Moment Mal! Sucht, Ängste und Wissensdurst

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Wir Reiter neigen dazu, in unserer eigenen Blase zu schwimmen. Welche Sehnsüchte uns in den Stall und auf den Pferderücken treiben, welche Ängste uns bewegen und warum wir vor allem eines sind, wissbegierig? Versuch einer Antwort.

Das Thema Pferd ist unerschöpflich. Leute, die das nie verstehen werden, für die ein Pferd ein Wesen ist, das nach allen vier Seiten steil abfällt und dem Menschen nach dem Leben trachtet, die gibt es ja tatsächlich. Naturgemäß sind die von unserem „Horse Talk“ leicht genervt und verstehen Bahnhof, wenn wir davon reden, dass ein Pferd zusammengestellt werden muss, dass es im Trab die Lampen austritt, beides okay. Oder sauber gemacht worden ist, dass einer sein Pferd auf den Kopf stellt oder ihm einen Insterburger verpasst, gar nicht okay. Über die Reitersprache sind Bücher geschrieben worden, aber das ist ja bei der Jäger- oder Seglersprache nicht anders.

Trotzdem lässt es sich nicht vermeiden, auch mal mit Nicht-Reitern zu kommunizieren, und dann kommen gelegentlich abenteuerliche Fragen und Behauptungen. „Reiten ist doch eigentlich gar kein Sport, da läuft ja das Pferd“, war so ein Satz, den ich vorkurzem wieder in bis dahin netter Runde zu hören bekam.

Diese Behauptung ist leicht zu widerlegen. Mit Kraft allein wird niemand Olympiasieger, nicht mal beim Gewichtheben. Auch da braucht es eine ausgefeilte Technik, um die Hanteln so in die Höhe zu stemmen, dass man nicht umfällt. Andere Sportarten erfordern andere Qualitäten. Beim Reiten zählt die ausgewogene Kombination zwischen Balance, Feinmotorik, Beweglichkeit und Koordinierung des gesamten Körpers – ein ziemlich komplizierter Mix also, wobei alles nichts ist ohne die Fähigkeit, die Möglichkeiten und Befindlichkeiten des vierbeinigen Partners zu lesen – wir nennen das Reitergefühl. Das ist wahrhaftig ein Alleinstellungsmerkmal unter allen Sportarten, olympischen und nicht olympischen, der USP (Unique Selling Point) auf neudeutsch.

Suchtfaktor Pferd

Was treibt uns in die Ställe, auf den Pferderücken, so sehr, dass Außenstehende schon mal von „Gier“ sprechen? Tatsächlich kann unser Sport zur Sucht werden, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Da sind die Sportreiter, natürlich von Ehrgeiz beseelt, auf der Jagd nach Schleifen, nach Preisgeld, nach Kaderberufungen, nach Championatsnominierungen, nach Nullrunden im Parcours und hohen Prozentzahlen in der Dressur. Das hat mit Selbstbestätigung, Sich-beweisen-wollen zu tun.

Oft geht es nicht ohne Durchsetzungskraft, kein Pferd wird zur Goldmedaille gestreichelt. Die Hierarchie muss klar sein, der Mensch ist der Chef, daran lässt auch der Vater aller Pferdeflüsterer, Monty Roberts, keinen Zweifel. Das Pferd muss unsere Regeln anerkennen. Angestrebt ist die regelbasierte Harmonie. Solange das Wohl des Pferdes über allem steht, ist das vollkommen in Ordnung. Wird es vernachlässigt, ist es an uns, den Reitern, einzuschreiten und nicht dubiosen Tierrechtlern das Feld zu überlassen, die Pferde nur noch im Zoo sehen wollen.

Aber viele Reiter sind in ihren Wünschen viel bescheidener. Das Glück kann im ersten gelungenen Galoppwechsel liegen, im fetzigen Galopp über die Wiese, in der fast perfekten Vorhandwendung. Immer mehr Menschen schaffen sich ein Pferd an nicht zum Reiten, sondern um mit ihm spazieren zu gehen. Bitte schön, warum nicht? Wir lieben die Atmosphäre im Stall, hier ein Prusten, da ein Hufescharren, den Duft des Fells, das Malmen von Heu und Stroh. Unser Puls geht schneller, wenn das Pferd unseres Herzens uns mit leisem Wiehern begrüßt, den Kopf auf unsere Schultern legt und sich sanft die Nüstern streicheln lässt. Sie merken, langsam wird es kitschig. Und natürlich lieben wir die Geselligkeit mit gleichgesinnten Pferdefreaks, mit denen man bis in die Nacht „pferdisch“ reden kann.

