Dressur-Debatte: Wo steht die FEI derzeit?

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Dressur bei den Olympischen Spielen von Paris 2024. (© Pauline von Hardenberg)

Die simple Antwort: ein bisschen mit dem Rücken zur Wand. Olympia in Paris sei hervorragend gewesen, heißt es vom Weltreiterverband. Stimmt! Aber dennoch sieht sich die Generalsekretärin der FEI dazu veranlasst, zur Dressur festzustellen: die „Disziplin hat sich im Laufe der Jahre von traditionellem Ziel entfernt“. Das ist deutlich.

Die Worte von Sabrina Ibañez, der Generalsekretärin der FEI, der Ambitionen auf das höchste Amt, das der Präsidentin, nachgesagt werden, sind eine klare Watschen. Ibañez fordert von den Interessenvertretern, die in Lausanne zusammengekommen sind, die „notwendige Neuausrichtung auf die grundlegenden Prinzipien der Dressur“. Das ist harter Tobak oder zumindest die dringende Aufforderung, einmal die Hausaufgaben zu machen. Was unterschwellig mitschwingt: Ansonsten, setzen, sechs. Bzw. 1,0 – „sehr schlecht“.

Hochkaräter bei der FEI Dressur-Debatte

Die Adressaten vor Ort: ein illustrer Kreis. Das Treffen war mit Amtsträgern aus den Clubs der Dressurreiter (IDRC), Trainer (IDTC), Offiziellen (IDOC) und Veranstaltern sowie diversen Vertretern der FEI – von Stewards bis Vize-Präsident und Dressur Komitee – und den Präsidenten der European Equestrian Federation (EEF) und der Pan American Equestrian Confederation (PAEC) hochkarätig besetzt.

Viel Expertise also vorhanden. Da ist es dann doch verwunderlich, das am Ende des Gedankenaustauschs Sätze wie diese standen: „Ein entscheidender Aspekt ist, dass die Dressur ohne Spannung und Widerstand ausgeübt wird, um die Harmonie zwischen Pferd und Reiter zu gewährleisten.“ Ach so, möchte man sagen. Außerdem hat sich die Gruppe „verpflichtet, ethische Trainingsmethoden zu definieren, wobei der Schwerpunkt auf vermehrter Transparenz und der Darstellung von ,good practice‘ liegen soll“. Dass zu diesen Themen nun Arbeitsgruppen tagen sollen, zeigt wie wichtig der Weckruf der Generalsekretärin war.

Die Dressur-Community mit ihren vielen Untergrüppchen an einem Tisch zu haben und dabei gemeinsam festzustellen, dass wohl nicht nur so getan werden muss, als habe man etwas verändert, sondern dass tatsächlich etwas geschehen muss, sei ein erster wichtiger Schritt, sagen Teilnehmerinnen.

Musste es so weit kommen?

Es ist der Druck der sozialen Medien, der letztlich zu dem Treffen in Lausanne geführt hat. Die Leistungen in Paris bei den Olympischen Spielen waren gut, doch Zeit zu feiern hat die FEI in Sachen Dressur nicht. Längst liegt die Deutungshoheit nicht mehr bei Verbänden und Einzelpersonen, sondern in der Macht der Bilder und Worte, die auf den sozialen Medien kursieren. Wie kompetent diejenigen sind, die dort das flammende Schwert schwingen, mag man diskutieren. Dass sie Dinge ansprechen, die angesprochen werden müssen, zeigt die Reaktion des Sports. Einfach drüber hinweggehen, das funktioniert nicht mehr. Das mag viele ärgern, die im Wanderzirkus Spitzensport unterwegs sind und sich Woche für Woche auf einem anderen Turnier begegnen. Die Rahmenbedingungen haben sich eben in vielerlei Hinsicht geändert.

Was sich nicht geändert hat, das ist das, was so gern als die „klassische Reitlehre“ bezeichnet wird. Die Skala der Ausbildung, Takt, Losgelassenheit …

FEI-Regelwerk

Eigentlich sagt Paragraf 401 in der 25. Ausgabe des FEI Dressur Reglements alles: „Das Ziel der Dressur ist die Entwicklung des Pferdes zu einem glücklichen Athleten durch eine harmonische Ausbildung. Dadurch wird das Pferd gelassen, geschmeidig, locker und flexibel, aber auch selbstbewusst, aufmerksam und arbeitseifrig und erzielt so ein perfektes Übereinkommen mit dem Athleten.“ Der Athlet, das ist der Reiter. Fragt man die Protagonisten des (Dressur-)Sports, wird man wenige finden, die diesen Leitsatz nicht unterschreiben würden, weil sie ihn als gelebte Praxis verstehen. Ein Ansatz, der bestätigt wird durch die bis zu 3000 Zuschauer, die mitunter Dressurprüfungen live vor Ort miterleben. Menschen, die klatschen. Menschen, die allerdings auch dafür bezahlt haben, den Sport live zu erleben und mit entsprechender Erwartungshaltung angereist sind.

