Eine Zusammenfassung der Kür-Einzelentscheidung Dressur bei den Olympischen Spielen in Paris 2024. Von den Medaillenträgern bis Frederic Wandres.
Es gab mehrere bemerkenswerte Momente in dieser Kür-Einzelentscheidung Dressur. Das Wichtigste zuerst: alle Reiterinnen und Reiter wirkten entspannter. Und das spiegelten auch ihre Pferde wider. Hatten sich im Grand Prix Special noch viele Fehler eingeschlichen, kaum eines der Paare war ohne Problem aus der Prüfung gekommen, sah das am Tag des Kürfinals ganz anders aus.
Auffällig, vor allem, um wie viel gefälliger die meisten Ritte wirken. Die Anlehnung war in den meisten Fällen deutlich leichter, das Reiten einfach schöner. Eine Beobachtung, die nicht nur für die Spitze des Feldes galt, sondern Allgemeingültigkeit hatte.
Jessica von Bredow-Werndl und Dalera gelang einer der besten Ritte ihrer Karriere, ganz sicher der wichtigste. Als Doppel-Olympiasiegerin geht die 38-jährige Mutter zweier Kinder in die Dressur-Geschichte ein. Ihre Trakehner Stute Dalera, gestern überraschend, nur drittbeste in der Mannschaftswertung, ging heute wie aus dem Bilderbuch. Gefeiert von knapp 16.000 Zuschauern im Olympiastadion, die begeistert zu klatschen begannen, als zum Abschluss der Kür Edith Piaf zu singen begann. Mit 90,093 Prozent konnte die Bayerin ihren Erfolg aus Tokio wiederholen.
Kopf-an-Kopf-Rennen in der Kür-Einzelentscheidung Dressur
Jessica von Bredow-Werndl hatte als Vorletzte ins Stadion gemusst, zu dem Zeitpunkt lag Isabell Werth mit Wendy in Führung. Mit mehr als 89 Prozent, genau 89,614 Prozent, war die erfolgreichste Dressurreiterin der Welt beurteilt worden. Insofern lastete doppelt Druck auf den Schultern der Olympiasiegerin von Tokio. Werth hatte stark vorgelegt, und die Dänen Cathrine Laudrup-Dufour sollte als Letzte mit der Hannoveraner Stute Freestyle die olympische Einzelentscheidung abschließen.
Freestyle und die dänische Vizeweltmeisterin von 2022 hatten sich in den ersten beiden Prüfungen von ihrer besten Seite gezeigt. Sie waren ernstzunehmende Konkurrenz und zählten zum engen Favoritenkreis.
Cathrine Laudrup-Dufour erwischt nicht den glücklichsten Tag
Die Leichtigkeit, mit der das Paar, souverän den Grand Prix Special, trotz eines Fehlers in den Serienwechseln, für sich entschieden hatte, war heute nicht mehr so deutlich zu sehen. Die Stute brillierte weiterhin in Passagen und Piaffen, rutschte aber manchmal mit der Nase etwas hinter die Senkrechte. Choreografisch hatte Laudrup-Dufour sich allerdings einiges einfallen lassen, untermalt unter anderem von dem Titanic-Schmachtfetzen „My Heart will go on“ von Céline Dion. Am Ende wurde sie Fünfte (88,093), auch wegen eines Taktfehlers im starken Trab. Das dürfte sie enttäuscht haben. Und in der Tat hätte man sie auch gut auf dem vierten Platz sehen können.
Dinja van Liere (NED), Hermes und die Spice Girls
Dort landete die Niederländerin Dinja van Liere. Ihr Hermes ist ein Pferd, das vor allem zu piaffieren und zu passagieren versteht. Ihre Musikauswahl war umfassend. Lauter Songs, die man in einem Cabrio im Sommerurlaub gut mitsingen kann. Allen voran die Spice Girls, die die Piaaffen mit ihrem Stakkato, „So tell me what you want, what you really really want“ begleiteteten. Gleichmäßig und akzentuiert zeigte der Easy Game-Sohn die Piaffen und Passagen, aber im versammelten Trab und auch im starken Tempo wünschte man sich mehr Rückentätigkeit. Mit dieser Grundproblematik ist der niederländische Hengst nicht allein. Viele Pferde gingen gleichmäßige „Pi und Pa-Touren“, aber das reelle, losgelassene Schwingen, eine Bewegung, die aus engagierten Hinterbeinen über den Rücken, letztendlich vorne in einer weichen Anlehnung landet, hätte man sich noch häufiger gewünscht.
