Das Pferd muss bleiben! Das war mal eine Parole in den 60er-Jahren, als Maschinen in der Landwirtschaft Pferde überflüssig zu machen schienen. Die Menschenmenge, die am Sonntag aus allen Himmelsrichtungen in den Park von Versailles strömte, setzte ein Zeichen gegen die mit einer gewissen Penetranz von so genannten Tierschützern erhobenen Forderungen, den Pferdesport aus der olympischen Familie zu verstoßen.
Das Pferd muss bleiben auch bei Olympia, dafür gab es heute mehr als 40.000 Stimmen aus aller Welt. So viele Menschen machten einen Sonntagsausflug zum Vielseitigkeit-Cross. Sie wollten Pferde und Reiter sehen, die über den Rasen donnerten, über die Sprünge flogen, gemeinsam eine Leistung vollbrachten. Vielen sah man die Freude an ihrem Sport förmlich an. So toll kann Vielseitigkeit sein, wenn auch vielleicht nie wieder vor so einer atemberaubenden Kulisse.
Ludwig war immer dabei
Er hieß ja nicht umsonst Sonnenkönig. Und Royals sagte man damals ein besonders enges Verhältnis zu dem Herrn da oben nach. Schließlich glaubten sie, sie regierten von Gottes Gnaden. Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele mögen Louis XIV die Bilder der übernächsten Königin Marie-Antoniette mit dem blutenden Haupt unterm Arm verstimmt haben, weswegen er die Show absaufen ließ. Aber beim Geländeritt der olympischen Vielseitigkeit am Sonntag tauchte strahlender Sonnenschein den Park von Versailles in königlichen Glanz. Und siehe da, dazu bedurfte es keiner über die Schneisen entlang bretternde höfische Jagdgesellschaft hoch zu Ross. Schon lange gehört der Park dem Volk und gestern besonders. Noch bevor Julia Krajewski und Nickel als allererstes Paar die Piste zu ihrem Glanzritt betraten, war an den Wasserkombinationen und anderen spektakulären Hindernissen kein Platz mehr zu kriegen. Die Leute amüsierten sich königlich. Wer wissen wollte, wo das nächste Hindernis steht, musste nur dem Jubel folgen, mit dem jeder gelungene Sprung quittiert wurde. In den Minuten zwischen zwei Pferden entspannten sich die Menschen am Ufer, lagerten im Gras oder hielten gleich die Füße ins Wasser. Schloss Versailles thronte majestätisch über dem Grand Canal, eine kunstvolle Anordnung von Wasserbecken und Flusslauf. So fern und doch so nah, immer präsent. Über das Waser waren drei Pontons gebaut worden, extra für diesen einen olympischen Tag. Die Reiter mussten zwei kreuzen, Fußgänger einen.
Wie in ganz Paris waren die Sicherheitskräfte auch in Versailles überall. Die persönliche Präsidentengarde bewachte mit wenig einladender Miene den Eingang zum Präsidenten-Wochenendhaus zu Füßen des Schlosses, an dem die Strecke vorbeiführte. Eigentlich war das von einer hohen Mauer umgebene Gebäude für den Premierminister vorgesehen, dann hatte es sich Präsident Sarkozy unter den Nagel gerissen, dabei blieb es. Hier residiert jetzt Familie Macron und hätte vom Fenster aus dem Obergeschoss die Pferde laufen sehen können. Ludwig hätte die Idee gefallen, seine Nachfolger so tief unter ihm in ihrer Datscha.
Viele Kinder, keine Hunde
Mühsam wälzte sich die Schlange der Zuschauer durch die Wege, alle waren gut drauf. Schnell durchflitzen war schwierig. Ganz viele werden heute Abend garantiert von ihren Fitness-Apps gelobt werden, ich auch. Fast 14.000 Schritte, 538 Extra-Kalorien, da sollte heute Abend eine Pina Colada drin sein bei unserem netten Chinesen am Hotel. Ich beneidete die jungen Väter nicht, die ihre Sprösslinge gefühlt Kilometer weit auf den Schultern durch die Gegend schleppten, und sie ab und zu mal genervt absetzen konnten, wenn von oben Gequengel kam. Hunde waren nicht erlaubt, zum Glück. Das sage ich als alte Hundefreundin, mein Erwin hätte das Gewühl jedenfalls nicht genossen. Und so konnte man als Mensch entschieden unbeschwerter über die Wiesen laufen.
