Pochhammers EM Blog 4: Freiheit, Ideen zur Jugendförderung und ein hungriger Chris Bartle

Von
Gabriele Pochhammer Haras du Pin

Gabriele Pochhammer in Haras du Pin (© Dirk Caremans/Hippofoto.be)

Warum Chris Bartle sich über den nicht vorhandenen Bauch streicht, was man in Sachen Jugendförderung in der deutschen Vielseitigkeit unternehmen könnte und wie man sich als Journalistin beliebt bei Funktionären macht. Oder auch nicht so.

Leider hatte die Handy-App heute mal recht, um Punkt 14 Uhr begann es zu regnen, erst dicke einzelne Tropfen, die dann in eine gepflegten Landregen übergingen, also das Letzte, was wir hier brauchen können bei dem ohnehin schon vollgesogenen Boden, der gerade begann abzutrocknen. Erste Änderungen der Strecke sickerten durch den etwas klebrigen offiziellen Infokanal. Es wurde bisher nicht umgebaut, auch keine Wege umgelegt oder Schleifen herausgenommen, sondern nur anders nummeriert. Sprung Nummer sechs, ein Bergab-Oxer  wurde zu 6a, der darauf folgende Tiefsprung zu 6b, der schwierige schräge Wassereinsprung zu 7a mit einer zeitraubenden Alternative halb um den Teich. Im Wasser dann Sprung 7b.

Ich kam zufällig in die Meldestelle, in der Matthias Otto-Erley, der Technische Delegierte der FEI, hektisch auf einem Zettel rummalte. Als ich ihn darauf ansprach, blickte er auf. Überbordende Freude, mich zu sehen, sieht anders aus, hatte ich den Eindruck. Man habe damit Problemen zuvorkommen wollen, wenn ein Reiter versehentlich seine Linie kreuzt, sagte er. Na gut, dass sie das noch gemerkt haben, einen Tag vor der Prüfung.

Anders als vor neun Jahren bei der Weltmeisterschaft und auch auf manchen deutschen Plätzen, werden die Zugänge hier großzügig gehandhabt. Klar, die Ställe sind tabu für alle außer Pflegern, Reitern und einigen Funktionären, aber ansonsten können wir uns und auch die angereisten Fans sich frei bewegen, mal mit diesem mal mit jenem einen Kaffee trinken, kurze oder längere Gespräche führen. Es macht einfach mehr Spaß, wenn nicht an jeder Ecke ein Uniformierter steht, der nach Bändchen oder Akkreditierung fragt.

Heute morgen war Sandra Auffahrt auf Viamant du Matz dran, brachte ordentliche 28,6 Punkte nach Hause. Ich habe den Fuchs noch nie besser gesehen, auch Sandra war zufrieden. Sie hatte ihm versprochen, dass er die nächsten drei Monate kein Dressurviereck zu Gesicht bekommen würde, die Aussicht hat ihn offenbar beflügelt. Sandra reitet ja immer erfolgreicher auch im Springsport und wird natürlich oft gefragt, ob und wann sie die Fakultät wechseln wird. „Das hängt von den Pferden ab,“, sagte sie. „Im Moment habe ich viele gute Springpferde, aber vielleicht kommt ja nochmal ein tolles Vielseitigkeitspferd.“ Will wohl heißen: Mit Mittelmaß wird sich die Mannschaftsolympiasiegerin und Weltmeisterin nicht mehr aufhalten…

Heute traf ich Michael und Jutta Spethmann, die Motoren hinter der Vielseitigkeit in Luhmühlen, Jutta ist Mitbesitzerin von Nicolai Aldingers Pferd Timmo.  Wir gingen mal die Liste der deutschen Vielseitigkeitsplätze durch, die das Zeitliche gesegnet haben, von Achselschwang bis Schenefeld, von Cavertitz bis Rodderberg, von Kreuth bis Böen-Bunnen. Und das sind längst noch nicht alle. Warum sie nicht überlebt haben, wusste er auch nicht. Und auch in Warendorf scheint man keine Idee zu haben, wie man die fatale Entwicklung stoppen und den Querbeet-Sport neu beleben könnte.

