Reiten ist Sport, gewiss. Aber immer geht es auch um Emotionen, wenn wir uns mit unseren Pferden beschäftigen, um Gefühle, um Zuneigung. Sonst ist was faul.
Wir alle lieben Pferde, wir in unserer Blase aus verrückten Pferdeleuten. Sonst hätten wir ja keine und würden uns nicht mit ihnen beschäftigen. Ich rede nicht von der schwärmerischen Ostwind-Liebe kleiner Mädchen. Die ich natürlich in keiner Weise abwerten will, weil sie bei vielen den Weg zum richtigen, lebendigen Pferd ebnet, eine Liebe, die dann ein ganzes Leben halten kann. Ich rede von der Zuneigung, die in viele von uns gepflanzt wurde, bevor wir nachdenken konnten.
„Dieser besondere Geruch“, sagte mir jetzt der FEI-Springdirektor Todd Hinde, „jedes Mal, wenn ich in einen Pferdestall komme, herrlich.“ Für ihn ist es der Geruch der Kindheit. Für mich auch, unwiderstehlich, dieser Duft. Es stört uns auch nicht, dass Ahnungslose die Nase rümpfen.
Ein Pferd ist kein Mensch und darf nicht als solcher behandelt werden. Obwohl ich zugebe, dass ich schon oft darüber nachgedacht habe, wie ich an meine Küche eine große Box anbauen kann, aus der mir meine Herzensstute Flaminia beim Kochen zuguckt. Zu teuer, viel zu unpraktisch (wohin mit dem Mist? Und überhaupt die Fliegen!) und es ist nicht mal gesagt, ob es Flaminia überhaupt gefallen würde oder sie sich nicht lieber mit ihrem vierbeinigen Boxennachbar unterhalten würde. Aber schön wäre es doch!
Es geht Pferden besser denn je
Der Pferdesport ist in der Öffentlichkeit in Verruf gekommen, zu viele hässliche Bilder, zu viele zweifelhafte Reitmethoden bis hin zu kriminellen Machenschaften, Überforderung und Misshandlung aus Unwissen, Erfolgs- oder Geldgier. Das Internet macht’s leicht, Menschen – Reiter sind ja auch Menschen – zu beschimpfen, zu verunglimpfen und Hass an ihnen auszulassen.
Es gibt die genannten Missstände, die natürlich benannt werden müssen, damit sie abgestellt werden. Aber das ist nicht mal die halbe Wahrheit. Die meisten Menschen, ob die superreiche Tochter des IT-Tycoons oder die Kindergärtnerin mit schmalem Gehalt, tun alles für ihre Pferde. Das ist manchmal angesichts der sprunghaft gestiegenen Tierarztkosten für letztere eine echte Herausforderung. Da wird eher der Urlaub gestrichen, als das teure Zusatzfutter, die schicke Steppjacke eher als die fabelhafte neueste Pferdedecke. Noch nie ging es Pferden so gut wie heute.
Und das betrifft nicht nur die Freizeitreiter, die ihre Pferde schon in Offenställen hielten, als in Top-Turnierställen die Cracks noch mit fensterlosen umgitterten Zellen vorliebnehmen mussten, bis es sich herumgesprochen hatte, dass auch Pferde gerne aus dem Fenster gucken.
Es ist en vogue, den sogenannten Sportreitern niedere Motive (siehe oben) zu unterstellen, sobald etwas nicht perfekt läuft. Aber wieviel positive Energie, Einfühlungsvermögen, ja und auch Herzblut darin steckt, bis ein Pferd eine feine Dressur geht, einen Parcours mühelos absolviert oder vertrauensvoll durchs Gelände über die Klamotten fliegt, davon liest oder hört man so gut wie nie etwas.
Es ist nicht Aufgabe des Journalisten, Missstände zu verharmlosen oder schön zu reden, wir sind nur der Wahrheit verpflichtet. Objektiv und ohne Wenn und Aber.