Denen gegenüber steht eine große Menge von Menschen, die die Dressur kritischer beäugen. Diese Menschen sind keine homogene Masse, vielmehr trägt sie vor allem ein gemeinsamer Nenner, nämlich der Eindruck, dass der Dressursport zunehmend falsch abbiegt. Und dass Paragraf 401 eben auch nur zwei Sätze sind auf Papier. Papier ist geduldig. Diejenigen, die sich in den sozialen Medien über die Dressurreiterei auslassen, sind es nicht. Es ist ein Gemenge von Menschen, die sich der „klassischen“ Reiterei verpflichtet fühlen, die „pferdefreundliches Reiten“ propagieren. Für Teile von ihnen darf der Sperrriemen nur noch Kinnriemen heißen. Sie sehen in ihm ein Werkzeug des Teufels. Die Kandare möchten sie lieber heute als morgen ins Museum verbannen. Sie können Pferdegesichter „lesen“ – am Bildschirm und in Windeseile. Die Absolutheit mit der sie ihre Thesen vertreten, die sie als unverrückbare Wahrheiten verstehen, ist beeindruckend. Oder beängstigend. Alles eine Frage der Perspektive.

Dressur und FEI – Handlungsdruck

Die Situation, die im Frühjahr 2024 mit den viel diskutierten Richterurteilen der Weltcup-Turniere von Göteborg, Amsterdam und Neumünster einsetzte, nahm gehörig an Dynamik zu, nachdem die Prügelvideos des gebürtigen Kolumbianers Dr. Cesar Parra im Februar und schließlich der Absturz der Britin Charlotte Dujardin von der Ikone zur Peitschen-Lady passend zum Olympiaauftakt die Öffentlichkeit erschütterten. Da war man im internationalen Dressurlager entsetzt, aber vielleicht auch etwas erleichtert, dass damit der Fall Andreas Helgstrand mit dokumentierter Tierquälerei in nahezu industriellem Ausmaß ein bisschen ins Vergessen geriet. Mit „dem Andreas“ sind halt in der Szene viele verbandelt.

Zeichen erkennen

Das Reglement ist gut, heißt es häufig in Diskussionen. Warum also die Aufregung? „Abgesehen von Unregelmäßigkeiten im Rhythmus oder offenkundigen Durchlässigkeitsproblemen, wie z.B. einem verspannten oder hohlen Rücken, einem stark schlagenden Schweif oder unrhythmischer, gepresster Atmung in bestimmten Lektionen, müssen die Richter besonders auf alle Anlehnungsprobleme achten. Ein zusammengezogener Hals, unstete Anlehnung oder ein unruhiges, deutlich geöffnetes Maul mit hochgezogener Zunge müssen als grundlegende Fehler angesehen werden. Wenn die Zunge deutlich zur Seite heraushängt, kann die Note nicht höher als 5 sein, wann immer dies auftritt oder vom Richter bemerkt wird – vielleicht sogar niedriger, wenn die Zunge zusätzlich über dem Gebiss ist.“

Der Auszug aus einer aktuellen Ergänzung zum FEI-Richter Handbuch zeigt: Ein Bewusstsein besteht durchaus. Nur in Sachen Umsetzung ist noch Luft nach oben. Wenn Pferde beispielsweise in einer Piaffe schnauben, dabei die Selbsthaltung verlieren, wird das gern von Reiterseite als „Abschnauben“ und damit als ein positives Signal gedeutet. Tatsächlich ist dieses Schnauben eben nicht das mit dem Begriff „Abschnauben“ assoziierte Zeichen von Zufriedenheit und Losgelassenheit. Vielmehr ist es die „unrhythmische, gepresste Atmung“, die die Richter als eklatanten Ausbildungsfehler ahnden müssten. Müssten …

Was soll passieren?

Schulungen, also Wissenstransfer, hat sich die FEI nicht nur für die Dressur selbst zur Aufgabe gemacht. Vor allem Zeichen körperlichen Unbehagens, die das Pferd aussendet, sollen noch deutlicher im Bewusstsein all derer verankert werden, die auf dem Turnier das Tier begleiten, Stewards, Richter, Trainer. Die Kommission für Pferdewohl und Ethik hat einen Strategieplan entwickelt. Das hinter vorgehaltener Hand diskutierte und auch belächelte Konzept soll stärker berücksichtigt werden. Faktoren gibt es viele, von Ernährung bis zur Ermöglichung von Sozialkontakten. Fünf Kernbereiche hat das Papier definiert. Der fünfte ist die mentale Verfassung des Pferdes. Ihr will man sich zukünftig noch mehr widmen.

Maßnahmen der FEI

  • Wer ist ein „Trainer“? Registrierung von Ausbildern
  • Studien zur Maulgesundheit. Das „Projekt Mundhöhle“
  • (Trense, Kandare, Nasenriemen etc.)
  • Kontrollen außerhalb des Wettkampfs
  • Videosimulationstraining für Offizielle
  • Wann ist ein Pferd wettkampftauglich? Die Rolle des FEI-Veterinärdelegierten
  • Verbesserte Ausbildung für Offizielle, Athleten und alle Beteiligten
  • Laufende Überprüfung von Sattel- und Zaumzeug und weiterem Equipment
  • Evaluierung von Technologien zur Unterstützung der Beurteilung

Auch wenn vieles noch vage formuliert ist, die Marschrichtung ist definiert. Unter anderem soll ein Kommunikationsplan erarbeitet werden. Damit soll sich schon die FEI-Vollversammlung im November beschäftigen. Feinschliff ist für das Sportsforum im Frühjahr 2025 angedacht. Darüber hinaus sind aber schon einzelne Schritte konkreter gefasst worden, das Spektrum reicht von Steward- und Richterschulung, über neue Videotrainings für Offizielle bis zu Tests außerhalb des Wettkampfs (siehe Kasten). Gerade der letztgenannte Aspekt ist von großer Bedeutung, weil damit nicht nur das Geschehen auf dem Turnier dokumentiert wird, sondern auch ein Blick in die Ställe möglich wird.

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

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