Sechs Ritte über 80 Prozent, der Ritt von Isabell Werth zu ihrem 14. Titel in der Deutschen Meisterschaft knapp an der 90-Prozent-Grenze vorbei – in Balve gab es heute nur zufriedene Gesichter. Pech hatte Sönke Rothenberger, dessen Cosmo scheute als plötzlich bei strahlendem Sonnenschein Wasser ins Viereck schwappte.
Einreiten, Halten, Grüßen, Anpassagieren und nach „zehn Sekunden eine 360-Grad-Piaffe für eine Zehn“, so fasst Chefrichterin Katrina Wüst den Auftakt von Isabell Werths Siegeskür zusammen. Und Isabell Werth ergänzt, „wenn Emilio dann gleich aus der Passage so in die Piaffepirouette hineinschwingt, als ob das gar nichts wäre, dann ist das wirklich toll“. Mit 89,125 Prozent hat Isabell Werth mit Emilio souverän ihre 15. Deutsche Meisterschaft gewonnen.
Isabell Werth „Es war einfach nur toll“
Toll war auch der Rest der Kür, die der Westfale das sechste Mal in seinem Leben gegangen ist. Highlights des Programms: Abfolgen von Traversalverschiebungen im versammelten Trab und in der Passage, sichere fliegende Galoppwechsel und am kurz vor Ende der Kür auf der Diagonalen ein fließender (!) Übergang vom starken Trab – also maximaler Schwungentfaltung und Rahmenerweiterung – direkt in die Passage, der Lektion mit der höchsten Kadenz. Und schließlich noch einmal eine wunderbar leichte 360-Grad-Piaffe vorm Ende. Das ist das Programm, dessen technischer Wert mit Wertnoten zwischen 83,75 und 88,0 Prozent beurteilt wurde. In der B-Note für den künstlerischen Eindruck gab es Noten von 90 bis 97 Prozent – letztere kamen von Chefrichterin Katrina Wüst, die von einer „Sternstunde der Dressurreiterei“ schwärmte.
Man neigt dazu, mitzupfeifen
Isabell Werth zu ihrer Musikwahl, „Freude schöner Götterfunken“ für z. B., den starken Trab
Unterstützung erhält der kräftige Ehrenpreis-Sohn durch die Musik, zweimal Beethoven. Das berühmte Motiv aus der 5. Sinfonie und die „Ode an die Freude“ aus der 9. Sinfonie begleiteten den Trab und die Passagen. Belcanto-Gesang aus der Feder Puccinis untermalen die federnden Piaffen. „Heute war alles so leicht, dass ich oben selbst mitgepfiffen habe“, schmunzelt Isabell Werth. „Die Musik trägt Pferd, Reiter und Publikum“. 89,125 Prozent sind eine hohe Wertung.
Wer Emilio in der heutigen Form gesehen hat, wird Schwierigkeiten haben, derzeit ein Pferd zu finden, das an ihn in der Kür heranreichen könnte. Die Stallcrew bei Isabell Werth in Rheinberg mal ausgenommen …
Isabell Werth hatte übrigens keine ganuz große Lust zu feiern. Nicht, weil sie über eine gewisse Routine in Sachen Deutsche Meistertitel verfügt, sondern weil sie nacht feiern war: Klaus Roeser, Vorsitzender des deutschen Dressurausschusses, hatte zur Silbernen Hochzeit geladen. „Madeleine (Schulze) und ich waren da. Lange, am liebsten hätten wir noch die Tür zugemacht.“ Nun freue sie sich auf den Rückweg, auf die Familie, den Garten – „vielleicht auch den Biergarten.“
Fragen nach einer Wertung – Weltcupsiegerin und Olympiazweite Weihegold oder der neue deutsche Meister Emilio? – stellen sich für die erfolgreichste Dressurreiterin aller Zeiten nicht. „Ich bin einfach glücklich, zwei solch tolle Pferde zu haben und mit drei Pferden fürs Aachener Team nominiert zu sein, jetzt müssen nur alle gesund bleiben und dann sehen wir mal weiter.“
Weihegold, die eine Phlegmone (Einschuss) am Bein hatte und deswegen nicht in Balve an den Start gebracht wurde, hat längst kein geschwollenes Bein mehr, musste aber medikamentös versorgt werden, und deswegen zuhause bleiben.
Zwölf Paare waren an den Start gegangen, acht wurden platziert, sechs erzielten über 80 Prozent
76,625 Prozent mussten es sein, wollte man ins Balver Dressurstadion zur Ehrenrunde einreiten. Ein bisschen Pech hatte Sönke Rothenberger, dessen Cosmo auch heute etwas große Augen hatte, aber längst nicht so viel Seitenwind wie im gestrigen Grand Prix Special. Dafür spielte ihm eine andere Naturgewalt einen Streich.
Sönke Rothenbergers Dusche von den Richtern nicht negativ beurteilt
Insgesamt ging der Van Gogh-Sohn eine gehorsamere Runde als gestern, stand sicherer an den Hilfen. Es war erst die zweite Kür von Rothenberger und Cosmo. Weil er als Zehnter im Grand Prix Special bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 „nur“ viertbester deutscher Reiter in Rio war, hatte er dort keine Kür geritten. „Wir haben dann immer Grand Prix und Special geritten, damit die Bundestrainer in diesen Prüfungen die Leistung sehen können, die ja schließlich für den Mannschaftserfolg wichtig sind“, sagte Rothenberger. Heute sei sein Pferd dynamischer gewesen als an den Vortagen. „Wenn schon aus der Ecke beim starken Trab das Vorderbein einem entgegenkommt, so soll das sein wenn man auf einer Deutschen Meisterschaft ist und Isabell ein bisschen ärgern will“, grinste der 21-Jährige verschmitzt. Die Kür unterstreicht geschickt die Highlights in Cosmos Portfolio, vor allem die Piaffen und Passagen, die mit Klavierklängen und ohne großen Bombast den feingliedrigen zehnjährigen Wallach wirken lassen.
Während des starken Schritts fuhr plötzlich eine Windböe unter das Zeltdach des Kameraturms Mitte der langen Seite. Etliche Liter Wasser klatschten Cosmo förmlich vor die Füße. „Das haben wir aber nicht negativ bewertet“, erläuterte Richterin Katrina Wüst. Beeindruckend schnell hatte Rothenberger den Wallach danach wieder losgelassen auf seiner Seite. Für die fliegenden Wechsel zu zwei Sprüngen (an die sich über die Diagonale nahtlos Einerwechsel anschlossen) und den starken Trab erhielt das Paar mehrfach die Idealnote 10,0. 87,6 Prozent bedeuten die persönliche Bestleistung für das Paar.
Sammy – das Beste kommt am Ende
Die beste seiner drei Prüfungen ging heute der Rappe Sammy Davis jr. v. San Remo mit Dorothee Schneider. „Sammy hat Kraft gewonnen, ist runder geworden“, ist die Ausbilderin aus Framersheim begeistert von der Entwicklung des hochbeinigen Rappen, der im Dezember das Finale des Louisdor-Preis gewonnen hatte. Sie hat sich Tango- und Salsa-Klänge aus dem Film „Darf ich bitten?“ (u .a. mit Richard Gere) ausgesucht. Den Schritt reitet sie auf Volten. Die Stärken des Pferdes, Passagen und Piaffen, versteht sie immer wieder neu zu variieren, u.a. auch, in dem sie aus der Piaffe heraus Schritt reitet. Nach Münster im Januar, Herning im März, Mannheim und unlängst München ist Balve das fünfte Grand Prix-Turnier für den Elfjährigen und das dritte Mal dass er in der Kür geht. 86,165 Prozent erhielt er. Wie sie sich die Weiterentwicklung des Pferdes erklärt? „Kontinuierliche Arbeit. Wer mich kennt, der weiß, dass ich immer ein bisschen auf die Tagesform der Pferde beim Training achte. Mal nur vorwärts-abwärts, dann wieder ein bisschen Krafttraining oder so, dass Rippe und Genick locker sind. Immer so, wie es passt.“ Dazu sei Sammy auch viel auf der Weide und Paddock, täglich. Was Schneider besonders freut: „Sammy ist kein Pferd, das ,huch‘ macht, wenn die Musik angeht, sondern der sagt, jetzt will ich mit dir tanzen.“
War die deutsche Meisterschaft mit Showtime in der Kür 2016 schon eine Riesenüberraschung, so kam die Bronzemedaille mit Sammy Davis jr. 2017 nicht minder unerwartet. Aber doch ein bisschen mit Ansage, schon in München hatte das Paar über 80 Prozent in der Kür erhalten.
