Das war kein Finale, das war ein Fest. Ein Fest, das mit Gold für Jessica von Bredow-Werndl und Dalera und Silber für Isabell Werth und Wendy endete. Der größte Gewinner aber war der Sport, der nach den Skandalen der letzten Tage und Wochen eine Antwort in die Welt gesendet hat. Schönes Reiten hat Zukunft.
Gold für Jessica von Bredow-Werndl und Dalera – Doppel-Olympiasiegerin, Silber für Isabell Werth und Wendy. Diese Leistung ließ die Herzen aller höher schlagen, selbst der Statistiker. Bislang gab es nur drei Reiter und Reiterinnen, die zweimal Einzelgold bei Olympischen Spielen gewinnen konnten, der Schwede Henri St. Cyr (1952, 1956), Nicole Uphoff (1988, 1992), und die Britin Charlotte Dujardin (2012, 2016). Dreimal hat die Niederländerin Anky van Grunsven auf dem Podium gestanden (2000, 2004, 2008).
Der Tanz zum Gold von Jessica von Bredow-Werndl und Dalera
Es war ein Tanz auf dem „best dancefloor ever“, sagt Jessica von Bredow-Werndl. Die Spiele von Paris im Garten des Sonnenkönigs – „kann man sich dran gewöhnen, an so einen Schlosspark“, hatte Isabell Werth nach ihrem Ritt gesagt – sind einmalig. Schon allein, weil das Areal UNESCO Weltkulturerbe ist. In einigen Wochen wird nichts mehr von dem Stadion mit seinen 16.000 Zuschauern mehr zu sehen sein. Das Gros der Geländehindernisse war schon zwei Tage nach Michael Jungs Goldmedaille verschwunden.
Was von Versailles bleiben wird, das sind die Bilder des Geländeritts und der heutigen Kür.
Eigentlich ging jedes der 18 Pferde seine beste Aufgabe, wenige Ausnahmen bestätigten die Regel. „Das wird es nie wieder geben“, sagt Jessica von Bredow-Werndl. Damit meint sie wohl nicht nur die eigene Leistung. Nachdem es gestern im Grand Prix Special ein Zittersieg zum Mannschaftsgold war, zeigten „Jessie“ und Dalera heute, warum sie das dominierende Paar in der Dressur der vergangenen Jahre waren. Einzig der Weltmeistertitel blieb ihnen verwehrt, weil Tochter Ella nur Stunden nach der Kür in Herning 2022 zur Welt kam. Die Trakehner Stute, die die Schweizerin Beatrice Bürchler-Keller ursprünglich als Reitpferd für sich angedacht hatte, hat in der heute 38-Jährigen die perfekte Reiterin gefunden. Die als Ideal geforderte Symbiose von vier- und zweibeinigen Athleten im Pferdesport hat selten so schön und unübersehbar Gestalt angenommen wie heute in der Kür bei Olympia 2024.
Die „Queen“ lässt Paris träumen
Minutiös war das Unternehmen Olympia seit Jahren vorbereitet worden. Gold war nie als Devise formuliert, aber sicherlich angedacht oder zumindest erhofft. Dalera war dosiert eingesetzt worden. Die neue Kür mit französischen Melodien, in der die Nationalheldin Edith Piaf – welch ein Nachname in diesem Zusammenhang – sich im Stadion mit unverkennbarem Timbre zu Wort meldete, war choreographisch aufgewertet worden. Die abwechslungsreichere Linienführung aus dem Anfang der „La La Land“-Kür von Tokio jetzt zu „ganz Paris träumt von der Liebe“. Heute träumt ganz Paris, nein, vielleicht die ganze (Pferde-)Welt von Jessie und Dalera.
Wenn Reiterin und Pferd eins werden
Nicht nur, weil heute alles klappte. Weil alles wieder da war, die Leichtigkeit, die Eleganz – der Anmut. Die Grazie, die dieses Paar ausmacht. Alles Kriterien, die über das hinausgehen, was sich in den prosaischen Notenbögen mit den 16 geforderten Lektionen widerspiegelt und den vier B-Noten. Hier fließen die Beurteilungen für den künstlerischen Wert, für Takt und Elastizität, Harmonie zwischen Pferd und Reiter, Choreographie und Raumaufteilung, Schwierigkeitsgrad und Interpretation der Musik ein. Fast durchgängig 10,0 erhielt das Paar hier. Was ideal ist, muss auch so bewertet werden.
16.000 Zuschauer gebannt im Stadion
Der Schwierigkeitsgrad der Kür ist nicht zu toppen. Solche komplexe Abfolgen von Lektionen bergen ein Problem in sich: Sie begeistern, wenn alles klappt; funktioniert etwas nicht, sehen sie schnell nach Überforderung, nach mangelnder Harmonie aus. Dalera und „Jessie“ konnten heute nur begeistern. Vor den Einerwechseln war die Stute „etwas an“. Und als das Publikum endlich zum Abschluss der Kür das tun wollte, was es schon so lange sich gewünscht hatte, nämlich im Takt klatschend das Paar begleiten, kam etwas Spannung im Hinterbein in der Passage auf. Piaf sang weiter, die Zuschauer klatschten weiter – aber etwas dezenter. Jeder Piaffetritt begleitet von 30.000 Händen, die einfach nicht anders konnten, als ihre Begeisterung kundzutun.
Dalera verstand, die Hinterbeine schwangen weiter aktiv unter den Körper, aber nicht mehr mit der leichten Verzögerung, die es in der hundertprozentigen Losgelassenheit nicht geben darf. Und dann stand sie da. Sicher auf allen Vieren. Jessica von Bredow-Werndl grüßte. Sie wusste, was sie gemeinsam geleistet hatten. 90,063 Prozent! Gold für Jessica von Bredow-Werndl und Dalera!
Dalera ist kein Supermodel, keine Schausiegerin. Aber heute war die Trakehner Stute das schönste Pferd der Welt.
Der Sport gibt eine klare Antwort auf die ernsten Fragen
Die Easy Game-Tochter war die Antwort auf alle Fragezeichen, die hinter dem von Skandalen gebeutelten Dressursport stehen. Wenn Pferd und Reiterin so miteinander verschmelzen, dann geht das nicht mit Gewalt. So etwas kann man nicht erzwingen. „Ich bin gestern etwas schlecht eingeschlafen“, sagte Jessica von Bredow-Werndl. „Heute morgen bin ich aufgewacht und wusste: Sie kann es, ich kann es, wir können es. Heute ging es um Gefühl, um Liebe und Vertrauen.“ Der Druck von draußen war da, aber der konnte der innigen Bindung zwischen der „Queen“ und ihrer ständigen Begleiterin nichts anhaben.
„Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder ein solches Gefühl haben werde“, gibt sich die zweifache Olympiasiegerin etwas nachdenklich, keine Stunde nachdem sie auf der Ehrenrunde von den Zuschauern gefeiert worden war. „She is special. Ich weiß nicht, ob ich jemals ein solches Pferd haben werde.“ War das Daleras letzter Start? Festlegen will sich Jessica von Bredow-Werndl nicht. „Vielleicht noch zwei, drei Turniere“. Dalera bestimmt es, das hatte die Doppel-Olympiasiegerin stets betont.
Championate soll die Trakehner Stute keinesfalls mehr gehen. Dieses Jahr ist Schluss. 2025 wird aus der Queen eine Mutti, hoffentlich. Ein Fohlen der Stute, das wäre ein Traum für Jessica von Bredow-Werndl.
Ergebnisse der Olympia-Kür 2024
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