Julia Krajewski auf dem zehnjährigen Nickel sah ich auf dem kürzesten Weg durchs erste Wasser fliegen, das viele ja vorher gefürchtet hatten. Aufbauer Pierre Le Goupil war geradezu enttäuscht, dass seine liebevoll konzipierten Alternativen hier so gut wie gar nicht genutzt wurden. Rein, rüber, raus, weiter: sah so einfach aus. Grandios ging der Ritt von Julia mit diesem relativ unerfahrenen Pferd weiter. Konzentriert, Nickel Vertrauen einflößend. „Wir schaffen das,“ versprach jeder Galoppsprung. Er habe es ihr so einfach gemacht, sagte Julia später. Aber dazu gehören ja immer zwei. Das gilt auch für Michael Jung und Chipmunk, noch auf Goldkurs, nach einem perfekten Ritt. „Es hat einfach nur Spaß gemacht. Er hatte so eine Energie, war mit den kleinsten Hilfen zu reiten. Schon nach den ersten beiden Sprüngen hatte ich ein tolles Gefühl. Aber da stehen noch zwei Springen an, auch der Vetcheck morgen früh. Ich denke noch gar nicht an Gold oder sowas.“ Wetten, dass doch?
Aber auch jahrelange Kooperation ist noch keine Garantie. Ich sah Christoph Wahler und Abreiten zu, lehrfilmreif, ein bisschen lockeres Traben und Galoppieren, ein paar leichte Sprünge, Schrittpause, dann wieder Zügel aufnehmen, Pferd zusammenstellen, antraben, wobei der energische schwungvolle Trab des Schimmels schön zur Geltung kam. Volle Konzentration am Start, souverän über die erste Hälfte der Strecke. Dann das Desaster am Tiefsprung 16, verhakelter Sprung über den Graben, der Reiter kommt aus dem Sattel, von dem ich annehme, dass es die meisten, die diesen Blog lesen, am Fernsehen gesehen haben. Auch in solchen Situationen wird vom Reiter ein Statement erwartet. In der Niederlage erst zeigt sich der wahre Charakter. „In erster Linie guckt man, wie es dem Pferd geht.“ sagte Christoph. „Hat er es gut weggesteckt? Das ist das Wichtigste. Ich selbst habe es kaum gemerkt – der schlimmste Knacks ist jetzt eher der mentale.“ Daran wird er noch eine Zeit zu knabbern haben. Und wissen, was er schon vorher gewusst hat: „Ich werde wohl nie wieder über einen so schönen Kurs reiten.“ Das stimmt. In einigen Wochen wird nichts mehr übrig bleiben von den olympischen Wunderwerken. Dann werden auf dem Grand Canal wieder die Miet-Bötchen fahren, die heute am Ufer angetäut waren. Es gab noch nie einen Cross hier und es wird in den nächsten 100 Jahren nicht mehr geben. „Es war ein One-off-Shot.“ Sagte Pierre de Goupil am Ende des Tages. Und es klang ein bisschen stolz.
Schön, daß die Zuschauer ein eindeutiges Statement gesetzt haben. Es ist ja auch einfach das, was seit Jahren im Profisport falsch läuft auszublenden. Zum Glück für den Zuschauer sieht man den Tieren ihr Leid nicht unbedingt an. Aber die Skandale allein in den letzten Monaten haben gezeigt, über welche Grenzen sich der Mensch für den Erfolg hinweg setzt. Und da ändert leider keine „Doitride“ Kampagne etwas dran.