Rückschau und Ausblick: Nach der Europameisterschaft in Haras du Pin ist vor den Olympischen Spielen in Versailles. Derselbe Kursdesigner, anderes (flacheres Gelände), anderes (wahrscheinlich schwächeres) Starterfeld und nur noch drei Reiter pro Nation.
Aber der Kurs in der Normandie erteilte einige Lehren, die auch im kommenden Jahr hilfreich sein können. Das Teamsilber für die Deutschen wurde ohne den dreifachen Olympiasieger Michael Jung erritten – bitter für ihn, aber vielleicht auch eine kleine Beruhigung für Bundestrainer Peter Thomsen.
Das Ende war besser, als es zwischendurch aussah. Wer bei der Verfassung nach dem schweren Cross mit tiefem Boden im Gelände von Haras du Pin erschöpfte, müde daherschleichende Pferde erwartet hat, wurde angenehm überrascht. Kein Pferd musste in die Holding Box, alle trabten mehr oder weniger fröhlich, aber taktrein vor den Richtern hin und her. Viamant du Matz von Sandra Auffarth ein bisschen übermütiger als Graffalo von Ros Canter, alles ok.
Es gab mal gerade eine Handvoll Ritte, die von Anfang bis Ende gut anzusehen war. Viele Reiter schoben ihre Pferde mit Armen und Beinen, mit dem ganzen Oberkörper, ja auch mit der Peitsche, den letzten Hügel hinauf, als ritten sie gerade das Finish im L’Arc de Triomphe, die Zügel weggeschmissen, jede Verbindung aufgegeben. So kann man einem müden Pferd nicht helfen, die letzten Meter zu bewältigen. Doch es gab auch schöne Bilder: Die erste Reiterin des Tages, die Irin Sarah Ennis auf Grantstown Jackson, die auf keinerlei Vor-Informationen bauen konnte, ließ den Kurs leichter aussehen, als er war. Das gilt natürlich auch für die Siegerin Rosalind Canter auf Graffalo, der ja schon von Badminton her Matsch gewöhnt ist und anders als sein Grafenstolz-Halbruder Absolut Gold unter dem Franzosen Nicholas Touzaint überhaupt nicht kämpfen musste.
Fast wie „Wolle“
Das musste auch Viamant du Matz nicht. Teamsilber und Einzelbronze waren für Sandra das Karrierehighlight der letzten Jahre. Besser sah man den Fuchs schon in der Dressur nie, da konnte er dem Vergleich mit „Wolle“, dem unvergessenen Weltmeister 2014, der ja auch mal in einer M-Dressur in der Spezialdisziplin bestehen konnte, durchaus standhalten. Sandras Geländeritt war eine Augenweide: kontrolliert, energisch, sichere ruhige Einwirkung und am Ende schneller, als es aussah, kleine Wackler souverän gemeistert. So soll es sein. Ihre Aussichten, mit dem französischen Diamanten de Semilly-Sohn auch im Olympiajahr in Versailles dabei zu sein, sind gut. Ob sie danach dem Vielseitigkeitssport erhalten bleibt, steht in den Sternen. Es komme auf die Pferde an, sagt sie. Wenn sie nochmal einen richtig Guten hätte… Auf Mittelmaß wird sie sich nicht mehr einlassen. Im übrigen habe sie einen großen Pferdebetrieb zu leiten, da muss halt auch mal ein Pferd verkauft werden. Dass Sandra sich auch unter internationalen Springreitern behaupten kann, hat sie ja mehrfach bewiesen, bei den Derbys in Hamburg, Hickstead und Falsterbo. Als Maria Gretzer, die frühere schwedische Topspringreiterin, heute Trainerin, Sandra in Falsterbo sah, war sie so angetan, dass sie ihr gleich ein junges Springpferd mitgegeben hat.
Weg mit den Schatten der Vergangenheit
Christoph Wahler hat mit seinem vierten Platz gezeigt, welchen Wert er für ein Team hat. Er pilotierte seinen Schimmel über eine Piste, die dem überhaupt nicht lag. Carjatan wie auch der andere großrahmige Holsteiner im deutschen Team, Malin Hansen-Hotopps Quidditch, 19., liefen auf ihrem Charakter. Beide Pferde sind nicht für Schlammpisten geboren, aber spielten bis zur Ziellinie unverdrossen mit. Ein großer Galopp ist was Feines, aber man muss ihn auch klein kriegen können, wenn es mal kniffelig wird.