„Best of British“ und en petit peu Français
Weiterhin große Fortschritte macht der Hengst Glamourdale der britischen Weltmeisterin Charlotte Fry. Die Anlehnung ist gefälliger, die Silhouette des mächtigen Rappens insgesamt besser. Sein starker Galopp sorgte wieder für ein Raunen im Publikum. Die Piffen waren lebhafter und damit besser als noch im gestrigen Teamwettbewerb. Die Musikauswahl passte hervorragend. „Best of British“, ein Potpourri von bekannten Songs aus mehreren Jahrzehnten. Von den Beatles bis zu Genesis. Außerdem war nicht nur „God save the King“ zu vernehmen, sondern auch ein Ausschnitt auf der Marseillaise zu doppelten Galopppirouetten. Und als der Rappe zu dem Queen-Gassenhauer „Another one bites the dust“ zum Ende passagierte, da hatten viele schon den einzigen Fehler, einen kurz gesprungenen Einerwechsel vergessen. Aber auch ohne diesen technischen Fehler wäre das Paar nicht an Isabell Werth herangekommen. Bronze für die Britin (88,971).
Silber für Isabell Werth und Wendy in der Kür-Einzelentscheidung
Die Wettkampfqualitäten von Isabell Werth sind bereits jahrzehntelang beschrieben worden. Das ändert aber nichts an diesem Kampfwillen und der schier unglaublichen Fähigkeit, sich in dem Moment zu konzentrieren, in dem es ums Ganze geht. Heute war so ein Moment und Isabell Werth nutzte ihn.
Die Stute Wendy steht erst seit Januar 2024 in ihrem Stall. Nach dem die beiden die notwendigen Qualifikationspunkte für einen möglichen Olympiastart früh gesammelt hatten, ging es in Richtung Olympia. Zweimal hatte Isabell Werth die Kür, der sie heute ihre 14. Olympiamedaille verdankt, geritten. Einmal in Rotterdam im Nationenpreis, dann wenig später beim CHIO Aachen, wo sie siegte.
Musikalisch ist es eine Kür, die alle mitnimmt. „Stumblin in“, ein Klassiker aus den 1970er-Jahren, der zum mit Summen einlädt, wenn nicht mehr. Dann das Einsingen des Barry Manilow Megahits Mandy. Nur das eben von „Wendy“ gesungen wurde zum Abschluss des komplexen Programms.
Einmal funktionierte ein Einerwechsel nicht, aber ansonsten lief alles nicht nur nach Plan, sondern besser, als es sich Isabell Werth vielleicht selbst erträumt hätte. Die Souveränität, mit der die zehnjährige Stute, das gesamte Olympiaambiente – Stadion, 16.000 Zuschauer, Stimmung auf den Rängen wie bei einem Fußballspiel –, wegsteckt, ist beeindruckend.
Los Angeles 2028?
Ob sie mit Wendy, die die 2028 mit 14 Jahren im idealen Dressurpferdealter wäre, die Olympischen Spiele von Los Angeles anstrebt, wollte Isabell Werth noch nicht bestätigen. Aber ausschließen auch nicht. Fest steht, in den Piaffen hat die Stute sich nicht nur von Turnier zu Turnier, sondern tatsächlich von Prüfung zu Prüfung steigern können. In der Art und Weise, wie sie sie in Versailles zeigte, ist nicht mehr zu viel Luft nach oben, denn sie erzielten schon Höchstnoten. Und wenn die Stute dann noch etwas Kraft im Hinterbein bekommen hat, dann sind die 90 Prozent in Küren sicherlich nur noch eine Frage der Zeit.
Männer waren auch am Start
88,093 Prozent, Platz sechs, erzielte der Brite Carl Hester für seine Vorstellung auf dem niederländischen Hengst Fame. Seine neue Kür war nicht ganz so komplex wie andere Programme, die der Mannschafts-Olympiasieger von London schon einmal gezeigt hat. Der Bordeaux Sohn neigt dazu, mit der Nase hinter der Senkrechten zu sein, sprich etwas zu eng zu gehen. Fehler unterliefen dem Routinier nicht. Damit machten die Briten, die geschwächt durch die Vorfälle um Charlotte Dujardin angereist waren, deutlich, dass sie auch ohne diesen einzigen Superstar eine ernstzunehmende Dressurnation sind.
Der westfälische, Vitalis-Sohn Vayron, den der Däne Daniel Bachmann Andersen für das Dressurfinale hatte qualifizieren können, zeigte großes Schwingen in den Passagen, deutlich verbesserte Piaffen, und sichere Seitengänge. Der braune Wallach war das größte Pferd im Feld. Wenn er im Trab oder Galopp ins starke Tempo umschaltetete, dann wusste man, wie Schwungentfaltung aussehen soll. Filmmusik von Pearl Harbor, die eine gewisse Dramatik vermittelte, unterstützten den Ritt der beiden. Sie wurden Siebte (84,85).