Michael Spethmann, selbst einst erfolgreicher Buschreiter, ist übrigens nicht mehr im Vielseitigkeitsausschuss. Er habe dort zu wenig bewegen können, sagt er. Seiner Ansicht nach brauche man keinen Ausschuss, um ein Team zu benennen, das könne der Bundestrainer schon ganz gut allein. Stattdessen schwebt ihm ein Beirat von drei Personen vor, die Ideen haben, den Sport weiterzuentwickeln. Um ganz unten anzufangen, wäre ein Konzept nötig, wie man talentierte Kinder auf den Weg bringt, die nicht aus reiterlich interessierten Elternhäusern kommen, was im Fußball ja hervorragend klappt, aber beim Reitsport gar nicht.

Als Einzelreiter Nicolai Aldinger mit Timmo ins Dressurviereck galoppierte, hatte es sich eingeregnet. Kein Schauer, grausamer Dauerregen. Ob sie im Gelände morgen eine Schleife rausnehmen, wenn es so bleibt?

Bettina Hoy, die erste Frau, die die deutschen Farben in der olympischen Vielseitigkeit vertrat (1984), hat nahezu nahtlos ihre aktive Karriere in eine Trainerlaufbahn umgemünzt,. Hier in Haras du Pin ist sie für den Schweizer  Felix Vogg vor Ort, bestes Dressurergebnis für seine Mannschaft. Bei der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) vertritt Bettina als Aktivensprecherin die Interessen der Reiter und kann auch mal den Mund aufmachen, wo ein Reiter vorsichtshalber lieber schweigt, um nicht bei der nächsten Dressur abgestraft zu werden.

Gerade versucht sie, eine neue Regel zu verhindern, die in Schweden geboren wurde: Jede umgerissene Flagge mit sieben Fehlerpunkten zu bestrafen. Zur Erinnerung: zurzeit gibt es nur 11 Fehlerpunkte, wenn das Pferd erkennbar mit Schulter, Hals und Kopf außerhalb der Flagge geblieben ist.  Fällt die Flagge um, das Pferd das Hindernis aber innerhalb der Flagge überwunden hat, gibt es keine Fehler. Die Neuerung würde bedeuten, dass die Reiter versuchen werden, jede Ecke möglichst weit entfernt von der äußeren Flagge, also an der breitesten Stelle zu springen, was ja auch mal gefährlich werden kann. Soviel zu den vollmundigen Beteuerungen „Safety first“. Schnapsideen von nicht reitenden Besserwissern zu verhindern, ist anscheinend eine Hauptaufgabe von Reitersprechern. Im übrigen sieht man Bettina, wie sie sich für ihre ehemaligen Kollegen einsetzt, zum Beispiel versucht, denen Startplätze bei anderen Turnieren zu verschaffen, die in Gatcombe genannt hatten und nicht reiten konnten, weil die Britischen Meisterschaften wegen Sauwetters ausfallen mussten.

Michael Jung und Chipmunk lieferten eine titelwürdige Dressur ab, das war ein echter Michi, alles stimmte, die einzige Vorstellung unter 20 Punkte, Super.

Die Dressur ist vorbei, spielt wahrscheinlich ab jetzt keine Rolle mehr. Dennoch: Die Briten auf Platz zwei bis sechs plus acht neun – das hat es noch nicht gegeben. „Ist das nicht ein bisschen gierig,“ habe ich Chris Bartle, den ehemaligen deutschen Honorartrainer gefragt. „Ich habe ganz viel Hunger“, lachte er und strich sich über den nicht vorhandenen Bauch.  Briten und Deutsche spielen hier in einer Liga für sich, alle anderen Teams abgeschlagen mindestens 20 Punkte dahinter. Aber auch das kann sich, wie wir wissen, morgen blitzschnell ändern.

#doitride-Newsletter   Sei dabei und unterstütze die #doitride-Kampagne! Mit unserem Newsletter verpasst Du keine Neuigkeiten rund um #doitride. Jetzt aktivieren!

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

stgeorg_newsletter_booklet
  1. Horst Müller

    Schön von Michael Spethman und seiner Aussage zu lesen, dass man keinen Vielseitigkeitsausschuss brauche um ein Team zu benennen.
    Michael Spethman ein Praktiker, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht!


Schreibe einen neuen Kommentar