Einen sehenswerten Ritt lieferte der Franzose Stéphane Landois auf dem elfjährige Ride for Thais Chamant Dumontceau, Platz sechs. Mit diesem Pferd und seinem etwas umständlichen Namen hat es eine besondere Bewandtnis. Vor vier Jahren erlitt die damalige Reiterin des Schimmels, Thai Meheust, mit ihm tödliche Verletzungen bei einem Sturz, am selben Ort, in Haras du Pin, in einer Prüfung für Siebenjährige. Als Landois das Pferd übernahm, gab er ihm den Namen, der bis heute an den tragischen Tod der 22-Jährigen erinnert. Inzwischen hat das Paar die Viersterne-Prüfung in Chatworth gewonnen und Olympia im Visier. Vielleicht ist das die beste Methode, den Schatten der Vergangenheit nicht das Feld zu überlassen.
Zu den deutschen Reitern, die in der Normandie ihre persönliche Olympiaeignung bewiesen und die Minimum Eligibility Requirements (MER) des Weltverbandes FEI für Paris erfüllten, gehört neben den bereits Genannten auch Championatsdebütant Jerome Robiné (7.) auf dem Iren Black Ice, Sohn des Oldenburger Voltaire-Sohns Vechta, dahinter eine Vollblutgroßmutter. Der Rappe sieht aus wie einer, der nicht lange fragt, sondern einfach einen guten Job macht. Solche braucht man 2024 im Park des Sonnenkönigs ja auch.
Ursachenforschung für Michi
Am Rande des Springparcours traf ich Vater Jung, der wie wir alle rätselte, wie es zu diesem Sturz kommen konnte, als Chipmunk nach dem Tiefsprung vor dem letzten Wasser die Beine verlor und Michi in hohem Bogen ins Wasser beförderte. Chipmunk selbst berührte zwar mit der Stirn den Boden, fiel aber nicht auf den Bauch oder die Seite, es war also „nur“ ein Reitersturz. Michi hatte keine Chance, oben zu bleiben. „Die Hinterbeine grätschten nach vorne an den Vorderbeinen vorbei, sowas habe ich noch nie gesehen“, sagte Vater Jung. Ich auch nicht. Warum? Hatte der Wallach den Boden nicht richtig eingeschätzt? Hatte er nicht schnell genug reagiert? Konnten seine Beine und die Vorhandmuskulatur das Gewicht in dem Moment nicht halten? War es einfach nur blödes Pech? Und das alles nach der mit Abstand besten Dressur dieser EM. Den vierten Titel hätte Michi auf einer Pobacke nach Hause geschaukelt und jetzt bleiben wir in der Rubrik „Fahrradkette“ („Hätte, hätte…“). „So ist der Sport und deswegen lieben wir ihn“, sagte der britische Equipechef Dickie Waygood.
Würde ich auch sagen, wenn ich Engländer wäre.
Habe mal wieder in den Blogs der hochverehrten Herausgeberin vom St. Georg gestoebert, was mir stets viel Freude bereitet. Bin dabei erneut auf einen Satz gestossen, der schon damals beim Lesen des Artikels meinen Widerspruch herausgefordert hat. Es geht um den bis dato oft analisierten Sturz von Michael Jung bei der EM auf der Qu-Strecke im frazoesischen Haras du Pin. Ich zitiere : „War es einfach nur bloedes Pech ? Und das alles nach der mit Abstand besten Dressur bei dieser EM“. Soweit so gut, jedoch gegen die Aussage, die nun folgt, rlaube ich mir gewisse Vorbehalte an zu melden. Ich zitiere erneut : „Den vierten Titel haette Mischi auf einer POBACKE nach Hause geschaukelt etc. etc. Ich behaupte mal. Kein Reiter/in der Welt, auch kein Ausnahmeathlet wie Michael Jung, schaukelt und noch dazu mit nur einer Pobacke, einen Championatstitel nach Hause, wenn beispielsweise eine Julia Krajewsky, siehe O.S./Tokio, oder, sehr aktuell, eine Rose Canter, zum Teilnehmerfeld gehoeren.