Becky Moody (GBR) und Jagerbomb –was für ein Debüt!
Die dritte Britin in diesem Finale der Dressur Entscheidungen bei den Olympischen Spielen, Becky Moody, und der von ihr gezüchtete Jagerbomb, nahmen einen Teil des Namens zum musikalischen Grundprinzip. „Sex Bomb“ von Tom Jones ist ein Teil ihrer Kürmusik, wier auch die gesamte Musik von dem Walister stammt. Das machte Laune, erst recht, wenn von einer so ruhig sitzenden und dezent einwirkenden Reiterin gezeigt. Leider kam im versammelten Schritt Spannung auf, so dass das Paar an dieser Stelle Punkte liegen lassen musste (84,357/8.).
Skandinavien stark
Nicht ganz glücklich dürfte die Dritte im dänischen Team gewesen sein, Nanna Skodborg Merrald. Kleinere Fehler, vor allem in den Serienwechseln, drückten die technische Note. Andererseits zeigte der Oldenburger Zepter einige Piaffen, auch in der Variante als Pirouette, die nicht nur sehenswert, sondern beinahe unerreicht in diesem Olympiafinale waren (83,293/9.)
Die alterslose Cher war für die musikalische Begleitung von Total Hope verantwortlich. Der Totilas-Sohn, dessen Mutter keine geringere als Isabell Werth Weihegold ist, zeigte ein mit Schwierigkeiten gespicktes Programm, bei dem alles gut funktionierte. Als am Ende der Applaus aufbrandete, brachte das den Deckhengst ein bisschen durcheinander, so dass Isabell Freese, die Norwegerin in seinem Sattel, ein bisschen auf die Bremse treten musste. Aber auch dieses Paar wuchs in dieser Aufgabe noch einmal über sich selbst hinaus. Platz 10 mit 83,050 Prozent.
Nicht immer gleichmäßig, was das Hochschwingen des Vorderbeins anbelangt, und auch in Sachen Korrespondenz von Hinterbeinen und Vorderbeinen manchmal an der Grenze des Taktes, ist der beeindruckende Hengst Indian Rock. Emmelie Scholtens (NED) ritt den Niederländer zu orchestraler Musik, der eine gewisse Beliebigkeit beiwohnte. Auch wenn sie es zu vermeiden versuchte, rutschte ihr der Apache-Sohn immer wieder mit der Nase deutlich hinter die Senkrechte. Den spektakulären Möglichkeiten, die dieser Hengst gerade im Vorderbein mitbringt, waren die Richter aber erlegen. Zwei von ihnen, aus den USA und Großbritannien, sahen ihn in ihrem Ranking auf den Plätzen acht und neun. Mit 81,75 Prozent wurde er unterm Strich Elfter.
Knapp dahinter landete die Finnin Emma Kanerva, die schon in Deutschland lebt und reitet. Lange Zeit hat sie ihr Handwerk bei Reitmeister Hubertus Schmidt gelernt, mindestens ebenso lange ist sie nun selbstständig. Sie lebt im Norden, südlich der Elbe, in Stade. Mit dem 13-jährigen ZFDP-Hengst Greek Air präsentierte sie ein Pferd, das sie allein ausgebildet hat. Und für dessen harmonische Vorstellung, mit herausragenden Passagen, man sich vielleicht noch ein paar mehr Punkte als die 81,607 Prozent erhofft hätte, die sie auf Platz 12 landen ließen.
Direkt dahinter platzierte sich Frederic Wandres. Dessen Bluetooth sah heute wesentlich frischer aus als in der gestrigen Mannschaftsentscheidung. „Vergiss nicht, du bist Olympiasieger“, hatte ihm Bundestrainerin Monica Theodorescu noch mit auf den Weg gegeben. Das schien ihn zu beflügeln. Seine Kür zu Songs, die alle aus den 1980er-Jahren stammen, ritt er, so der Eindruck von der Tribüne aus, unbeschwert und konnte alle Stärken von Bluetooth ausspielen. Auch die Pirouetten, die in den letzten Prüfungen nicht immer ideal gelangen, funktionierten schon wieder besser. 81,35Prozent bedeutenden Platz 13 in diesem Finale, für den Mann vom Hof Kasselmann.
Die Ergebnisse der Olympia Kür 2024
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