Olympia-Blog Paris 2024 #4: Start unter erschwerten Vorzeichen

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Olympic Games 2024

Die Sportler, u.a. Jessica von Bredow-Werndl, begrüßen die Besucher des Deutschen Haus auf großer Leinwand. (© Pauline von Hardenberg)

„Entmüdungsbecken“ im Deutschen Haus, erstes Training in Versailles und britische Kollegen in Moll.

Heute nutzten unsere Fotografin Pauline und ich den Tag, um in der Stadt die Führung durchs „Deutsche Haus“ mitzumachen. Das ist eine vor vielen Jahren geschaffene Einrichtung, um den deutschen Athleten, den Funktionären, Journalisten und Besuchern während der Spiele eine Art Rückzugshafen zu schaffen, wo man sich trifft, miteinander spricht und hoffentlich viele Medaillen feiern wird. Das gab es schon bei früheren Spielen, ich erinnere in Rio 2016 ein südlich-romantisches Etablissement direkt am Strand, in Tokio gab es corona-bedingt nichts.

Pauline von Hardenberg

Auf der Trainingsfläche im Deutschen Haus können sich die Athleten optimal fit halten.

Diesmal ist das Deutsche Haus in den Katakomben des Rugby-Stadions untergebracht. Als wir, etwa 30 deutsche Journalisten, kamen, wurde noch mächtig gehämmert, geschoben und zurechtgerückt. Es ging durch endlose pink gestrichene Gänge mit endlos vielen Fotos von grinsenden Rugby-Teams, aber dann auf einmal war alles schwarz-rot-gold, das Reich des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Sowas nennt man „umgebrandet“, 1900 Quadratmeter schwarz-rot-goldene Branding-Fläche, wie unser Führer vom DOSB erklärte. „Eine logistische Meisterleistung“, sagte er stolz. 1200 Menschen verschiedener Gewerke haben an dem Aufbau mitgewirkt, der nur 100 Stunden gedauert hat. 150 Bundespolizisten sorgen rund um die Uhr für die Sicherheit der deutschen Fangemeinde. Im Inneren des Stadions ist eine 7000 Quadratmeter große Fanzone aufgebaut, mit Riesen-TV, Platz für Konzerte und 3000 in Biergarten-Ambiente feiernde Fans, Eintritt 20 Euro. 1500 Gäste werden zusätzlich in den oberen Räumen des Stadions vom DOSB bewirtet. Und noch mehr als in früheren Jahren stehen die Sportler im Mittelpunkt. Sie können hier herunterkommen vom Stress der Wettkämpfe, sie haben einen „Recovery Room“, wo sie auch einen Mittagsschlaf halten können (Neid!), eine Trainingsfläche, auf der gestern die Hockey-Damen noch ihre Dehnungsgymnastik machten. Sah ein bisschen aus wie BBP im Fitnessstudio. Es gibt auch eine Sauna. Weil für alle sieben Geschlechter, die es inzwischen geben soll, mit dem Hinweis versehen, sich bitte nicht ganz blank zu machen. Auch ein „Entmüdungsbecken“ fehlt nicht. Zur Entmüdung habe ich bisher immer mein Bett benutzt, aber so ein Becken mit kaltem Wasser beschleunigt die Entmüdung wahrscheinlich ungemein, nehme ich an. Aber das überlasse ich mal den anderen.

Auf einer großen Fotowand waren die – modern verfremdeten – Konterfeis sämtlicher Menschen zu sehen, die bei diesen Spielen für Deutschland starten. Auf einem Riesenposter sieht man unter den fünf Top-Athleten auch Jessica von Bredow-Wendl.

Pauline von Hardenberg

An diesen Wänden hat jeder Sportler seinen Platz, der Deutschland bei den Olympischen Spielen in Paris vertreten wird. (© Pauline von Hardenberg)

Zurück in Versailles

Zurück im Pressezentrum in Versailles, – das geht bei nicht allzu dichtem Verkehr ruckzuck –, konnten wir den ersten Reitern beim Training zusehen. Wie schon gesagt, hat man freie Sicht auf die Trainingsplätze, ganz anders als bei früheren Spielen, ein dickes Plus für Paris schon jetzt. Die Vielseitigkeitsreiter sind als erste angereist, hier gab es bei den Deutschen bekanntlich noch eine Umbesetzung. Viamant du Matz von Sandra Auffarth sei nicht fit gewesen, hieß es in einem etwas wolkigen Statement, dafür rückte jetzt Julia Krajewski mit Nickel auf Platz drei und der 23-jährige Calvin Böckmann auf Platz vier. Das wird nicht nur ihn gefreut haben, sondern auch seine überaus engagierte Mutter Simone. Das deutsche Team ist ohne die Weltmeisterin und dreifache Olympiamedaillengewinnerin allerdings deutlich geschwächt.

