Wer sagt, Dressur ist nicht spannend? Der sollte zur EM nach Riesenbeck kommen. Der Kampf dreier Ladies um jedes Pünktchen setzte die Szene unter Strom. Und morgen geht es genauso weiter.
Natürlich haben wir alle ein wenig gezittert, wie das erste Duell zwischen Jessica von Bredow-Werndl und Lottie Fry, zwischen Dalera und Glamourdale ausgehen würde. Diesmal war es eindeutig: Einer fast makellos gehenden Dalera hatte der imponierende Rappe nicht genügend entgegenzusetzen, vor allem nicht in den Piaffen, aber auch nicht in den Pirouetten. Und dann wurde es gar kein Duell, sondern ein Triell. Charlotte Dujardin, Olympiasiegerin 2012 und 2016, ist mit dem zehnjährigen Imhotep wieder da nach ihrer Babypause. Der Fuchswallach ist übrigens ein enger Verwandter von Glamourdale, aber das sieht man ihm nicht an. Charlottes sechs Monate alte Tochter Isabella war mit von der Partie, wurde im Hintergrund von einer Nanny gehütet. Bei der Siegerehrung, der ersten ihres Lebens, durfte sie nicht fehlen. Jessica hatte übrigens den sechsjährigen Moritz und die ein Jahr alte Ella zurückgelassen, auch Matthias Rath im deutschen Team verzichtete auf die Begleitung seines Nachwuchses zum Podium, ebenso fehlte Isabell Werths Sohn Frederic. Bestimmt habe ich noch einige hoffnungsvolle Nachwuchskräfte vergessen, aber die Veranstalter sollten sich vielleicht schon mal drauf einstellen, am Podium in Zukunft ein wenig anzubauen, damit alle Platz haben.
Dujardin war voll des Lobes für ihren Imhotep, den Jüngsten des Führungstrios. „Er gibt Dir dieses wunderbare Gefühl im Viereck, er will immer gefallen. Das ist, was Dressur ausmacht,“ schwärmte sie. Der Wallach hatte eine 19-stündige Anreise hinter sich, seit dem Brexit wird jede Turnierfahrt von der Insel auf den Kontinent nicht nur teuer, sondern wegen der bürokratischen Hürden für die Pferde anstrengend mit stundenlangen Wartezeiten.
Ungleiche Kontrahenten
Fragt man einen Reiter, wie er seine Konkurrenz fand, bekommt man meistens zu hören: „Hab ich leider nicht gesehen.“ Eine kluge Antwort. Auch Jessica gibt zu, dass sie sich Glamourdale die letzten Tage nicht angeschaut an, auch nicht beim Training. Das hätte wohl nur den Druck erhöht, unter dem sie zweifellos stand. Ungeschlagen seit nunmehr 22 Prüfungen – da hatte sie was zu verlieren. In Riesenbeck spielte ihre Stute alle ihre Qualitäten aus. „Dalera ist mein Spiegel“, sagte Jessica, „Wenn ich auf den Punkt bereit bin, ist sie es auch.“ Nur bei der Anfangsaufstellung scharrte die Stute ein wenig mit dem Vorderhuf, als wollte auch sie die Richter begrüßen. Und nach Verlassen der Arena ließ sie einen fröhlichen Bocksprung raus, aber das zählte ja nicht mehr.
Wo Lottie Fry mit Glamourdale auftritt, begleitet ihn bewunderndes Raunen, so auch in Riesenbeck. Wenn er mit großen Sätzen durchs Viereck galoppiert, stöhnt die Menge begeistert auf. Ihm haftet etwas Wildes an, ein Hauch von Fury. Und das sieht nicht nur so aus: Bei der Tierarztkontrolle am ersten Tag präsentierte ihn nicht seine zierliche Reiterin, sondern der Hengstwärter des Stalles, bewaffnet mit Longe und doppelten Zügeln. „Ich hatte ein paar Hickups“, sagte Lottie in der anschließenden Pressekonferenz. Kein Reiter aus der Spitzengruppe hat aktuell so viele Pferde in den FEI-Erfolgslisten wie sie: Nicht weniger als zwölf.
Grand National bei Carl Hester
Carl Hester hat genau zwei. Trotzdem bleibt der 54-Jährige der Mann, der in England den Schalter in Sachen Dressur umlegte, seine Schülerin und Mitarbeiterin Charlotte Dujardin mit immer wieder neuen Pferden versorgt. Er ist übrigens einer der wenigen, die ihre Pferde häufig rauslassen auf die Weide, auch zusammen. „Ich komme von einer Insel, wo es keine Ställe gab, auch weder Sattel noch Zaumzeug.“ Carl wuchs auf der Insel Sark auf, da gibt es keine Autos, aber Esel und Zugpferde, auf denen der junge Carl erste reiterliche Erfahrungen sammelte. Und wenn ob seiner Freiluft-Politik der eine oder andere Entsetzensschrei ertönt, dann sagt er: „Ich wohne neben der Weide. Und dann höre ich schon, wenn sie einen Grand National veranstalten und kann eingreifen. Draußen zu sein, ist für die Pferde die natürlichste Sache der Welt.“ Aber leider hat sich das noch nicht überall herumgesprochen.
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