Vielseitigkeits-EM in Haras du Pin: 1000 Kilometer weit weg ist der Sommer zurück, die Reiter und ihre Entourage sind guten Mutes, und alle freuen sich, dass es endlich losgeht.
Es ist ja schon ein kleines Wunder, dass man weit oben im Norden Deutschlands einen winzigen Ort in Frankreich angeben kann und klaglos vom Navi in ein verwunschenes Häuschen in the middle of nowhere fast 1000 Kilometer entfernt geführt wird. So hatten wir, meine beiden Freundinnen und ich, keinerlei Mühe uns fast staulos bis in die Normandie durchzuschlagen.
Das Wunder hatte erst ein Ende, als der Weg zu unserer Unterkunft L’Oiselle am Ende nur noch mit einem Landrover zu befahren war, aber nicht mit einem stadtverwöhnten BMW, dem jeder Hubbel hörbar weh tat. Wir arbeiteten uns durch Löcher, Matschspuren und über Baumwurzeln bis zur nächsten festen Straße vor, das Navi ratlos und orientierungslos. Hilfe fanden wir schließlich bei einem Bauernhof, wo ein paar Autos standen, zwei Hunde bellten und ein Rasenmäher verriet, dass hier Menschen nicht weit sein konnten.
Heraus kam ein freundlicher nicht mehr ganz junger Mann, zuckte mit den Schulten, konnte kein Wort Englisch und verschwand wieder, um seine Frau zu holen. Die resolute Madame wusste Rat. „Ach Sie sind aus Deutschland“, sagte sie, „ich habe einen Schwager in Osnabrück, der heißt Uwe. Ich fahre Sie hin“, sagte sie, schwang sich auf ihr Quad, tuckerte vorweg – danke Uwe! – und landete auf einem einsamen Gehöft, am Eingang eine riesige zugewachsene Ruine einer Scheune. In den Himmel ragten Reste von Holzbalken, notdürftig gehalten von bröckelndem Putz, der Totalabgang wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Fünf Engel für eine Flasche Schampus
Hier also. Etwas weiter hinten lagen zwei Gebäude, die bewohnbar schienen. Wir waren nicht die ersten, im vorderen residierte bereits ein belgisches Ehepaar mit drei Kindern. Fünf Engel, die auch noch Englisch konnten. Sie kriegten irgendwie den Code für den Schlüsselkasten heraus, den uns der Vermieter vorenthalten hatte, schleppten uns die Koffer in die Schlafzimmer im ersten Stock des überraschend schicken und perfekt ausgestatteten Häuschens und stießen mit uns auf das Ende des Abenteuers kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein. Es bewährte sich, dass wir schon im Supermarkt eine Flasche Schampus mit in den Wagen gepackt hatten, der kam jetzt gerade recht.
Im Supermarkt hatten wir bereits Dirk Caremans getroffen, den Fotografen, der sich Vorräte für sein Häuschen besorgte, das er mit vier Kollegen teilt. Ich sah eine junge Frau, die hastig kurz vor Ladenschluss ihren Einkaufwagen bis oben hin voller Shampoo-Flaschen packte. Sie sah irgendwie nach Pferden aus, man hat ja einen Blick dafür. Und so war’s. Sie war Engländerin und betreut hier in der Nähe ein Vollblutgestüt. Das Shampoo sei für Mähne und Schweif der zur Auktion vorgesehen Jungpferde. Nur ein Euro die Flasche!
Frankreichs Pferdeheimat
Die Normandie ist das Pferdeland Frankreichs, Hochburg der Reitpferde- und der Rennpferdezucht. Die Holzzäune entlang der Straßen, die stattlichen Häuser hinter den Einfahrten, viele im typischen Fachwerk-Look der Region mit senkrechten Holzbanken, verraten, dass es hier vermutlich mehr Pferde als Hunde gibt. 30 Minuten durch eine hügelige, sattgründe Landschaft, mit Wiesen, Bäumen und Hecken führten uns schließlich zum ehemaligen Nationalgestüt Haras du Pin.
Hier gibt es leider kein einziges Pferd mehr, aber immer noch die historischen Ställe und Wagenremisen, das hübsche kleine Schloss und einen Souvenirladen. Wir pirschten uns auf verbotenen Wegen Richtung Turnierplatz. Plötzlich zu unserer Linken ein blumengeschmücktes Grabmal. Das Grab des berühmten Furioso xx, eines der ganz großen Stammväter der Sportpferdezucht!
Der Ort des Geschehens
Der Turnierplatz selbst hatte nichts mehr mit der Schlammwüste zu tun, die wir vor neun Jahren bei der Weltmeisterschaft erlebt haben. Viele kleine weiße Zelte, ein nagelneues Dressurviereck, ausgedehnte Trainingsvierecke, zwei stattliche moderne Gebäude für die Verwaltung, eine Sonnenterasse für uns alle. Da wurde mächtig investiert. Wie es heißt, hatte man gehofft, die Reitwettbewerbe der Olympischen Spiele 2024 hierher zu bekommen, die ja jetzt in Versailles stattfinden sollen. Jetzt hofft man, dass wenigstens einige Überseemannschaften ihr Vorbereitungstraining hier absolvieren und die Anlage, zu der auch nagelneue feste Ställe gehören, (kostenpflichtig) nutzen werden.
Alles parat, kann losgehen!
Die Pressestelle macht erst morgen auf, hier ist noch ein großes Durcheinander von Stühlen und Tischen. Wir kamen uns vor, als ob wir zu früh zu einer Party kommen und die Hausfrau, noch mit Angstschweiß auf der Stirn, die Sauce Bernaise rührt und entsprechend erfreut über den zeitigen Besuch ist. Immerhin der Arbeitsraum war fertig , meine Akkreditierung lag bereit und das W-Lan funktioniert. Und jetzt gibt es auch noch Strom! Was will man mehr?
A votre, Frau Pochhammer. Ich freue mich auf Ihre Berichterstattung.