Im Reitstadion von Versailles ging es gestern nachmittag noch ausgesprochen beschaulich zu. Michi Jung und Christoph Wahler bewegten Chipmunk und Carjetan ruhig und locker, da machte das Zusehen Spaß. Das Pressezelt füllt sich allmählich, gut, dass wir schon unsere Namensschilder platziert haben. Zugegeben, das hat was von den Handtüchern auf den Swimmingpool-Liegen auf Mallorca, aber ich gewöhne mich halt nicht gerne jeden Tag um. Die englischen Kollegen sitzen wie immer dicht zusammen, sie tun mir nach dem Skandal um die zweifache Olympiasiegerin Charlotte Dujardin ein bisschen leid. Ihre Ikone, das Aushängeschild der britischen Dressur, ist jetzt überall zu sehen, wie sie mit einer langen Longierpeitsche bei einem Trainingstag auf ein Pferd einschlägt, weit ausholt, als wollte sie einen Tennisball ins Feld des Gegners schmettern. Abgesehen davon, dass kein Pferdefreund sowas sehen will, frage ich mich: Was soll das? Was will sie dem Pferd damit sagen? Was ist der Zweck der Übung? Kein Pferd versteht, was es soll, wenn es so malträtiert wird. Warum das Video erst jetzt veröffentlicht wird, dafür gab der holländische Anwalt, der im Auftrag einer nicht genannten Klientin bei der FEI Anzeige erstattete, gegenüber der britischen Pferdezeitschrift Horse and Hound eine Erklärung: Sie habe so lange mit sich kämpfen müssen, wissend, was die Veröffentlichung für Folgen habe. Wenn es ihr wirklich um das Wohl des Pferdes gegangen wäre, dann wäre sie über die Bande gesprungen und hätte Dujardin die Peitsche entrissen. Aber so hatte ihre Aktion natürlich eine größere Wirkung und erhöht die Medaillenchancen der Niederländer… Wahrscheinlich völlig unbeabsichtigt. Morgen wollen FEI-Präsident Ingmar de Vos und Chef-Veterinär Göran Akerström uns noch mal zu dem Thema Rede und Antwort stehen. Wir sind gespannt. Bis morgen. Ich ziehe mich jetzt in meine Entmüdungszone zurück.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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  1. Lukas Bogenstätter

    Ich finde die Idee, die Entmüdungszone aufzusuchen gut, denn anscheinend war die Autorin des Blog-Eintrags tatsächlich nicht ganz auf der Höhe, als sie sich anmaßt, die Klientin, die die Tierquälerei von Charlotte Dujardin erst öffentlich gemacht hatte, sowie deren Anwalt zu Tätern zu machen! Sie wirft ihnen vor, nicht selber eingeschritten zu haben und durch die Veröffentlichung die Medaillenchancen der Niederländer erhöhen zu wollen. Man sollte diesen mutigen Menschen dankbar sein! Ich empfehle auch eine Perspektivübernahme, wie man selber als Schüler/-in gehandelt hätte, wenn man bei einer dreifachen Olympiasiegerin Training hat. Das Mädchen hat richtig gehandelt – besser spät als nie! Aber bei einer so maßregelnden Kommentierung würde es mich nicht wundern, wenn zukünftig das Vertuschen weitergeht. Dem ist hier vielleicht ein Bärendienst erwiesen worden.

  2. Silke

    Vielen Dank, Herr Tönjes,
    schon im Voraus für Ihre tägliche Berichterstattung aus Paris die, wie immer, sicher wieder sehr informativ, gut geschrieben und nicht zuletzt sehr unterhaltsam sein wird. Es macht wirklich Spaß Ihre Kolumne jeden Tag zu lesen.
    Danke schön!


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