Moment mal! Lauter Neuanfänge

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Endlich wieder Hamburger Derby, das 91. im Parcours, das 62. in der Dressur. Alles ist wie immer? Nicht ganz. Die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen, fast alles ist teuer geworden und nicht alle Aussteller haben die Durststrecke durchgestanden. Aber es geht wieder los, die Szene trifft sich, die Hamburger wollen unterhalten werden und die Reiter wollen entweder Punkte für die Global Champions Tour sammeln oder endlich mal das Derby gewinnen.

Das Gefühl kommt jedes Frühjahr wieder, wenn die Vögel geschäftig zwitschern und anfangen, die Haare zu sammeln, die unsere Pferde beim Fellwechsel verlieren, um damit ihre Nester auszupolstern. Es ist, als ob die Natur nochmal von vorne anfängt und nicht nur die. Jedes Frühjahr ist ein Neubeginn, ganz besonders in diesem Jahr, nach dem vorläufigen Ende der Corona-Restriktionen. Auch der Pferdesport erblüht wieder. Die Reiterszene trifft sich fast wie früher live auf den Turnierplätzen, den großen und den kleinen. Nicht alle Veranstalter haben die Durststrecke überstanden, nicht alle Sponsoren sind dabei geblieben, auch weil die Wirtschaft nicht mehr so geschmeidig dahingleitet wie vor zweieinhalb Jahren und das Geld nicht mehr so locker sitzt.

Das Hamburger Derby hat überlebt, es wird vom 25. bis 29. Mai zum 91. Mal ausgetragen, das Dressurderby zum 62. Mal nach der Covid-Zwangspause im Jahr 2020 und der Sparversion 2021, mit Global Champions Tour aber ohne die Derbys. Derbychef Volker Wulff kann erstmal durchatmen, die Sponsoren sind bei der Stange geblieben, andere konnten sogar neu gewonnen werden. „Aussteigen kam für mich nie in Frage“, sagt Albert Darboven, dessen Kaffee-Firma Idee das Derby präsentiert und darüber hinaus in der „Vereinsinitiative“ Reitvereine mit Kaffeespenden fürs Hausturnier unterstützt. „Der Zug fährt ja noch“. Hamburger Urgestein darf man ihn wohl nennen, schon als Junge sei er über den Zaun geklettert, um beim Derby zuzugucken, sagt der heute 86-Jährige. Abspringen kam auch für die Deutsche Kreditbank (DKB), langjähriger Derbypartner, nicht in Frage. „Wir freuen uns, wieder dabei zu sein in Klein-Flottbek“, sagte DKB-Sprecherin Nathalie de Bresser.

Alle wollen mehr Geld

Die Pandemie hätten er und sein Team von En Garde gut genutzt, sagte Volker Wulff beim „Derbytalk“ im Landhaus Scherrer an der Hamburger Elbchaussee. „Es war nicht sonderlich schön, jeder wollte arbeiten, aber das ging halt nicht.“ Stattdessen traf man sich dienstags und donnerstags zu einem „Jour fixe“, bei dem alles besprochen wurde, es wurden Pläne geschmiedet und Konzepte entwickelt. „Es gab viel Hoffnung, alle waren zusammen, das hat das Team unheimlich geprägt.“ Wulff gibt zu, dass die staatlichen Hilfen gut getan haben, dankt vor allem in Richtung Hansestadt, die für das Derby tief in die Tasche gegriffen hat. „Wenn mir jemand vor gut zwei Jahren gesagt hätte, dass diese Pandemie solange dauern wird, weiß ich nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, das durchzustehen.“

Aber natürlich ist nicht alles so wie vorher. Vor allem nicht die Preise. Alle wollen mehr Geld, die Leute, die den Derbyplatz mit Strom und Wasser versorgen, 100.000 statt 80.000 Euro, das VIP-Zelt mal eben 20.000 Euro mehr und so weiter. Und manchmal sind einfach die Leute weg, die sich auskennen, weil sie sich andere Jobs gesucht haben. So habe der Aufbau der Tribüne beim Weltcupfinale in Leipzig plötzlich zwei Tage länger gedauert, weil die Richtmeister weg waren. Das sind die Leute, die dafür sorgen, dass die Tribüne nicht zusammenkracht, also fast so wichtig wie die Very Important Persons, auch VIPs genannt. In Hamburg gibt es das Problem nicht, dort sitzt man auf der festen, wenn auch etwas altersschwachen Tribüne oder hockt gleich auf dem Rasen und hat sich sein Picknick mitgebracht. Die Aussteller sind auch wieder da, fast so viele wie früher. Einige haben Corona nicht überstanden, ihr Geschäft und andere Musthaves auszugeben, dafür gibt es auch in diesem Jahr reichlich Gelegenheit – eine Falle, in die ich jedes Jahr wieder tappe.

