Balve ist anders. Das Turnier zu Füßen von Schloss Wocklum ist keines dieser hastig aufgebauten Events, die überall auf der Welt stehen könnten, die wieder verschwinden, sobald das letzte Pferd aus dem Parcours galoppiert, das letzte Glas geleert ist: Es ist immer noch auch ein Familientreffen der „Szene“, aber auch der Zuschauer aus dem ganzen Umland. Man kommt ja nicht einfach in Balve vorbei, man muss da schon hinfahren, auf sich windenden Straßen und Sträßchen, eine Dreiviertelstunde von jeder Autobahn entfernt.
Der Turnierplatz liegt eingebettet zwischen Hügeln, auf denen die Bäume in den Himmel wachsen, gepflanzt von vergangenen Generationen, die wussten, dass sie sie nie in voller Pracht erleben würden, sondern erst ihre Nachkommen. Vielleicht ist das der Boden, auf dem Traditionen gedeihen. Die Deutschen Meisterschaften Springen und Dressur haben hier ihre feste Bleibe, das Turnier wurde vor 75 Jahren ins Leben gerufen vom langjährigen Präsidenten der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Dieter Graf Landsberg-Velen, dessen Familie hier seit anno schnuff zuhause ist. Wir alten Turnierglobetrotter haben es ja gerne, wenn alles noch so ist wie im letzten Jahr. So wie das Parken auf der ansteigenden Wiese, schön nah, das dicke Ende kommt erst am Ende des Tages, wenn man mit Computertasche über der Schulter den Berg wieder herauf keucht und das Auto nicht wiederfindet. Zweimal retteten mich die jungen Chauffeure der Golfcarts, einmal gab das Gefährt allerdings am Fuße des Hügels seinen Geist auf. Akku leer. So viel zur Zuverlässigkeit der Elektromobilität.
Unten an den beiden Turnierplätzen, einer für Springen, einer für Dressur, trifft man alle, die dazu gehören. Die Töchter des verstorbenen Grafen, immer elegant, nie overdressed, geben dir das Gefühl, dass sie sich gerade auf dich besonders gefreut haben. Und das hat man ja gerne. Rosalie von Landsberg lebt zwar inzwischen in Berlin, ist aber die Seele und die Chefin des „Balve Optimum“, hat dabei ein Ohr für alles und jeden. Bestens vernetzt, besorgt sie Sponsoren, zieht die Reiter heran, und organisiert nebenbei noch eine Konferenz für die mittelständische Wirtschaft. Die Sorgen, die ehrenamtlichen Helfer könnten ausgehen, hat man in Balve nicht. Nirgendwo sonst flitzt so viele eifrige Jugend mit Ergebnis- und Starterlisten durch die Gegend, oder reicht bei den Siegerehrungen die Preise, Blumen und Schleifen an. Die Notenbögen in der Dressur müssen nicht mehr hin und her getragen werden, seitdem jeder Richter ein Tablet hat und nach der Grußaufstellung nur noch auf einen Knopf drücken muss.
Ups, das ist ja eine ganz andere Kür
Keine Technik ohne Pannen. Nach der Kür von Semmieke Rothenberger auf Flanell schoss Chefrichterin Katrina Wüst aus ihrem Häuschen, ihre Kollegen eilten herbei, alle fünf steckten aufgeregt die Köpfe zusammen. Was war passiert: Durch einen Kommunikationsfehler war eine andere Kür auf den Jury-Tablets gelandet, als Semmieke zeigte. Da der Reiter allein verantwortlich ist, gab`s dann für die Choregraphie nur eine 5,4. Familie Rothenberger trug’s mit Fassung, Semmiekes Bruder Sönke und sein erst neunjähriger Fendi hoben die Stimmung wieder und wurden dem Ruf gerecht, der ihnen vorausgeeilt war: ein Wow-Pferd, das sich mit Riesenmeilenstiefeln Richtung Paris bewegt.
Richter und Zuschauer waren gleichermaßen hingerissen von dem Braunen, ihm verziehen sie kleine Unregelmäßigkeiten eher als der Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl und Dalera ihre Patzer in den Galoppwechseln. Seit 21 Prüfungen zum ersten Mal überholt, und das von einem Pferd, das anders als Dalera den längeren Teil seiner Karriere noch vor sich hat – das konnte Jessica nicht gefallen. Aber sie ließ sich natürlich nichts anmerken, sondern fand den passenden Dreh: „Es ist gut, dass es heute im Grand Prix passierte, dann weiß man, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Das spornt nur an.“ Als sie das sagte, stand sie – noch im Abendkleid vom Schlossempfang – im Hof, Dalera nach einem kleinen Nachtspaziergang entspannt am Halfter. Und natürlich setzte sie im Grand Prix Special noch einen drauf, gewann unangefochten mit riesigem Abstand von mehr als acht Prozent auch die Kür.
Trocken rein, trocken raus
Darüber freute sich auch Bundestrainerin Monica Theodorescu: „Dalera hat gezeigt, wie topfit sie ist, dass sie nur eine kurze Vorbereitungszeit braucht, weil sie sehr gefestigt ist. Sie geht trocken in die Prüfung, kommt trocken wieder raus – das ist schon toll.“ Kurz, Dalera weiß, wo es lang geht, und regt sich nicht unnötig auf, das spart Kraft und Energie. Die Trakehner Stute ist da, wo Fendi noch hinwill. In der Aachen-Mannschaft fehlt Rothenberger noch in diesem Jahr, weil er in Balve sein junges Pferd nicht mit drei Prüfungen überfordern wollte. „Ich kann das verstehen,“ sagte Monica Theodorescu, „Aber so sind nun mal die Regeln, nur Pferde, die alle drei Prüfungen gegangen sind, kommen in die Aachen-Mannschaft.“ Rothenberger hat jetzt Gelegenheit als Einzelreiter in der CDI-Tour seinen Jungstar einer internationalen Jury zu präsentieren.
In neuer Rolle fand sich Bundesfinanzminister Christian Lindner auf dem Springplatz wieder. Seine Frau Franca Lehfeldt ist begeisterte Reiterin, stellte in Balve zudem ein Buch über „Alte weiße Männer“ vor. Als Pausenüberbrücker vor dem Springreiterfinale verriet ihr Mann dann einige vertrauliche Details aus dem Lindner-Lehfeldtschen Familienleben, zu dem auch Wallach Fritzi gehört. Seine Frau sei die bessere Reiterin gab er zu. „Aber ich bin besser beim Ausmisten.“ Und Politiker, die den Mist höchstselbst wegräumen, die gibt es ja wirklich nicht so oft.
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