Pochhammers Blog aus Mailand: Gestern noch auf hohen Rossen …

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Gabriele Pochhammer bei den Europameisterschaften (© privat)

… würde der Dichter sagen, heute Vierter und runter vom Podest.  Es  hätte schlimmer kommen können, am Ende war es nur ein Abwurf zu viel für die Bronzemedaille. Platz vier fiel unter die Rubrik „ist nochmal gut gegangen“, denn ganz schnell hätte der Absturz der deutschen Springreiter noch schmerzhafter ausfallen können. Wie gut, dass die Olympiaqualifikation schon vorher im Sack war.

Das war’s also. Der Tag auf der Rennbahn von Mailand fing für die Deutschen schon äußerst bescheiden an, die Nachricht war schnell rum: Stargold von Marcus Ehning wurde zurückgezogen, damit gab es kein Streichergebnis mehr, nur noch drei Reiter, unter ihnen Gerrit Nieberg, dessen Ben eigentlich kundgetan hatte, dass dies hier nicht sein Turnier ist. „Da haben alle erstmal den Kopf hängen lassen“, sagte Jana Wargers. In so einem Moment ist der Schwung natürlich dahin. Was war passiert? Marcus Ehning schilderte den Vorfall: Der Hengst habe sich in der Box erschrocken und dabei irgendwas gezerrt. „Er lahmte nicht, aber ich konnte beim Reiten fühlen, dass er nicht ganz in Ordnung war.“ Dass sein Gefühl ihn nicht trog, bestätigte die mitgereiste Pferdephysiotherapeutin Meike Geier: „Stargold war angebunden. Als er sich dann erschrak, rutschte er hinten weg. Er hatte eine akute Blockade, die ich lösen konnte. Das war ein frischer Befund, ich denke, nach ein paar Tagen Ruhe wird er wieder OK sein.“ Natürlich verzichtete Ehning schon vor Geiers Diagnose auf einen Start. „Zum Wohl des Pferdes“, sagte er und das ist ja wohl das Selbstverständlichste der Welt. Damit fiel der erste deutsche Reiter aus und es hätte schon ein Wunder geschehen müssen, wenn die hauchdünne Führung zu halten gewesen wäre. War sie nicht.

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Dafür jubelten andere und das Schöne am Journalistendasein ist ja, dass man sich auch mit den anderen freuen kann, schließlich sind wir keine Chauvis. Zum Beispiel mit den Schweden, dem Team aus zwei Veteranen (Jens Fredericson, 53, und Rolf Göran Bengtsson, 61), dem Weltranglistenersten Henrik von Eckermann und der Amazone Willma Hellström, deren Schimmelstute Cicci vor Jahren ein Auge durch einen Unfall verloren hat. Das merkt man ihr nicht an. Sie habe das mit der Zeit vollständig kompensiert, „so dass es überhaupt keinen Unterschied macht zu anderen Pferden“, erzählte mir Helma.

Der in Holstein schon fast eingemeindete Rolf Göran Bengtsson, ältester Starter des Feldes, gewann seine erste Championatsmedaille vor 22 Jahren. Ein paar Jahre lang hatte er auf der Reservebank Platz nehmen müssen, aber auch da war sein Rat gefragt. Nun hat er wieder ein Pferd für ganz oben, den elfjährigen Holsteiner Hengst Zuccero. „Er hat die ideale Kombination aus Vorsicht und Mut“, sagt Rolf Göran und geht noch weiter: „Das ist ein Pferd, dem man alles zutrauen kann, da ist noch viel mehr drin.“ Und er kann nicht verstehen, warum er bisher züchterisch nur wenig benutzt wurde. Wetten, dass sich das bald ändert?

Hochbegabte Springpferde sind seltener als Einser-Abiturienten und Rolf Göran Bengtsson, der mit seiner Frau in der Nähe von Itzehoe einen Turnierstall betreibt, hat die erste Wahl unter den Holsteiner Verbandshengsten. Bengtsson versteht sein Handwerk, gilt als feinfühliger ruhiger Ausbilder, der den Pferden die Chancen gibt, sich zu entwickeln. Keine Hektik, keine Temperamentsausbrüche. In der Ruhe liegt die Kraft dieses Mannes mit der idealen Jockey-Statur, dessen Haare schon ein bisschen grau sind und dessen braun gegerbten Händen man ansieht, dass sie jeden Tag viele Stunden lang die Zügel halten. Keiner, der mit den Pferden flüstert, aber sie so behandelt, dass sie sich wohlfühlen und gerne für ihn arbeiten.

Insofern hat auch Zuccero Glück gehabt. Die Züchter in Holstein wissen, dass ihre Rösser bei dem Schweden gut aufgehoben sind. Ihnen allen gehört schließlich Zuccero, mir übrigens auch ein, zwei Haare. Einer der 5000 Besitzer von Zuccero, der stellvertretende Verbandsvorsitzende Max Slawinski, ließ es sich nicht nehmen, in Mailand, – geschmückt mit einer Akkreditierung – mitten ins Geschehen einzutauchen. Wie mir von zuhause berichtet wurde, war er auffällig oft dort zu sehen, wo die deutsche Mannschaft und die Fernsehkameras standen.

Rolf Göran ist normalerweise kein Mann großer Worte, reiten ist ihm lieber als reden, aber bei dieser EM sprudelt er geradezu über vor Begeisterung über sein Pferd und seine Teamkollegen. Dazu muss man sagen, dass unsere schwedischen Kolleginnen ihre Reiter nach jedem Ritt eine halbe Stunde mit Beschlag belegen, soviel haben sie sich zu erzählen. Und wir verstehen natürlich nix.

Auch Jens Fredericson, der noch mit der Idealnote von 0,0 Punkten in Führung für den Einzeltitel liegt, birst vor Elan. Sein Pferd Cosmopolit begann seine Karriere bekanntlich einst als Schulpferd, nicht direkt als Verleiher, sondern in einer Schule, in der künftige Reitlehrer ausgebildet werden. Jetzt muss er „nur“ noch Null bleiben, dann kann ihm keiner den Titel mehr nehmen.

Um ausgeruht in den Endkampf am Sonntag zu gehen, hat Jens morgen mit seiner Frau einen Stadtbummel mit Sightseeing geplant. Es gibt einiges zu feiern, nicht nur den EM-Sieg, sondern auch den Hochzeitstag.

Das Mannschaftsdinner der Deutschen wird wohl etwas ruhiger ausfallen als erhofft. Gerrit kann wieder sein Haupt erheben, hat die beiden miesen ersten Runden mit einem Vier-Fehler-Ritt  fast wieder wettgemacht. Jana verzichtet Sonntag aufs Finale, wäre als 21. dabei gewesen ohne Aussicht auf einen vorderen Platz. Dafür muss man den guten Limbridge nicht satteln. Philipp Weishaupt kämpft weiter, es könnte noch für eine Medaille reichen. Verdient hätte es Zineday. Für mich ist er der Jungstar dieser EM.

Auf die Idee, sich morgen, am Ruhetag für die Championatsreiter, mal in Mailand City umzusehen, werden wohl mehrere kommen. Ich habe den Dom gebucht und zwischendurch werde ich versuchen, auf die 10.000 Schritte zu kommen, die meine Fitness App mir verschrieben hat.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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