So eine knappe Entscheidung wie beim Gold-Drama von Paris hat es im Olympia Dressurfinale noch nicht gegeben. Am Ende entschieden vier Punkte, dass Deutschland vor Dänemark und Großbritannien Gold gewonnen hat.
„Etwas Schnappatmung nach Jessis Ritt“ habe sie gehabt, so Bundestrainerin Monica Theodorescu. Da war Jessica von Bredow-Werndl gerade zehn Sekunden aus dem Viereck heraus. „Ich hab erst mal Sönke angeguckt, Sönke Rothenberger, weil der rechnet schnell“, sagt Theodorescu. „Könnte reichen, könnte reichen,“ habe der Reservist gesagt. „Also ja, das hat gereicht.“
Gold-Drama in der Dressur, nichts für schwache Nerven
Rechenkünste waren Trumpf bei diesem Olympischen Dressurfinale. Bei keiner Mannschaft lief es so rund, wie gewünscht. Gerechnet wurde schon ab dem zweiten Reiter. Denn nach dem ersten Durchgang der insgesamt 30 Starterinnen und Starter sah das Ranking so aus: Großbritannien, Dänemark, Deutschland. Dass die Britin Becky Moody mit dem selbstgezogenen Jagerbomb (76,489), die als Reserve nach dem Videoskandal von Charlotte Dujardin ins Team aufgerückt war, derart abliefern würde, hatte nicht jeder erwartet.
Jagerbomb – als Reservist durchgestartet
Tatsächlich gelang ihr mit dem Dante Weltino-Sohn ein Ritt, der durch Ruhe und Fehlerfreiheit überzeugte. Sie lag 17 Punkte vor dem Dänen Daniel Bachmann Andersen und 18 vor Frederic Wandres. Bachmann Andersens Vayron hatte stark begonnen und guckte sich etwas an einer Ecke fest, worunter die Galopptour litt (die ausführlichen Eindrücke können in unserem Liveticker nachgelesen werden). Frederic Wandres kämpfte mit der Rechtspirouette und landete einen Punkt hinter dem Dänen.
Isabell Werth – kommt Medaille Nummer acht?
Als alle zweiten Teamreiter durch waren, hatte sich das Blatt gewendet. Isabell Werth hatte mit Wendy einmal mehr gezeigt, dass sie immer dann am besten ist, wenn es eng wird. Die dänische Stute wirkte noch leichter in der Anlehnung, war konstant im Genick. Die letzte Linie mit Piaffen und Passagen zeigten: Wendy spielt in der Liga der beiden bisherigen First Ladies unterm Sattel von Isabell Werth, Bella Rose und Weihegold.
Beeindruckend, wie unbeeindruckt die Sezuan-Tochter auf das mit 15.000 Zuschauern besetzte Olympiastadion reagierte. Einen Fehler gab es bei den neun fliegenden Galoppwechseln von Sprung zu Sprung zwischen den beiden Pirouetten. Werth ärgerte sich über den Fehler ein wenig. Aber die Freude überwog. „Es ist natürlich immer noch mal ein bisschen Feinabstimmung, ich wollte einfach die Kontrolle behalten, es lief super bis dahin und ich glaube, es ist eine Kleinigkeit. Sie hat ganz viel wett gemacht mit allem anderen, überall sieht man die Weiterentwicklung und das weitere Zusammenfinden. Ich fand hier gerade auch Piaffen und Passagen, die ganze Galopptour, Pirouetten, wirklich super und die Kleinigkeit muss ich jetzt mal abschlucken.“ In der Endabrechnung sollte Werth zwei Punkte hinter Jessica von Bredow-Werndl liegen und sich über dreimal 10,0 im Protokoll freuen.
Carl Hester erwischt nicht den besten Tag
Für die Briten lief es bei Reiter Nummer zwei, Carl Hester, auch nicht ohne Fehler. Insgesamt ging sein Hengst Fame häufig zu eng im Hals. Das dezente Reiten, für das der Brite bekannt ist, konnte er in diesem Kampf um Gold von Paris nicht zeigen. Mit 76,52 Prozent landete er im GB-internen Ranking auf Rang drei. Insgesamt war es die siebtbeste Leistung.
Nachdem die Dänin Nanna Skodborg Merrald mit Zepter nach einer harmonischen Runde, bei der es nur am Ende der Zweierwechsel noch ein paar „Einer“ extra gab, 78,48 Prozent erzielt hatte, lag nun Deutschland vorn.
Glamourdale und „Lottie“ Fry halten Anschluss
Aber allen war klar: Cathrine Laudrup-Dufour und Freestyle würden noch kommen, der Champagner – den es sehr zur Enttäuschung von Isabell Werth selbst eine Stunde nach der Siegerehrung noch nicht gab – konnte noch nicht entkorkt werden. Und auch die Weltmeister von 2022, Charlotte Fry und Glamourdale, standen noch an.
