Olympia-Teilnehmer 2024 im Porträt – Frederic Wandres. Was haben Niedersachsen und Florida gemeinsam? Beides sind Standorte des Teams Kasselmann, beide bieten Gelegenheit, junge Pferde in den Sport zu bringen, beide haben mehr Niederschlag als man denkt. Nur Alligatoren in der Reithalle sind in Niedersachsen eher selten anzutreffen, berichter Frederic Wandres. Er hat sich im Süden der USA auf die Olympischen Spiele in einer WG vorbereitet. Im März 2024 hat St.GEORG mit ihm darüber gesprochen.
Wir wollen die Geschichten über die Olympia-Teilnehmer 2024 wie Frederic Wandres erzählen. Wir haben die Olympiateilnehmer besucht, teilweise lange bevor sie gen Olympia Paris 2024 aufgebrochen sind.
In einer lockeren Serie stellen wir die vor, die hoffentlich aus Versailles als goldene Reiter zurückkommen.
Wellington – der Name der Stadt im County Palm Beach ist ein Synonym für Reitsport und für Geld, Olympiateilnehmer Frederic Wandres kennt sich hier gut aus. Seit 2011 wird hier nicht mehr nur Polo gespielt (die britische Königsfamilie hat hier auch schon den Schläger geschwungen) und gesprungen, sondern auch Dressur geritten. Ein Dressurstall, der hier seit Jahren regelmäßig vertreten ist, ist Stall Kasselmann. Nicht nur wegen des Wetters, der „Circuit“ in Wellington hat noch diverse andere Vorteile. Weltcup in Europa ist schön und gut, aber er ist – vom unwirtlichen Klima mal abgesehen – mit viel Herumreisen verbunden. In Wellington können Dressur- wie Springreiter ihre Pferde theoretisch zu den Turnierplätzen reiten, und die turnierfreien Tage verbringen sie auf ziemlich luxuriösen Anlagen, ohne dafür zwischen Hagen, Herning, Madrid, London, Göteborg usw. hin und her pendeln zu müssen. Außerdem finden sie in Wellington eine Infrastruktur, die ganz auf die Bedürfnisse der Pferde und ihrer Menschen zugeschnitten ist. „Was zuhause die Fahrradwege sind, sind hier Reitwege“, so Kaderreiter Frederic Wandres, Nummer sieben der Weltrangliste und Nummer eins im Stall Kasselmann. Wo die edlen Vierbeiner eine Straße überqueren müssen, stehen Warnschilder – für die Autofahrer, nicht für die Pferde, versteht sich. Die Pferde haben Vorfahrt.
Frederic Wandres‘ Reise vom Ländle in die Weltspitze
„Freddie“ hat es geschafft! Als Junge aus Baden-Württemberg hat er seine Ausbildung zum Perdewirt auf dem Hof Kasselmann absolviert. Stetig ging es dann, Schritt für Schritt, die Karriereleiter nach oben. Start bei der Weltmeisterschaft, der Europameisterschaft – Olympiateilnehmer! In einem Video ist der Weg des 37-Jährigen von Kehl über Hagen am Teutoburger Wald in die Weltspitze nachgezeichnet.
https://www.clipmyhorse.tv/de_DE/events/14497
Normalerweise sind in Wellington knapp 62.000 Menschen zuhause. Während der Turniersaison von Januar bis April sind es doppelt so viele. Die Gates, Jobs, Springsteens, Bloombergs, Sellecks & Co. residieren auf Anlagen, von denen Wandres sagt: „Was hier an Geld verbrannt wurde, ist der Wahnsinn! Da spielt Geld keine Rolle.“ Immobilienmakler können sich freuen. Hier liegen die Verkaufsargumente auf der Hand – Mama kann Dressurreiten, die Kinder in den Pony- und Junior-Jumper oder -Hunterklassen an den Start gehen, Papa kann Boot fahren. Was die Immobilienpreise angeht (zwischen 20 und 30 Millionen Dollar sollte man schon auszugeben bereit sein) – anders als in den übrigen Teilen des Landes – steigt der Wert der Grundstücke nicht mit der Nähe zum Wasser, sondern mit der Nähe zum Turnierplatz. In Wellington dreht sich alles ums Pferd.
Nationenpreis unter Palmen mit Olympia 2024 Teilnehmer Frederic Wandres
Unbegrenzte Möglichkeiten bieten auch die Turniere. Die Ausschreibungen ermöglichen es Spring- wie Dressurreitern, sowohl ihre besten Pferde auf die Saison vorzubereiten als auch Youngster an den Sport heranzuführen. Es gibt CDI und CSI auf Fünf-Sterne-Niveau, aber auch Prüfungen analog zu Deutschlands Nürnberger Burg-Pokal und Louisdor-Preis Serien bzw. kleinere Prüfungen für die Nachwuchsspringpferde. Von dem Angebot profitieren nicht nur Nachwuchspferde, sondern auch Nachwuchsreiter. Letztes Jahr hatte U25-Dressurreiterin Felicitas Hendricks in Wellington mit ihrem selbst ausgebildeten Drombusch ihr internationales Grand Prix-Niveau gegeben. Ein paar Monate später wurde sie Europameisterin ihrer Altersklasse. „Wellington hat mir sehr geholfen. