Redakteur auf Reisen – ein Blog anstelle einer Weihnachtsgeschichte

Von
Pferd im (Schnee)Paradies

(© www.st-georg.de )

Von Hafergrütze, Staus, die eigentlich nicht da sind, ein
Rösti, das irgendwie mit Rak anfängt und das Paradies als Standort eines
Herstellers von Reitsportartikeln. Ach ja, und besoffenen Elchen und die Frage: Wo ist der Weihnachtsmann zuhause?

Ja, es ist tatsächlich so, wie in Bullerbü beschrieben: Schweden Seen, Fichten, Holzhäuser in weinrot, hellblau oder sonnengelb. Das gilt auch für die Gegend um Götheborg. Die 600.000-Einwohner-Stadt ist die zweitgrößte Schwedens und verfügt über den größten Hafen. Seine Fläche nimmt ebenso viel Platz ein wie der Rest der Stadt an der schwedischen Westküste.

Bertil spricht verdammt gut Deutsch. Seine Mutter ist Deutsche, sagt er später. Aber erstmal erzählt er uns einiges über den schwedischen Verkehr. Beispielsweise, dass es ein Tempolimit gibt, 110 Kilometer pro Stunde. Und dass man den Führerschein für ein oder als notorischer Raser schnell auch mal zwei Monate abgenommen bekommt, wenn man mehr als 30 km/h schneller fährt. Der Verkehr fließt alle fahren exakt 140 km/h. Keiner schneller. Göteborg, wenn Bertil das sagt, dann mit rollendem R und dem typischen schwedischen Singsang in der Stimme, die am Satzende gerne auch mal nach oben geht. Von der Autobahn aus besteht Göteborg aus viel Industrie, es geht vorbei an Supermärkten, an Ikea und irgendwann wird es dann ländlicher. Am Straßenrand sind die Wasserkaskaden, die sich malerisch über helle Felsformationen ergossen haben, eingefroren. Winter Wonderland!

Ich war noch nie so weit im Norden, mutmaße, dass der Nordpol auch nicht mehr weit sein kann. Bertil winkt ab. Er habe ein Winterhaus in Nordschweden. Dort verbringt er die Weihnachtszeit, die Sonne geht um 10 Uhr auf und um 14.30 Uhr wieder unter. Meistens ist der Schnee rosa, vom Licht des Sonnenauf- bzw. -untergangs. Es ist nicht die Zeit über eingefärbten Schnee zu sprechen iss niemals gelben Schnee, sollen die Kinder ja in Skandinavien sehr früh mitgeteilt bekommen. Da oben sei doch der Weihnachtsmann zuhause, frage ich zaghaft. Ja und nein, entgegnet Bertil. Die Finnen sagen, er wohne bei ihnen und nach Schweden ist er aus Europa gekommen. Nein, hier sei ja Tomte unterwegs. Der Wichtel, den man gnädig stimmen sollte. Denn wenn er schlecht gestimmt ist, dann sorgt er für eine schlechte Ernte. Zu Weihnachten oder zumindest im Winter, so genau weiß Bertil das auch nicht, sollte man Tomte Hafergrütze vor die Tür stellen. Die liebt der kleine bärtige Wichtel. Da kann man punkten.

Es geht vorbei an immer mehr bunten Holzhäusern, an Pferden, die in Winterdecken auf Paddocks stehen. Einige sind geschoren und kurze Schweife lassen auf eine sportliche Verwendung schließen. Aber auch Isländer stehen mit Decke und Halsteil bei Minusgraden im Schnee ich dachte immer, die hätten ihr Zottelfell gerade für diese Klimabedingungen. Wieder was dazu gelernt, reisen bildet. An einer Bushaltestelle biegen wir links ab, Paradiset Paradies heißt die Haltestelle. Toll, denke ich, in Schweden kann man dem Busfahrer sagen, dass man ins Paradies möchte und er fährt einen für wenige schwedische Kronen dorthin. Kein Vergleich zu den moralischen Eckdaten, die hierzulande zur Erlangung des Paradieses von Nöten sind. Im Paradies ist Mountain Horse beheimatet, die Firma, die Bertils Vater Lars (das Schweden übrigens hinten wie sch aussprechen kein Kommentar zu Reimwörtern, die einem da in den Sinn kommen, bitte!) gegründet hat. Eigentlich nur, weil er seiner Tochter einen Reitstiefel konzipiert hat, der auch im Winter warme Füße garantiert. Wie gesagt, draußen stehen selbst die Isländer mit Decken.

