Pochhammers Blog aus Mailand: Endspurt

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Gabriele Pochhammer bei den Europameisterschaften (© privat)

Das wird eine turbulente Nacht. Seit fünf Uhr nachmittags grölen vor meinem Hotel die Fußballfans, Inter Mailand spielt gegen AC Florenz. Im Moment sind die Fans im Stadion zu hören – 72.000 passen rein – ohrenbetäubend. Kritisch wird es wohl erst, wenn das Spiel vorbei ist und alle ihre Begeisterung oder ihren Frust wieder ablassen müssen. Für diese Fälle hat unser Hotel Gitter vor den Türen, die bei Bedarf schnell zugemacht werden können. Irgendwie beruhigend.

Jubel, wenn auch gesitteter, gab es natürlich heute auch auf der Rennbahn gleich gegenüber, wo im Innenbereich die Arena für die Springreiter-Europameisterschaft aufgebaut war. Was an Ambiente fehlte ­­– man fühlte sich ein bisschen wie auf einem mittelgut besuchten regionalen Turnier, aber nicht auf einem Championat – machte die sportliche Klasse machte wieder wett. Ich habe das oft erlebt, man mault über dies und das, was nicht perfekt ist, kein Kaffee in der Pressestelle, Ergebnisse und Starterlisten im Schneckentempo oder ein wackliges W-Lan – das alles traf hier nicht wirklich zu – aber am Ende macht der Sport das wieder wett. Und deswegen sind wir schließlich hier. Im Übrigen habe ich das Gefühl, wir werden immer weniger. Kaum noch eine Tageszeitung schickt Sportredakteure zu großen reiterlichen Events, schon gar nicht im Ausland, gerade noch nach Aachen. ZDF kam in großer Besetzung, brachte aber nur wenig rüber nach Deutschland, wie mir berichtet wurde. Auch der Boulevard hält sich fern. Also ich vermisse die Bildzeitung natürlich überhaupt nicht, aber andere schon und fühlen sich erst wahrgenommen, wenn sie drin vorkommen.

Zu den Pressekonferenzen wurden wir ans äußerste Ende des Rennbahngeländes in das Wiegegebäude gebeten, in den 3. Stock. Es gab auch einen Fahrstuhl, mit rostigen Gittertüren und schepperndem Motor. Ich vermute, er wurde um dieselbe Zeit gebaut, wie der Mailänder Dom, also irgendwann im Mittelalter. Und weil er heute ohnehin streikte oder eine Tür klemmte, stapften wir alle die Mamortreppen über drei Stockwerke hoch. Dafür gibt‘s Lob von der Fitness-App, Treppensteigen zählt extra. Im übrigen war sie die ganze Woche mit mir zufrieden, immer zwischen 10.000 und 15.000 Schritte. Sie wird sich wundern, wenn ich erst wieder gemütlich zu Hause bin. Das gab immer 500 bis 700 Kalorien extra, die gleiche ich gerade mit Chips und Aperol wieder aus.

Gutes Handling gegen Deckeinnahmen

Steve Guerdat, der neue Schweizer Europameister, wird ja immer bejubelt. Er ist unglaublich populär, obwohl er manchmal recht spröde sein kann und von sich selbst sagt, er sei nicht besonders gesellig. Aber er ist einer der wenigen, die kritisch über den Sport nachdenken und auch mal was sagen, was Funktionäre nicht gerne hören. Morgen bereits bekommt seine wunderbare Stute Dynamix ihr eigenes Riesenfoto in Guerdats Reithalle, neben all den anderen Helden von Nino des Buissonets bis Corbinian. Seine Frau wünschte sich das schon lange. „Ich hab immer gesagt, Darling, wart’s nur ab, sie kriegt ihr Foto“. Jetzt ist es so weit. Guerdat und Philipp Weishaupt, dessen Silbermedaille nach dem mageren Mannschaftsergebnis – keine Medaille, Absturz von Platz eins auf Platz vier – die deutsche Kolonie wieder strahlen ließ, sind sich sicher, dass sie ihre Pferde auch im nächsten Jahr für Paris noch haben. Bekanntlich blüht der Markt mit olympiafähigen Pferden in den vorolympischen Jahren. Aber beide Reiter haben Besitzer, die nicht verkaufen, sagten sie. „Bei uns ist das nicht selbstverständlich“ erklärte Weishaupt, der für Beerbaum Stables in Riesenbeck reitet, „schließlich sind wir ein Verkaufsstall und müssen uns auch von Pferden trennen. Aber ich habe schon früh für Zineday eine Besitzerin gefunden, die ihn behält.“ Der Fuchs galt lange als schwierig und seine Vorreiter Richard Vogel und Christian Kukuk hatten ihre Mühe mit ihm. Mit der Kastration wurde aus dem frechen Hengst ein „händelbarer Wallach“, wie Weißhaupt sagt. Der natürlich kein Deckgeld mehr einbringt und da könnte man jetzt einiges verlangen.

Guerdat war die ganze Woche über die Säule des Schweizer Team, seine Dynamix war das einzige Pferd des ganzen Feldes, dem kein einziger Abwurf unterlief. Hauptsächlich ihm ist es zu verdanken, dass die Schweizer zusammen mit Österreich und Spanien die Olympiaquali schafften.

Eine Ente und ein EM-Pferd in Calgary

Leone Jei, der Schimmel des Schweizers Martin Fuchs, war gestern Abend schon unterwegs nach Calgary, wo es am kommenden Wochenende beim Grand Slam viel Geld zu gewinnen gibt. Pferdefreundlich? Selbiges wurde auch von Limbridge von Jana Wargers erzählt, eine glatte Ente, wie mir Bundestrainer Otto Becker versicherte. Tatsächlich hatte Jana mit ihrem zweiten Pferd Dorette in Calgary starten wollen, die Stute durfte aber wegen eines positiven Piroplasmose-Befundes nicht einreisen, da lassen die Amis nicht mit sich spaßen.

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Hundeleben in Mailand – „Sitz“ hat da eine ganz andere Bedeutung. (© st-georg.de)

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Eindeutig ein Schoßhündchen (© st-georg.de)

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Und das? Ein Hot Dog? (© st-georg.de)

Gestern war der traditionelle Ruhetag für die Championatspferde, viele von uns nutzten ihn für Mailand-Erkundigungen. Ich hatte mir vorab ein Ticket für eine Domführung gebucht, ohne Warteschlange. Das funktionierte super, aber der Dom war rappelvoll, mit der weihevollen Stimmung wird es dann ein bisschen schwierig. Wir waren nur zehn Leute, mit dabei auch Henrik und Gaby Snoek aus Münster-Wolbeck. Sie waren eigentlich nach Mailand gekommen, um ihr Pferd Ben unter Gerrit Nieberg zu sehen, bei dem es bekanntlich nicht so lief, der aber am Ende mit nur einem Abwurf im Nationenpreis das Bild wieder ein bisschen geraderückte. Und Henrik, ja selbst einst erfolgreicher Springreiter, weiß ja, wie es in diesem Sport kommen kann: Meist anders, als man denkt.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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  1. Catharina

    Danke Frau Pochehammer, dass Sie uns erneut mit auf die Reise zur EM genommen haben. Wie immer waren Ihre Artikel so schön bildlich geschrieben und Ihren Humor und kritischen Worte, waren stets ein Vergnügen.

    Ich freue mich schon auf den nächsten Block aus Riesenbeck, wo Sie hoffentlich wieder dabei sind.


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