Auch die Reiter freuen sich auf ein Wiedersehen in Klein-Flottbeck. Aus ihrem Urlaubsort unter Sonne und Palmen wird Kathleen Kröncke geb. Keller zum Derbytalk zugeschaltet, mit Tochter Sophie auf dem Arm. Normalerweise lebt sie mit ihrem Mann Nikolas in London, aber nach der Babypause will sie versuchen, ihren Sieg im Dressurderby von 2011 zu wiederholen, mit ihren 21 Jahren damals die jüngste Siegerin in diesem Klassiker. Sie kommt mit zwei Pferden; insgesamt hat sie acht Pferde in Arbeit, darunter vier Grand Prix-Pferde und eines „an der Schwelle zum Grand Prix“, wie es so schön heißt, mit denen sie sich auf Turnieren in ihrer englischen Wahlheimat und nicht nur dort tummelt. Jetzt also auf nach Hamburg, zum „schönsten Turnier der Welt“, wie sie sagt. Das kommt gut im Landhaus Scherrer.

Haßmann, Maher und Thieme: die Nennungen trudeln ein

Allmählich laufen auch die Nennungen der Springreiter ein. Als einer der ersten hat sich Tony Haßmann fürs Derby angemeldet, man erinnert sich an seine drei Derbysiege hintereinander, 2004, 2005 und 2006, mit dem Holsteiner Collin, der jedes Mal in Flottbek zu Höchstform auflief. Sonst hörte man das ganze Jahr wenig von ihm. Tonys Geheimwaffe fürs Derby heißt diesmal Top Gun v. Cosimo-Libero, ist neun Jahre jung und ihn kennen bisher nur Insider. Eines Tages rief im Stall Haßmann ein Herr namens Steffen Reinholds an, ehemaliger Tauchschulenbesitzer, jetzt dem Pferdesport zugetan. Er wolle ihm ein Pferd fürs Derby anbieten, alles andere sei zweitrangig. Jetzt wird geübt, Wall, Pulvermann und was es sonst noch gibt. Top Gun mache das gut, sagt Tony, er sei ein braves und vermögendes Pferd. Seit 15 Jahren hat er kein Derby mehr geritten und gesagt, er komme erst wieder, wenn er auch eine Chance auf einen vorderen Platz habe. Die sieht er nun, viel Glück!

Kein Wiedersehen wird es mit bisher letzten Derbysieger aus dem Jahr 2019 geben, Nisse Lüneburg, der den Moorhof bei Hamburg verlassen hat und sein Glück in der Ferne sucht, in Valkenswaard im Stall des niederländischen Pferdehändlers und Global Champions Tour-Erfinders Jan Tops. Dort spielt jetzt die eigene Sportkarriere eine Nebenrolle, vor allem soll Nisse talentierte Pferde so verbessern, dass sie Begehrlichkeiten bei Tops‘ begüterten Kunden wecken. Auch eine schöne Aufgabe. Oder vielleicht auch sowas wie Lehr- und Wanderjahre, die ja noch keinen dümmer gemacht haben. Der vierbeinige Derbysieger 2019, Cordillo, sollte in diesem Jahr von Simon Heineken geritten werden, muss aber wegen einer hohlen Hufwand länger pausieren. Aber mit seinen jetzt 14 Jahren kann er ja noch den einen oder anderen Derbyparcours gehen. Auch Sandra Auffarth hat genannt, die Mannschaftsolympionikin und Weltmeisterin 2018, hat schon vor drei Jahren mit Platz drei gezeigt, dass sie nicht nur im Busch zuhause ist. Für die Global Champions Tour hat sich als erstes Olympiasieger Ben Maher angemeldet, auch Europameister André Thieme will kommen, andere Topreiter kommen täglich dazu.

Keine Geburtstags-Nachfeier

Die Hundertjahrfeier des Derbys, die 2020 fällig war, wird nicht nachgeholt. „Wenn ich meinen 50. Geburtstag aus irgendeinem Grund nicht feiern kann, feiere ich ja deswegen nicht meinen 52.“ sagt Volker Wulff. „Wir schauen nach vorne zum 100. Derby 2031, eher noch zum 65. Dressurderby in vier Jahren. Solange müssen wird durchhalten.“ Dass er das kann, hat er ja bewiesen.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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