Damsey knapp geschlagener Vierter
Vierte wurde Helen Langehanenberg mit dem 15-jährigen Damsey. Das Paar zeigte äußerst kadenzierte Passage-Traversalen, einen sehr guten starken Schritt und Trab- und Galoppverstärkungen mit maximaler Rahmenerweiterung – das gelang so nicht alle Paaren im Viereck von Balve. Damsey ging mit einem leichten Handicap an den Start. Er hatte sich in Mannheim, wo er die Kür mit mehr als 80 Prozent gewonnen hatte, am Kopf verletzt. Der Entzündungsherd musste von außen geöffnet werden und um kein Dopingrisiko einzugehen, durfte ihm kein Schmerzmittel verabreicht werden. „Aber“, so Susanne Meyer, die Damsey seit seinem dritten Lebensjahr unter ihren Fittichen hat, „so ist er: Er sagt, für euch mache ich das!“ Für Helen Langehanenberg, die als erste Reservistin für das Aachen-Team nominiert wurde, ist diese Kür eine Herzensangelegenheit. Schon zu Zeiten von Damon Hill hatte sie immer davon geträumt, eine Kür von der Kelly Family zu reiten. Sie ist ein großer Fan der irischen Familien-Band, deren Leistung ihr Respekt abnötigt, wie sie betont. Bei dieser Kür hat sie nun irische Musik zu dem Hannoveraner Hengst . 81,450 Prozent, vier Punkte trennten sie von der Bronzemedaille.
Bundestrainerin Monica Theodorescu war einfach nur glücklich, dass insgesamt „die Ausfälle nicht auffallen“. Überrascht habe sie keines der Pferde. Es ist eine breite Spitze im deutschen Sport. Gefragt danach, wie es in Göteborg bei den Europameisterschaften Ende August ausgehen könnte, wollte sich niemand ganz weit aus dem Fenster lehnen. „Die Dänen sind stark aufgestellt“, sagt Isabell Werth. Den Rest müsse man sehen.
Imperio nimmt Queens „I want to break free“ recht wörtlich
Fünfter wurde Hubertus Schmidt mit Imperio. Das Paar erzielte zwar das erste Mal über 80 Prozent. Aber das war mehr als generös seitens der Richter. Denn es klappten viele Dinge nicht in der Kür zu Melodien von Queen. Mehrfach sprang der Trakehner Hengst zur Seite, hatte Fehler in den fliegenden Galoppwechseln. Schmidt ritt nach der verkorksten Prüfung hinaus und am Abreiteplatz angekommen kam recht unüberhörbar das „Sch-Wort“ über seine Lippen. Aber dennoch 80,65 Prozent, Platz fünf.
Dass man mit ihr und Fabregaz auf jeden Fall in der Zukunft rechnen muss, unterstrich Fabienne Lütkemeier mit ihrer Kür zum Melodien aus „Gladiator“. Wuchtige Filmmusik, die gut zu dem großen Bayern passt. Eine clevere Choreographie-Idee: Aus der Piaffe direkt in eine Traversale nach rechts im versammelten Trab. Und auch eine 360-Grad-Piaffe hat der Florestano-Sohn schon im Repertoire. 80,4 Prozent gaben die Richter, Sechster.
Siebte wurde Anabel Balkenhol mit dem wie Fabregaz auch erst zehn Jahre jungen Trakehner Heuberger v. Imperio. Die Kür – Musik: „Transformer“ und „Avatar“ – bot einige Schwierigkeiten auf, so den Übergang von Zweierwechseln in die Wechsel von Sprung zu Sprung. 76,75 Prozent bedeuteten Platz sieben vor Bernadette Brune, 76,325 Prozent.
Sie war mit ihrem Spirit of the Age OLD die einzige Reiterin, die einhändig ritt, Einerwechsel, und die eine leichte, manchmal etwas mystisch angehauchte Musik für ihren Stedinger-Sohn ausgesucht hatte. Piano zur Piaffe, daraus Schritt – auch dieses Zeichen von Losgelassenheit hatte sie in ihr Programm eingebaut.
Rang zwölf nahm übrigens Franziska Stieglmaier mit Lukas v. Lagiator ein. Die Reiterin aus der Riege der Deutschen Bank Reitsport Akademie war eine der jüngsten Starterinnen und hatte Rock’n Roll-Klassiker zusammengestellt. Ihr Lukas ist der mütterliche Halbbruder zu Dorothee Schneiders Sammy Davis jr. Das gibt es auch nicht oft: Zwei Kinder einer Mutter im Finale einer Deutschen Meisterschaft.
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