Pochhammers Blog aus Mailand: „Klappern gehört zum Handwerk?“

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Gabriele Pochhammer bei den Europameisterschaften (© privat)

Stargold von Marcus Ehning nahm’s wörtlich, aber ruschte so gefühlvoll über die Stangen, dass die meisten liegen blieben, bis auf eine. Damit und mit zwei Nullrunden von Jana Wargers und Philipp Weishaupt, hellte sich die Stimmung im deutschen Lager wieder auf. Führung – erstmal.

Otto Becker konnte wieder entspannt lächeln unter seinem Strohhut, der ihm irgendwie eine gewisse Würde verleiht, ob der unerwarteten, wenn auch knappen Führung seines Teams nach den ersten beiden Runden. Wer hätte das am Donnerstag nach den vier Abwürfen von Gerrit Nieberg im Zeitspringen gedacht? Auch heute lief es nicht ganz rund bei den beiden, die erste Hälfte des Parcours gelang gut, dann trat der Braune dreimal zu. Ist wohl nicht sein Turnier, aber eine Chance hat er morgen ja noch. Und im Übrigen gilt: Besser einer hat viele Fehler, als alle einen. Wenn das denn ein Trost ist für Gerrit. „Die Führung kommt einen Tag zu früh“, unkte Otto Becker, „morgen kommt ja noch eine Runde.“ Vielleicht sollte man die einfach abschaffen. „Oder sie muss wegen Gewitters ausfallen“. Das wünscht sich Otto Becker natürlich nicht wirklich. Oder nur ganz insgeheim.

Starkregen ging übrigens heute in Warendorf nieder, auf die jungen Bundeschampionatskandidaten. Ich bekam plötzlich eine E-Mail von Clipmyhorse: „Gleich geht Allegretta.“ Ups. Tatsächlich hat sich eine Schimmelstute diesen Namens aus meiner Zucht unter Jörn Warner qualifiziert, aber dass alle Daten so schwuppsdiewupps verknüpft sind, hätte ich doch nicht gedacht. Wenn das mal mit rechten Dingen zugegangen ist! Rätselhafte Computerwelt. Allegretta machte ihre Sache übrigens prima und kämpfte sich unverdrossen durch den prasselnden Regen. Holsteiner eben. Dafür gab es eine respektable 8,4.

Zurück nach Mailand, wo nicht ein Bruchteil der Zuschauer sein dürfte, die sich an diesem Wochenende rund ums Bundesleistungszentrum tummeln. Noch immer müssen die Kollegen auf den Knien ihre Texte ins Laptop hacken, falls sie sich nicht in die mehrere hundert Meter entfernte Pressestellen verziehen, sondern live am Geschehen teilnehmen und zwischendurch auch mal mit einem Reiter reden wollen. Immerhin hat eine mitfühlende Seele dafür gesorgt, dass um den Fernseher ein paar Stühle stehen und ein paar Wasserflaschen liegen. Ich glaube, Olivia, die neue FEI-Pressechefin, hat ein gutes Wort für uns eingelegt hat. Damit sammelt sie richtig Punkte bei uns.

Die Interviews nach den Ritten, Pflichtauftritte für die Reiter, folgen einem streng geregelten Protokoll. Als erstes ist das Fernsehen dran, vorneweg die Kollegen von Clipmyhorse/FEI-TV. Das sei ihnen gegönnt, schließlich haben auch die Fans was davon, die nicht hier vor Ort sind. Wenn wir schon mal große Ohren machen und mithören, damit die Reiter nicht alles doppelt und dreifach erzählen müssen, werden wir weggejagt. Nicht von den TV-Kollegen, sondern von der Aufsicht führenden Dame.

Ich weiß, dass es nicht darauf ankommt, aber wenn es einen Schönheitspreis gäbe, den würden hier die Pferde des deutsche Teams mit Abstand gewinnen. Limbridge von Jana Wargers, der so leichtfüßig über die Sprünge fliegt, Zineday von Philipp Weishaupt, Kind zweier sporterfolgreicher Eltern, der zweifellos zu Höherem berufen ist und seinen Reiter hier zum Europameister machen könnte, Stargold von Marcus Ehning, auch er eine bronzeglänzende Beauty, dem am richtigen Tag alles gelingt, siehe Großer Preis von Aachen. Dazu gehört auch der Schimmel Mumbai von Einzelreiter Christian Kukuk, der sich mit katzengleicher Geschmeidigkeit über die Sprünge fliegen lässt. Übrigens ist er hier rundum beschlagen. Vor Aachen wurde seine Absage noch damit begründet, dass der Hengst keine Eisen habe und auch keine bekommen solle, weil er ohne viel besser geht. Stattdessen reiste Mumbai zur Global Champions Tour nach Monaco, wo es Sand gibt und auch Kohle satt. Kukuk begründete das in Mailand mit dem Beschlagrhythmus, der gestört würde, wenn die Eisen rauf und wieder runtergenommen würden. Kann ja sein, aber so schlecht läuft er hier bei der EM ja mit Eisen auch nicht.

Wie gesagt, schicke Pferdetypen muss man unter den weltbesten Springpferden suchen. Da gab es doch eine Menge schwerfälliger Modelle, scharf gezäumt, weil anders nicht zu steuern. Jedenfalls scheint das die Ansicht ihrer Reiter zu sein. Bei jedem Pferd wurden nach dem Parcours die Gamaschen abgenommen und die Beine kontrolliert. Es wird höchste Zeit, dass die FEI auch bei den Gebissen und Zäumungen mal genauer hinschaut.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

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  1. Andreas

    Hallo Frau Pochhammer, vielen Dank für ihre Einblicke von der EM in Mailand. Sachlich,mit der passenden Dosis Humor gewürzt und immer den Finger (berechtigt) in die Wunde legend. Auch mir ist es dieses Mal extrem aufgefallen das die Abstimmung zwischen Reiter-Hand und dem (gefuhlvollsten Teil des Pferdes) Maul bei , leider zu vielen, Reitern mehr der Arbeit von Steinmetzen gleicht. Wie sagte schon Hugo Simon diese Woche: “ Die Pferde sind in den letzten Jahren viel besser geworden – die Reiterei leider nicht!“ Schade dass wir ihm Recht geben müssen. Weiterhin frohes Schaffen in Mailand und halten Sie uns weiter auf dem laufenden. MFG Andreas Künnemann 🇩🇰


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