Lebenslange Leidenschaft
Und das ist gar nicht schwer. Wenn einer wie Paul Schockemöhle, Herr über 4000 Pferde, der jedes Jahr 1000 Fohlen bekommt, sagt „Pferde sind mein Leben“, dann steckt da Herzblut drin. Geld verdienen kann man anders leichter. Um meinen Altverleger, den verstorbenen Alexander Jahr, zu zitieren: „Es gibt drei Arten Geld zu verlieren, mit Frauen, das ist am schönsten, im Casino, das geht am schnellsten, und mit Pferden, das ist am sichersten.“
Und wenn Ludger Beerbaum auch mal Sätze sagt, wie „Pferde sind Nutztiere“, klingt das in manchen Ohren erbarmungslos. Aber dann muss man auch wissen, welchen Lebensabend er seinen alten Pferden bereitet, mit wieviel Mühe er Classic Touch, seine Goldmedaillenstute von Barcelona 1992, aus unglücklichen Umständen, für die er nichts konnte, nach Hause holte. Beide, Paul Schockemöhle und Ludger Beerbaum, hier nur als Beispiele, küssen ihre Pferde zwar selten, nehme ich an, und sie verdienen sehr gerne viel Geld mit ihnen. Aber sie sind Freaks, so wie wir alle, die wir uns Pferdeleute nennen.
80 Zentimeter sind das Ziel
Vor einigen Tagen traf ich auf einem Turnier meine Kollegin Louise aus Irland. Wir beide haben unsere Konfirmation schon ein paar Jahre hinter uns, und jedes Mal, wenn wir uns treffen, reden über wir unsere Pferde, bevor wir über die der Großen berichten. Louisa zeigte mir ein Video von ihrem Pony, mit dem sie über einen kleinen Sprung setzt. „Ich hatte vergessen, dass Springen so einen Spaß macht, ich arbeite auf 80 Zentimeter hin“, sagte sie. Noch fehlen 20.
Dann musste sie das Video meines neuesten Fohlens bewundern, Beine wie Nadja Auermann, die Zukunft tobt in großen Tritten und Sprüngen durch die Halle. Das macht einfach Spaß. Mit jedem Fohlen beginnt die Welt neu.
Und dann kamen wir auf unsere kleinen Gebrechen zu sprechen – das Knie, der Knöchel, die Schulter, der Rücken – alles Gebrauchsspuren, die von einem längeren Leben mit Pferden erzählen. Gymnastik, Pillen, Fahrradfahren – wir beiden Oldies hatten viele gute Ratschläge füreinander. Aber auf nichts davon würden wir verzichten, wenn wir auf unsere Pferde verzichten müssten. Freaks eben, lebenslang.
Unterschiede zwischen Menschen, die ihre Tätigkeiten vorbildlich verrichten und denen, die auf Kosten anderer pfuschen, einfach zu verwischen, indem man alle Angehörigen einer Interessengruppe gleichermaßen zu „Freaks“ erklärt, heißt jeglichen Kompass für richtig und falsch, für Wahrheit und Lüge über Bord zu schmeissen.
Schade – ich hatte gerade angefangen, die Zeitschrift St. Georg ein bisschen zu mögen.
By the Way, in meinen Augen ist Reiten zu allererst Kommunikation mit einem anderen Wesen und als solche Kunst. Wer meint hier mit anderen in Konkurrenz, in einen sportlichen Wettkampf treten zu müssen, der möge das tun, aber bitte als Tanzpaar und nicht als Wrestling-Show.
Also ich weiß nicht… so einen Altherrenwitz („mit Frauen Geld verlieren“ etc.) zu bemühen, finde ich doch etwas stumpf. Da gibt es eine Menge besserer Witze zu dem Thema.
Und es stört mich, dass es als Leistung hervorgehoben wird, Pferden einen angemessenen Lebensabend zu bereiten, das sollte selbstverständlich sein und kein Grund für Lorbeeren.
Es hat ein wenig vom Prinzip des „Greenwashing“…
Wenn Personen, die ihr Geld mit großer Pferdezucht und Ausbildung verdienen – dabei eine harte Auslese der großen Mengen an Absetzern betreiben, von denen die „Problemfälle“ ziemlich zügig einen anderen Weg beschreiten; bei denen die Muttertiere, die (u.a. per Embryotransfer) viel geleistet haben, dann keinen schönen Lebensabend bekommen; und die Ausbildung der Remonten unter Zeitdruck geschieht (und das Thema Lebensversicherungen mal lieber außen vor) – dann einigen ihrer „Stars“ ihren Lebensabend gönnen und dafür gefeiert werden…
Wenn das Prinzip „schönes Leben und schöner Lebensabend“ wirklich durchgängig gelebt wird und nicht nur als Vorzeigefall, dann ist ja alles gut. Aber… echt jetzt? Falls diese Sichtweise falsch ist, bitte ich um Aufklärung…