Heute ging es noch gemach zu in der Grasarena des Hippodrom San Siro in Mailand. Die Pferde durften sich ein wenig umschauen, die Reiter auch. Und auf der Tribüne saß einer, der gezeigt hat, dass er’s kann: der 81-jährige Hugo Simon, Hugo Nationale, wie er in seiner Wahlheimat Österreich heißt. Und dem man auch heute noch nichts vormachen kann.
Das Wasser hat sich weitgehend verzogen, wo gestern noch Matsch war, haben eifrige Helferchen heute Kunstrasen gelegt. Man geht darauf wie auf Watte. Die Sonne scheint wieder, so soll es bis zum Ende der Woche bleiben. Der Starkregen ist Geschichte. Peter Weinberg, Chef der Belgier, zeigte mir noch ein Video wie das Regenwasser Sturzbach-artig die Stallgasse heruntersprudelt. Nach einem Shopping-Ausflug in die Stadt – die Museen hatten leider alle zu, da blieb mir gar nichts anderes übrig – war ich pünktlich zum Trainingsspringen wieder auf der Rennbahn San Siro, in deren Innenbereich ein kompletter Turnierplatz entstanden ist. Eine eindrucksvolle Anlage, mit noch längerer Tradition als das Fußballstadion gleich nebenan. Im Eingang ein Pferd, so riesig, wie einst das Trojanische Pferd. In seinem Bauch wäre Platz für eine ganze Armee. Nach Rennpferd sieht das Trumm jedenfalls nicht aus.
Alle Reiter durften im 90-Sekunden-Takt einmal ins Stadion, wo neun Hindernisse, darunter ein Doppelsprung aufgebaut waren. Welches wann wie oft gesprungen wurde, blieb den Reitern überlassen. Der deutsche Einzelreiter Christian Kukuk verzichtete ganz darauf, seinen Schimmelhengst Mumbai noch ein paar Sprünge machen zu lassen. „Er ist dieses Jahr so viel gesprungen, auch auf Rasen, das hätte nichts gebracht“, sagte er. Die Pferde der anderen Deutschen zeigten sich entspannt und gut gelaunt, Stargold von Marcus Ehning, Limbridge von Jana Wargers, Ben von Gerrit Nieberg und Zineday von Philipp Weishaupt, mit seinen neun Jahren eines der jüngsten Pferde der EM. „Er soll hier vor allem Erfahrung sammeln für nächstes Jahr“, sagt Weishaupt und bekommt von Bundestrainer Otto Becker prompt zurück: „Wenn du nur hierhergekommen bist, um Erfahrung zu sammeln, dann kriegen wir aber ein Problem.“ Schließlich geht es hier um was. Allseits breites Grinsen.
Manche Pferde sind inzwischen Rasen nicht mehr gewohnt, aber der Boden wurde von den deutschen Reitern für gut befunden. „Er müsste nochmal gemäht werden“, sagte Co-Trainer Marcus Döhring. Jeweils nach ein paar Pferden wurden die Hindernisse ein wenig versetzt, um die Grasnarbe zu schonen, jedes noch zu kleine Loch wurde mit Harke und Schaufel geglättet. Was geht, wird jedenfalls getan, um guten Sport zu ermöglichen.
Vor mir auf der Tribüne saß Hugo Simon mit seiner Frau Margit, dreifacher Weltcupsieger, fünffacher Olympiateilnehmer und Gewinner der Goldmedaille bei den Olympiaersatzspielen 1980 in Rotterdam. Sein letztes internationales Springen gewann er 2016, da war er 76 Jahre alt. In seinen besten Zeiten war er eine Legende, keiner hatte gewonnen, bevor Hugo nicht durch den Kurs gefegt war. Unvergessen der erste Weltcupsieg 1978 mit Gladstone, als einziger Europäer gegen eine Phalanx starker US-Reiter. Die zu durchbrechen gelang erst elf Jahre später dem Briten John Whitaker auf dem ebenso legendären Milton. 1996 und 1997 holte sich Hugo den Cup auf dem Hannoveraner Fuchswallach E.T., den er nach seiner Laufbahn klonen ließ. „Ein bisschen Blut, ein Hautfetzen, ein Haar, das war alles“, erzählte er mir gestern. „Ist ja doch etwas unheimlich.“ Mir auch. Der Klon selbst ging nie im Sport. „Es gab nur einen E.T. und so sollte es bleiben.“ Aber als eine Tochter des Klon – eine Enkelin von E.T. oder eine Halbschwester? Man kommt ja ganz durcheinander – vor kurzem über den 1,80 Meter hohen Zaun aus dem Paddock sprang, da hat er sich doch gefreut. „Obwohl wir sie jetzt wieder einfangen mussten“, sagt seine Frau, den praktischen Aspekt im Blick.
Die Aufmerksamkeit des heute 81-Jährigen gilt bei dieser EM ganz besonders einem Pferd, dem zehnjährigen dänischen Schimmel Puma HS v. Untouchable. Hugo Simon hat ihn zu Jahresbeginn dem Spanier Sergio Alvarez Moya zur
Verfügung gestellt. Er zeigte sich bestens gestern im Stadion wie die meisten Pferde. Hugo Simon kann vergleichen: „Die Pferde heute sind so viel besser als früher, weniger schwerfällig, rittiger mit besseren Reflexen.“ Auch wenn es auf den ersten Blick viele kalibrige, große Pferde unter den 85 vierbeinigen EM-Teilnehmern gab. „Sie haben viel mehr Blut als früher“, sagt Hugo Simon. Blut heißt in diesem Fall Nerv und Energie, nicht unbedingt das xx im Pedigree, das man bei den meisten ja schon recht weit hinten suchen muss.
Mögen die Pferde besser geworden sein, die Reiter sind es oft nicht, findet der Altmeister, der selbst dafür bekannt war, dass er seine Pferde sehr gründlich dressurmäßig arbeitete. „Es gibt viele gute Parcoursreiter, aber wenige gute Ausbilder“. Einer der beides kann, ist in seinen Augen sein Landsmann Max Kühner. Apropos Landsmann: Beide verbindet ein ähnlicher Werdegang. Eigentlich Deutsche zog es sie nach Österreich, wegen der größeren Chancen, mal für ein Championat nominiert zu werden. Beide leben heute in Deutschland, der eine in München, der andere in Weisenheim.
Während wir so plaudern, über gestern, heute und morgen, versucht ein Reiter, seinem Pferd den Wassergraben zu zeigen – der nicht zum Springen freigegeben ist. Der Rappe zeigt sich wenig geneigt, läuft rückwärts und will am liebsten gar nicht hin. „Ganz falsch“, sagt Hugo Simon. „Man sollte dem Pferd überhaupt keine Hindernisse zeigen, meistens ist der Reiter dann unsicher und das merkt das Pferd sofort. Es geht viel besser aus dem Schwung heraus.“ Das werden wir morgen im Zeitspringen ja sehen. Pferde sind zwar nicht die besseren Menschen, aber manchmal die schlaueren.
0 Kommentare
Schreibe einen Kommentar