Wenn sich Pferdeleute vor Gericht treffen, dann in den allermeisten Fällen wegen eines strittigen TÜVs, wie die Ankaufsuntersuchung salopp genannt wird. Entweder weil der Tierarzt etwas übersehen, der Verkäufer etwas verschwiegen oder der Reiter etwas gefunden hat, was ihm nicht gefällt, weswegen er das einstige Traumpferd schnell wieder loswerden will. Alles zusammen sorgt dafür, dass Anwälte und Gerichte nicht arbeitslos werden.
Nicht jeder Verkäufer kann in dem Moment, in dem der Kunde feststellt, dass das frisch erworbene Ross doch nicht der Traumpartner ist, so entspannt bleiben wie Luxuspferdehändler Ullrich Kasselmann. „Wir nehmen das Pferd in Zahlung, der Kunde kriegt halt ein anderes.“ Meist gegen einen Aufpreis natürlich. In den allermeisten Fällen sei das Problem ohnehin kein medizinisches, sondern ein reiterliches, sagt Kasselmann. Der Rücken, beim Ausprobieren noch eine Himmelswiege, wird allmählich zum Autositz mit kaputten Stoßdämpfern und durchs Genick geht das Pferd auch nur noch, wenn allerlei Lederzeug den Kopf in die vermeintlich richtige Richtung zieht. Anstatt an den eigenen Reitkünsten zu zweifeln und durch Trainerstunden ein wenig nachzuhelfen, wird die Frage in den Raum gestellt: Vielleicht hat das Pferd ja doch Kissing Spines oder diese neue Erkrankung der Halswirbelsäule, ECVM, von der man noch nicht weiß, woher sie kommt. Manche Pferdekäufer versuchen dann, mit Hilfe eines anderen Tierarztes einen Mangel zu entdecken, der erlaubt, das Pferd zurückzugeben. Das komme vor, aber eher selten, wie mir Fachleute versicherten. Und Gerichte erkennen inzwischen nicht mehr jeden Röntgenbefund, etwa Chips (Knochenabsplitterungen) oder engstehende Wirbel, als „Mangel“ an, wenn das Pferd damit problemlos läuft.
Dessen ungeachtet bleibt der TÜV die letzte Hürde, bevor ein Kauf perfekt ist und der Verkäufer sein Geld zählen kann. Ist ein Pferd beim TÜV „durchgefallen“, ist es quasi unverkäuflich, zumal der Verkäufer jetzt die Mängel kennt.
Das perfekte Pferd gibt es nicht
Aber ganz so schwarz-weiß ist das Leben zum Glück doch nicht. Da gibt es viele Graustufen. Das perfekte Pferd gibt es genauso wenig wie den perfekten Menschen, und am Ende geht es um die Frage, was will ich mit meinem neuen Pferd machen, welche Unzulänglichkeiten kann ich hinnehmen, welche nicht? Dabei helfen der TÜV und der Tierarzt, der richtig einordnet, was er sieht, hört und fühlt. Die erste gute Nachricht: Noch immer, so haben mir Experten bestätigt, ist die sogenannte klinische Untersuchung das Allerwichtigste, wie schon zu Kaisers Zeiten. Wie sieht das Pferd aus, wie bewegt es sich, wie fühlen sich die Beine an, was hat der Reiter für ein Gefühl von oben?
Die zweite gute Nachricht: Von den sogenannten Gewährsmängeln, die schon in der kaiserlichen Verordnung von 1899 eine Rolle spielten und immerhin bis 2001 galten, spielen etliche keine oder nur noch eine sehr geringe Rolle wie Rotz und Dummkoller. Auch früher gefürchtete Befunde wie Strahlbeinveränderungen („Hufrolle“) oder Kehlkopfpfeifen („Ton“) haben ihren Schrecken eingebüßt. Und das ist auch ein Verdienst der Züchter, die Hengste mit diesen Mängeln nicht mehr benutzt haben. Bei den Müttern ist man weniger kritisch und noch immer finden Stuten den Weg in die Zucht, die wegen gesundheitlicher Mängel dort nichts zu suchen haben. Aber mit abnehmender Tendenz.
Zur klinischen Untersuchung kommen in vielen Fällen, bei Auktionen standardmäßig, mehr oder weniger detaillierte Röntgenaufnahmen dazu. Die Skala reicht von zwölf Aufnahmen der unteren Gliedmaßen („Züchter-TÜV“) bis zu mehr als 50 Aufnahmen, davon die meisten an den unteren Gliedmaßen aus verschiedenen Winkeln. Ein Freund berichtete mir von 80 Aufnahmen, die ein ausländischer Käufer verlangte. Durch die immer bessere Qualität der Bilder ist nun jede noch so kleine Abweichung von der Norm zu entdecken. Als besonders pingelig gelten Chinesen und US-Kunden bzw. deren Tierärzte, die gerne Geld verdienen und sich gegen alles nur Denkbare absichern wollen. Kein Wunder in einem Land, in dem schon ein zu heißer Kaffeebecher millionenschwere Schadensersatzforderungen nach sich ziehen kann.
An einem detaillierten TÜV muss der Verkäufer übrigens ein größeres Interesse haben als der Käufer. Der braucht im Grunde nicht mal einen schriftlichen Vertrag, hier reicht, auch wie zu Kaisers Zeiten, immer noch der Handschlag, mit dem der Preis vereinbart und der Kauf besiegelt wird. Wer ein Pferd von einem Unternehmer, sprich Pferdehändler kauft, hat nicht die Pflicht, es untersuchen zu lassen, das „Verbrauchsgütergesetz“ gilt hier gleichermaßen für Pferde wie für Waschmaschinen. Die muss ich ja auch nicht erst von einem Mechaniker auseinandernehmen lassen, um festzustellen, ob alle Schrauben richtig sitzen. Aber alles, was auch der Laie von außen erkennt, kann er später nicht reklamieren, wie deutlich verstellte Gliedmaßen – häufig ein Auslöser von späteren Lahmheiten – oder sichtbare Beulen und Hautverletzungen. Es lohnt sich also, genau hinzugucken, bevor sich das Objekt unserer Begierde allzu tief sich in unser Herz geschlichen hat.
In der Mai-Ausgabe lesen Sie in unserem Special zur Ankaufsuntersuchung alles, was Experten – Tierärzte, Verkäufer, Juristen, Reiter – zum Thema TÜV zu sagen haben.men’s jordan upcoming releases | cheap air jordan 1 shoes
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