Nach fünf Jahren hat sich die Global Champions Tour aus Hamburg verabschiedet. Wer einen öffentlichen Aufschrei fürchtete, kann durchatmen: In der 103-jährigen Derbygeschichte bleibt die Superserie am Ende nur eine Episode. Im Mittelpunkt steht mehr denn je der Klassiker des deutschen Springsports, das Derby.
Eigentlich ist auch in diesem Jahr in Hamburg alles wie immer: die ersten Planen und Stangen für den VIP-Palast gegenüber dem Einritt rücken an, in knapp drei Wochen, vom 17. bis 21. Mai, wird sich im Derbypark Tout Hamburg tummeln und von dort das Geschehen überblicken. Bis auf den letzten Platz werden an den Haupttagen auch die Tribünen besetzt sein, da fällt es nicht so auf, dass die verblichene Pracht dringend der Renovierung bedarf. Auf seine Hanseaten kann Volker Wulff sich verlassen. Der Rückhalt in der Region, wie ihn vielleicht in Deutschland nur Aachen und Wiesbaden noch haben, ist bares Geld wert.
Der Rasen im Derbypark von Klein-Flottbek wird in Bestform gebracht, das allein lässt sich Volker Wulff jedes Jahr rund 30.000 Euro kosten. Der perfekte Grasboden ist ein Thema unter den Springreitern, denn die meisten internationalen Turniere werden heute auf Sand ausgetragen. Der ist zwar bei jedem Wetter beherrschbar, aber viele Reiter sind nach wie vor der Ansicht, dass die Pferde auf gutem Rasen besser springen. Dazu müssen sie beschlagen sein, damit bei Bedarf auch Stollen eingedreht werden können, und das geht natürlich nicht, wenn, wie es unter Springreitern gerade in ist, die Pferde barfuß laufen. „Hamburg als Sandplatz ist völlig unvorstellbar“, sag Volker Wulff, „aber Grasplätze müssen gepflegt werden, sie müssen perfekt sein, gut durchwurzelt und widerstandsfähig.“ Das gilt auch für viele traditionsreiche Plätze wie Aachen, St. Gallen, Hickstead und Calgary, alles auch Schauplätze von Nationenpreisen übrigens.
Nicht nur für Spezialisten
So ist es in Hamburg seit 103 Jahren. So lange gibt es das Springderby, am Sonntagnachmittag immer noch Höhepunkt des Turniers. Und zwar ziemlich unabhängig davon, wer mit welchem Pferd startet. War es früher selbstverständlich, dass die Spitzenreiter mit ihren besten Pferden antreten, so müssen sie heute meist lange vorher darüber nachdenken, ob sie ein „Derbypferd“ haben, das dann eigens an den überall im Lande nachgebauten Naturhindernissen trainiert wird und nach dem Derby eine längere Verschnaufpause bekommt. Oder dass Reiter aus der zweiten Reihe ihre Chance wittern, auf ganz großer Bühne ins Rampenlicht zu galoppieren. Das war nicht immer so. Vierbeinige Olympiasieger wie Meteor (Fritz Thiedemann, 1951), Halla (Hans Günter Winkler 1955), Posillipo (Raimondo d`Inzeo, 1961) sind nur ein paar Beispiele für Pferde, die ihre außergewöhnliche Karriere mit dem Blauen Band aus Hamburg schmückten, was zugegebenermaßen schon eine Weile her ist. Aber da der Flottbeker Naturkurs in seinen Grundzügen gleich geblieben ist, eher an einigen Stellen etwas erleichtert wurde, bleiben auch die Leistungen über Jahrzehnte vergleichbar. Das ist ja das Schöne am Springderby.
Heute wie damals gibt es nur wenige Pferde, die zwei Wochen nach dem Derby schon wieder einen Großen Preis über bunte Stangen gewinnen. Einer davon war der französische Hengst Champion du Lys, mit dem Ludger Beerbaum zweimal das Derby gewann, zum ersten Mal vor genau 25 Jahren, also 1998, und weitere fünfmal unter den ersten acht rangierte. „Champion war kein Derbyspezialist“, sagt Beerbaum heute, „er war einfach ein komplettes Pferd, mutig und vorsichtig, nahm die Natursprünge locker, ohne sich zu verausgaben.“ Der Schimmel gewann Große Preise und Weltcupspringen und 1999 mit der deutschen Springreiter-Mannschaft EM-Gold.
