drei Kilo mit Blei ausgleichen, beim Training in Warendorf mit General a.D Wilhelm Viebig wurde mit fünf bis sechs Kilo Blei trainiert. „Die Pferde wurden schon widerwillig, wenn sie uns mit dem Bleisattel kommen sahen“, erzählt Plewa. „Sie verloren an Gehlust und Arbeitseifer. Und gerade bei Tiefsprüngen geht totes Gewicht unheimlich auf die Vorderbeine.“ Er erinnert sich an eine Prüfung in Achselschwang, bei der auch Imke Karsten, die Tochter des damaligen Bundestrainers Hort Karsten, am Start war. „Ihr kleiner Fuchs konnte bei einem Tiefsprung das viele Bleigewicht einfach nicht halten und stürzte“. Insofern geht es hier auch um das Wohl des Pferdes.

Jetzt, nach dem Sieg von Rosalind Canter, lebte die Diskussion wieder auf. Auf den Leserbriefseiten der britischen Pferdezeitschrift Horse and Hound ist eine Diskussion entbrannt um die Frage, ob nicht wieder Gewichtsregeln eingeführt werden sollen, um die sportliche Chancengleichheit zu wahren. So berichtet ein Leser, wie er, als es noch in jeder großen Vielseitigkeit eine Rennbahnphase und zwei Wegestrecken gab, teilweise neben dem Pferd hergelaufen sei, um es zu schonen. Solche Bilder sah man öfter, selbst bei Olympischen Spielen.

Zierliche Figur kein Garant für gute Reiten

Ob ein etwas höheres Gewicht wirklich von Nachteil ist, auch darüber kann man streiten. Entscheidend ist am Ende, wie der Reiter sein Gewicht einsetzt, wie „leicht“ er sich über dem Sprung machen kann, wie gut er sich ausbalanciert. Ich rede nicht von Reitern, die aussehen, als ob sie einen Fußball verschluckt haben, aber die gab es in der Vielseitigkeit ja ohnehin nie. Im Springsport heute auch nicht mehr. Das ist höchstens ein Problem im Basissport, wenn zu große und damit auch zu schwere Reiter auf Ponys und Kleinpferden sitzen.

Dem kürzlich verstorbenen Harry Klugmann, schon zu aktiven Zeiten etwas stärker gebaut, mit dem Team Olympiadritter in München 1972, wird ein besonders gutes Balancegefühl attestiert, das seinem Pferd stets entgegenkam. Und auch eine zierliche Figur ist kein Garant für Takt und Feingefühl. „Man glaubt nicht, was zarte Mädchenhände ziehen können“, wird ein bekannter Pferdemann zitiert. Fliegengewicht im Sattel hilft dem Pferd, ohne Frage. „Jedes Kilo weniger ist von Vorteil,“ sagt Chris Bartle, Trainer der britischen Europameister, selbst mit der asketischen Figur eines Marathonläufers gesegnet. Und von einem toll reitenden Floh wie Rosalind Canter träumt wahrscheinlich jedes Pferd.

Auch interessant

#doitride-Newsletter   Sei dabei und unterstütze die #doitride-Kampagne! Mit unserem Newsletter verpasst Du keine Neuigkeiten rund um #doitride. Jetzt aktivieren!

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

stgeorg_newsletter_booklet
  1. HEIDI

    Ha, ha, …..jetzt gewinnen mal die Leichtgewichte, schon geht das Gejammere los. Was für ein Quatsch. Wie konnte denn jemals ein Fox Pitt gewinnen, oder Todd…..Wer nicht geeignet ist für Eventing, der muss sich eben einen anderen Sport suchen. In dem Sport haben Bleigewichte nichts zu suchen.

  2. Ella

    Verrückt auf was für Ideen man damals gekommen ist. Was ist denn mit den Gewichtsunterschieden bei den Pferden? Das macht doch viel mehr aus, als die paar Kilo unterschied beim Reiter obendrauf


Schreibe einen neuen Kommentar