Es ist das, was man ein Businessgespräch nennt. Ein Austausch mit gemeinsamem Mittagessen in einem Golfclub (im Winter spielen wir mit roten Kugeln). Dessen Restaurant ist eher eine rustikale Kantine. Essen vom Tablett, uns wird Rakmun (oder war es doch Rukman oder ganz etwas anderes) empfohlen. Ein Rösti mit gebratenem Schweineschinken und Preißelbeeren. Elch hätte es auch gegeben. Denn davon gibt es (Achtung Kalauer!) satt in der Gegend. Elche, lernen wir, sind nette Tiere, die nur dann gefährlich werden, wenn sie übrig gebliebenes Äpfel von den Bäumen oder das Fallobst fressen. Die vergorenen Äpfel machen aus einem Elch das, was drei Bier aus einem schmächtigen Beamten macht: Einen ganzen Kerl, der es mit der Welt aufnehmen will. Schwedische Polizisten haben strikte Anweisungen, besoffene Elche auf der Stelle zu erschießen. Ohne Prozess, ohne Gnade. Denn zwei Meter Stockmaß und bis zu 800 Kilogramm Eigengewicht sind betrunken ein Sicherheitsrisiko. Nüchtern sind sie auch nicht ohne aufgrund ihrer langen Beine besteht Gefahr für Autos: Die Kühlerhauben passen mehr oder weniger problemlos unterm Bauch eines Elches hindurch, das dicke Ende (bzw. das dicke Oben) landet dann aber sofort auf dem Dach, bei kleineren Exemplaren alternativ auf der Windschutzscheibe. Scheibenkleister!

Auf dem Rückweg stehen wir, wie schon auf dem Hinweg, in einem Stau, etwas das es in Schweden laut Bertil eigentlich nicht gibt. Wir erreichen den Flieger aber rechtzeitig. Nur der Schnee war etwas schneller. In den Tageszeitungen wird vor drohenden Schneestürmen gewarnt, na toll. Trotzdem, oder um uns schon einmal auf das drohende Unbill einzustimmen, hat die Crew eine geniale Idee. Sie hat hinten die Tür geöffnet. Durchzug, Lüften soll ja gesund sein. Es ist unvorstellbar kalt. Da uns das elektronische Check In die Plätze ganz hinten beschert hat, bekommen wir die meisten der gut gekühlten Sauerstoffatome ab. Ich schaue vorsichtig über meine Schulter: Ist da noch Platz für Fracht? Ein paar Rentiere vielleicht? Nüchtern, hoffentlich? Wahrscheinlich hat die Crew nur Tomte etwas Hafergrütze auf die Rollbahn gestellt. Kann ja nicht schaden. Wenn nicht, kann er nämlich recht unangenehm werden. Daran muss ich denken, als wir in Stockholm bei Schneesturm umsteigen. In eine jener kleinen Maschinen, zu denen man per Bus gebracht wird. Das Warten auf dem Rollfeld bei minus sechs Grad und peitschendem Wind plus ordentlich Niederschlag macht richtig Spaß. Die Enteisungsmaschine mit ihrer Sprühpistole ist schon in Position gebracht. Der Fahrer dämmert vor sich hin. Wir stehen und warten, dass die Menschen vor uns endlich im Inneren des Flugzeugs verschwinden. Plötzlich dreht sich die Sprühpistole in unsere Richtung und nimmt uns in Visier. Auch der Fahrer scheint verdutzt. Für eine Sekunde gefriert mir das Blut in den Adern (was nicht so schwer ist, da meine gefühlte Körpertemperatur längst im einstelligen Bereich angekommen ist). Steckt da Tomte dahinter? Hallo, Stewardess?? Eine Extraposition Hafergrütze bitte. Stellen Sie sie einfach hier draußen hin, danke!

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

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