Moment mal! Kann man ein Vielseitigkeitspferd züchten?

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Gabriele Pochhammer,. Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Das ist die Frage aller Fragen, der sich Vielseitigkeitsreiter und  -züchter  immer wieder stellen, einen vierbeinigen Mehrkämpfer, der in drei Disziplinen stark ist, Dressur, Gelände und Parcoursspringen. Braucht es heute und in Zukunft noch viel Vollblutgene? Und wo findet man sie?

Die Kommunikation zwischen denen, die Vielseitigkeitspferde züchten und denen, die sie anschließend reiten, ist zuweilen etwas karg. Dabei ist der Dialog zwischen beiden immens wichtig. Wie sieht das ideale Vielseitigkeitspferd aus? Das von heute, das ja längst geboren ist, und das in zehn Jahren, für das jetzt schon Überlegungen angestellt werden müssen. Darüber wird am 31. Mai während des von der Schweizer Pferdefamilie Vogg ausgerichteten Turniers in Tasdorf bei Neumünster  ein hochkarätiges Podium diskutieren, mit  den Olympiaaspiranten Malin Hansen-Hotopp und Christoph Wahler, der Züchterin, ehemaligen Championatsreiterin und Holsteiner Vorstandsmitglied Inken Gräfin von Platen-Hallermund, und dem Trakehner Zuchtleiter  Neel Schoof. Stimmen weiterer Experten werden eingeblendet, außerdem soll versucht werden, anhand von statistischen Untersuchungen herauszufinden, welche Abstammungen erfolgreicher sind als andere. Was will der Markt? Das ist die Kernfrage für den Züchter. Wo bekomme ich das richtige Pferd her? Fragt sich der Reiter.

Keine Resteverwertung

Ich meine, wie alles kann man auch Vielseitigkeitspferde züchten, aber es ist ein sehr komplexes Unterfangen. Der Vielseitigkeitssport ist keine Resteverwertung für Pferde, die weder für Dressur noch für Springen geeignet sind. Das war früher schon falsch und gilt erst recht nicht mehr, seitdem die Vielseitigkeit ihre Anforderungen an die Pferde mehrfach verändert hat, vom blutgeprägten großräumigen Galoppierer hin zum Dreikämpfer, der in allen drei Teilprüfungen über besondere Begabungen verfügen muss, um vorne dabei zu sein. Gefragt ist ein Pferd mit guten Grundgangarten, die mindestens für Dressur Klasse M reichen sollten, dazu eine hohe Rittigkeit, nicht nur fürs Viereck, auch für die immer technischer werdenden Geländekurse, für die das Pferd darüber hinaus Galoppiervermögen, Stamina und Mut braucht. Wichtigster Punkt ist in meinen Augen das Springen, vor allem Manier, Geschicklichkeit und Beintechnik, fürs Gelände aber auch für den Parcours, der sich mit trickigen Distanzen und beachtlichen Abmessungen dem Spezialspringsport annähert. Kein Buschreiter fasst ein Pferd an, das nicht einen vernünftigen Sprung macht. Schon aus Sicherheitsgründen.

Eine Besonderheit in der gezielten Zucht von Vielseitigkeitspferden ist der Anteil von Vollblut im Pedigree. Waren früher mindestens Halbblüter, noch besser Dreiviertel- oder Siebenachtel-Blüter gefragt, so tun es heute auch 40 Prozent Vollblut, darunter finden sich kaum Pferde im gehobenen Vielseitigkeitssport. Und das ist schon für den Züchter schwierig genug. Nur wenige Blüter bekommen heutzutage die Chance, so viele Nachkommen zu produzieren, dass über ihre Vererbung eine sichere Aussage getroffen werden kann, Ausnahmen sind etwa Heraldik xx und Stan the Man xx.

Für den Züchter bleibt die Benutzung eines Vollblüters ein Vabanque-Spiel. Bekommt er ein Stutfohlen, was sich jeder wünscht, hat er vielleicht eine gute Nachwuchsstute. Halbblutstuten als Mütter sind begehrt, nicht nur in der Vielseitigkeit. Aber sie gibt es immer weniger, die Zeiten, in denen bei der Holsteiner Eliteschau ein eigener Halblutring antrat, sind längst vorbei. Wo sollen die Halbblutstuten herkommen, wenn kein Mensch mehr zum Vollblüter geht? Halbbluthengstfohlen bringen in der Regel weniger Geld als ihre warmblütigen Kollegen aus Springstämmen, selbst die Preise für gekörte Halbbluthengste bewegen sich deutlich unter denen für Hengste mit weniger Blut. Das muss man wissen. Bei der Verwendung eines Vollbluthengstes achte ich aufs Exterieur, aus dem man ja auch bis zu einem gewissen Grad die Rittigkeit herauslesen kann, auf seine Geschichte, auch im Rennsport: Ist er lange gelaufen oder nur eine Saison? Über welche Distanzen? Und was macht er für einen Sprung? Der muss nicht 1,60 Meter hoch ein, ein technisch guter Sprung über 1,20 sagt auch schon viel aus. Ich benutze keinen xx-Hengst, von dem ich nicht einen Sprung gesehen habe. Vor allem muss er gesund geblieben sein. Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Das gilt auch und gerade für Buschpferde.

Holstein hat sich auch im vergangenen Jahr als weltbester Produzent von Buschpferden hervorgetan, die Kombination aus alten Stämmen mit Vollbluteinmischung und erprobten Springhengsten hat sich erneut bewährt.

Der Reiter muss nehmen, was er auf dem Markt findet. Die ständige Änderung des Modus der Vielseitigkeit bis hin zu den Olympischen Spielen kam dem deutschen Reitpferd entgegen. Die Zeiten, in denen jeder Buschreiter, der was auf sich hielt, nach England oder Irland fahren musste, um Pferde zu suchen, sind Geschichte. Heute kommen die Käufer aus den Englisch sprechenden Ländern auf den Kontinent, nach Deutschland, Frankreich oder Belgien. Eine spannende Entwicklung, von der keiner weiß, wohin sie führt. Die beiden großen britischen Fünfsterne-Events Badminton und Burghley ragen aus dem Kalender wie ehrwürdige Dinosaurier. Sind sie noch der Maßstab für eine Buschkarriere oder geht der Sport längst andere Wege? Viele Fragen, es lohnt sich, nach Antworten zu suchen.


Infos zur Podiumsdiskussion, geleitet von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer:

Freitag, 31. Mai, 19 Uhr im Festzelt, Gestüt Tasdorf, Busdorfer Weg 15, 24536 Tasdorf (Beschilderung folgen)

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.