Kehrseite der Medaille

Und weil die meisten von uns den Pferden auf die eine oder andere Weise verfallen sind, haben wir auch Ängste. Das ist die andere Seite der „Gier“. Nicht nur die Angst vor dem breiten Oxer oder dem Bocksprung, der uns in den Sand befördert – das auch – aber vor allem die Angst, dass unser Pferd zu Schaden kommt. Weil wir zu viel oder das Falsche mit ihm gemacht haben, dass es krank wird oder sich verletzt, und dass die Tierarztkosten womöglich unser Konto überfordern.

Es gibt die Sorge, dass man selbst als Versorger des Pferdes ausfallen könnte, durch Krankheit, Sturz oder andere Schicksalsschläge. Als Züchter verfolgt mich die Vorstellung, das heiß geliebte Fohlen von heute könnte in einigen Jahren in falsche Hände kommen, wenn ich keinen Einfluss mehr auf sein Leben habe. Die größte Angst ist sicherlich, das Pferd zu verlieren. Der Moment des Abschieds wird kommen. Und er steht uns allen bevor.

Gier? Ja, nach Wissen

Bis dahin tun wir alles, um alles richtig zu machen. Reiter sind wissbegierig, der einzige Zusammenhang, in dem ich dem Wort „Gier“ einige Sympathie abgewinnen kann. Und deswegen gibt es wohl keinen Sport, in dem so viel gelesen wird, in dem so viele Akteure versuchen, durch Bücher, Videos, Podcasts, Seminare und Kurse das nötige Wissen zu erwerben. Wir alle wollen wissen, wie wir es rund um unsere Pferde richtig und noch besser machen können. Wir als St. GEORG versuchen, Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern das nötige Wissen, aus erster Hand und von erstklassigen Fachleuten, an die Hand zu geben. Unsere Pferde haben es schließlich verdient.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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  1. Helmold Baron von Plessen

    Es ist schon recht beeindruckend, wie es der Herausgeberin vom heiligen Georg immer wieder gelingt, Themen, die nicht nur Pferdeleute interessieren, humorvoll, kompetent, kritisch, dabei aber stets mit Eleganz, komplex zu analysieren. Sehr anregend – Danke

  2. Julia K

    Ich glaube es nicht unbedingt die „Gier“ nach dem Reiten, es ist eher eine Sucht…
    Nach dem Verlust meines Pferdes diesen Sommer wollte ich eigentlich alles verkaufen und nie wieder auf ein Pferd steigen, so tief war der Schock und so stark ist auch noch der Schmerz. Mittlerweile habe ich trotzdem eine Reitbeteiligung und der Hänger steht immer noch vor der Tür, denn man weiß ja nie, wofür man den noch so braucht.
    Im übrigen habe ich schon einige Leute, die behauptet haben, Reiten sei kein Sport auf meine Pferde gesetzt. Am nächsten Tag hat das keiner mehr gesagt:).

  3. nicol

    Schön geschrieben. Da von Horsemanship und Pferdeliebe im Text geschrieben wird: vielleicht könnten Sie das Thema der aktuell geplanten Massenabschüsse der australischen Brumbys aufnehmen und darüber informieren. Vor einigen Jahren gab es bereits eine Abschussaktion und damals führte u.a. die weltweite Medienaufmerksamkeit zum Einstellen der Abschüsse.

    Aufgrund der geplanten Anzahl an Abschüssen – geplant sind 16.000 Tieren (von einem Gesamtbestand an 19.000 Tieren) – kann man eher von Liquidation des Grossteils der Brumby Population als von Bestandsregulation sprechen. Wer etwas mehr mit Pferden zu tun hat weiss dass man ein in Panik flüchtendes, halbwildes Pferd aus einem Hubschrauber heraus nicht verlässlich und punktgenau treffen kann. Man stelle sich mal die Angst und Schmerzen welche die angeschossenen und verletzt im Busch liegengelassenen Pferde dann durchleben müssen vor.

    Die Australian Brumby Alliance versucht derzeit zu verhindern dass tausende Brumbys (auch Mutterstuten und Fohlen) vom Helikopter aus abgeschossen werden und ist vor Gericht gegangen um die Abschussaktion zu stoppen. Sicher ein Thema dass alle Pferdefreunde nicht ganz kalt lassen sollte.


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