Das Paar hatte schon in Aachen gezeigt, dass viele Schwächen verbessert sind. In den Piaffen fehlte es an Energie, in einer Passage parierte der Rappe einmal beinahe zum Schritt durch. Auf der letzten Schlusslinie drohte der Tank leer zu werden. Aber da lag der Galopp, 9,0 im starken Tempo, viele hohe Achternoten in den anderen Lektionen, schon auf dem Punktekonto. 79,483 Prozent bedeuteten auch „nur“ 13,5 Punkte weniger als Isabell Werth – nicht zu vergessen, dass es sieben Richterinnen und Richter bei Championaten gibt. Also durchschnittlich weniger als zwei Punkte pro Position am Viereck.
Was macht Cathrine Laudrup-Dufour? Sie liefert ab!
Aber dann: Cathrine Laudrup-Dufour, Freestyle, die zweitbesten des Grand Prix. Noch nicht lange ein Paar, aber zwei, die sich gesucht und gefunden haben. In der Harmonienote, der einzigen der ehemals einmal vier Schlussnoten, die es noch gibt, erzielte das Duo eine 8,86, die Tageshöchsnote in dieser Kategorie, gleichauf mit Isabell Werth.
Dufour ließ die Fidermark-Tochter Freestyle tanzen. Schaum tropfte aus dem Maul, das nicht immer geschlossen war. Allerdings wirkte es nie so, als würde die Stute mit ihrer Maulaktivität einer zu harten Zügelhilfe ausweichen. Auch die beiden kommen nicht makellos zum Schlussgruß. Einen kurz gesprungenen Einerwechsel und Momente im Galopp, in denen der glasklare Dreitakt der Stute nicht mehr ganz deutlich war, konnte Dänemarks stärkste Kombination aber mit Piaffen und Passagen mehr als kompensieren – 46-mal eine 9,0 und zweimal 10,0 sprechen für sich. 81,216 Prozent waren die Tagesbestleistung und das mit mehr als 40 Punkten Abstand auf die nachfolgende Reiterin. Und das war Jessica von Bredow-Werndl.
Es ging um jeden Punkt, so viel stand fest. 79,833 Prozent hätten den Gleichstand bedeutet. Eigentlich bei einem Paar, das mit über 83 Prozent im vergangenen Jahr in Riesenbeck Europameister im Grand Prix Special geworden ist, machbar. Zu Beginn der Aufgabe lagen die Bewertungen der Stuten nahezu gleichauf. Mal Vorteil Deutschland, mal Dänemark. Doch dann reagierte die Stute nicht auf die Piaffe-Hilfe aus dem versammelten Schritt. „Dalera hat sich nichtsdestotrotz hammermäßig angefühlt, das muss ich einfach sagen. Die war on Fire und trotzdem total konzentriert und da gab es einfach dieses riesengroße Missverständnis, das sehr teuer war, beim Übergang vom Schritt zur Piaffe. Das hat uns richtig weggehauen und dann ging es auf die Aufholjagd. Und ich bin sehr dankbar, dass uns das ziemlich gut gelungen ist.“
Im weiteren Verlauf hatten sich die beiden Olympiasiegerinnen von Tokio wiedergefunden. Aber rechts sah man immer wieder mal die Zunge der Trakehner Stute. Sie hing nie aus dem Maul, aber war mehrfach klar erkennbar. In solch einem Fall sind die Richterinnen und Richter gehalten, die Note für die jeweilige Lektion um 0,5 oder 1,0 Punkte zu reduzieren., Das ist teuer, sieben Richterpositionen, siehe oben, das kann schmerzen.
Weitere technische Fehler unterliefen dem Aubenhausen-Duo nicht mehr. 79,954 Prozent – 0,121 Prozent, zwei Punkte, Sieg im Gold-Drama.
Im Kiss and Cry-Corner war die Spannung kaum noch zu ertragen. Während Bundestrainerin Theodorescu sich auf Sönke Rothenbergers BWL-Kenntnisse verließ, hatten andere die Segel gestrichen. Frederic Wandres: „Isabell hat es gar nicht mehr ausgehalten vor Spannung. Sie musste rausgehen. Wir sind beim Halten und Grüßen rausgelaufen und haben uns schon eigentlich mit der Silbermedaille angefreundet, zumindest für 30 Sekunden. Bis dann der Jubel irgendwie aufkam.“ Jessica von Bredow-Werndl war sich auch nicht sicher, hatte aber auf der Anzeigentafel die 1 stehen gesehen. „Die beiden haben falsch gerechnet und sind schon vorher rausgegangen, weil sie dachten, es reicht nicht“.
Es hat gereicht. Vor allem für Isabell Werth. Sie hat nun Geschichte geschrieben. Mit acht Goldmedaillen ist sie die erfolgreichste deutsche Olympiasportlerin aller Zeiten. Und morgen steht die Kür an.… Ans Aufhören denkt Werth noch nicht, macht sie klar. „Das habe ich mir anders überlegt.“
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