Mythen über den Haufen geworfen
Auch die Überraschungssiegerin von 2022, Cassandra Orschel, erst die vierte Frau in der Derbygeschichte, übt schon. „Cassandras Sieg war ein Segen“, sagt Volker Wulff, „Sie hat allen gezeigt: Man kann eine Frau sein, man kann unter 30 sein, man kann danach relativ schnell weitermachen. Damit hat sie gleich mehrere Mythen über den Haufen geworfen.“
Auf Weltranglisten-Prominenz im Derby hofft Volker Wulff in diesem Jahr besonders, denn es wird am Derby-Wochenende weltweit kein weiteres Fünfsterne-CSIO um die Gunst der Stars konkurrieren. Nennungen aus aller Welt gehen in diesen Tagen ein. Nicht alle werden im Derby reiten, aber der Große Preis am Sonnabend dürfte Magnet genug sein. Und das, obwohl Wulff aus der Superserie Global Champions Tour ausgestiegen ist, den Vertrag mit Tourschef Jan Tops nicht verlängert hat. Komischerweise platzte keine Bombe, als die Nachricht bekannt wurde, dass sich die hochdotierte Serie nach 15 Jahren aus der Hansestadt verabschiedet. Der Grund? „Man fühlte sich zu sehr im Schatten des Derbys,“ sagt Wulff. Das drückte sich auch in TV-Zeiten aus: Während die Öffentlich-Rechtlichen das Springderby ausgiebig übertragen, blieb für die Global Champions Tour nur eine halbe Stunde. Das Programm umzustellen, um die Global Tour mehr in den Mittelpunkt zu rücken, war für Wulff keine Option. Offenbar wird die Tour in Hamburg nicht wirklich vermisst: „Wir sind beim Ticketverkauf kein einziges Mal gefragt worden, warum wir nicht mehr Station der Global Champions Tour sind“, sagt Wulff. Es gab eine Menge Gerüchte, das Derbyturnier sei damit mausetot, oder werde zum Dreisterne-Event herabsinken, oder werde Millionen Gewinngelder ausschütten – nichts stimmte.
Mehr Geld, mehr Weltranglistenpunkte
Wulff konnte Uhrenhersteller Longines, Titelsponsor der Serie wie auch des Weltreiterverbandes FEI wie auch der im Entstehen begriffenen Supernationenpreisserie „Longines League of Nations“, im Boot halten. Der Große Preis wurde von 120.000 auf 154.000 Euro aufgestockt, auch in den Qualifikationen und im Derby gibt es mehr Geld, und damit automatisch mehr Weltranglistenpunkte, für die Topreiter genau das, was zählt. Unter den Tisch fallen wird die Global Champions League, also die Mannschaftsprüfung, deren Modus ohnehin das gemeine Volk nie verstanden hat und die auch niemand vermissen wird.
Dressurderby: Alleinstellungsmerkmal Pferdewechsel
Wie das Springderby hat auch das Dressurderby seinen USP, seinen „Unique Selling Point“, also ein Alleinstellungsmerkmal. Und das ist der Pferdewechsel im Finale der drei Besten aus dem Grand Prix. Hier zeigt sich, wer das beste Händchen für ein fremdes Pferd hat, welches Pferd so reell ausgebildet ist, dass es von einem guten Reiter nachgeritten werden kann. Auch hier enthält die Siegerliste berühmte Namen. Genau 20 Jahre ist es her, dass Dolf Keller, der schon an der Hand seines Großvater als Kind über die Derbyplatz marschiert ist, seinen Traum wahr machte, mit einem Pferd, das später Zuchtgeschichte schrieb: dem Oldenburger Rapphengst De Niro. 1955 wurde das Dressurderby zum ersten Mal ausgetragen und ist bis heute ein Highlight, ein Must für die Hamburger Dressurfans.
Mit der Nachhaltigkeit muss sich heute jeder Turnierveranstalter befassen. Die gute Nachricht: Der ganze Mist aus den Ställen wandert anschließend in die Landwirtschaft. Das größte Problem: der An- und Abtransport der Fans, mit Autos (möglichst nicht), oder S-Bahn. Kleiner Trost: Da geht es Volker Wulff nicht anders als dem FC Bayern.
Liebe St Georg Redaktion, da ist was durcheinander gekommen. 1998 war die WM in Rom, dort hat Ludger Beerbaum Priamos geritten.
Hallo Selia, danke für den Hinweis, da haben wir uns tatsächlich um ein Jahr vertan und die Zahl nun korrigiert. Beste Grüße, Gloria Lucie Alter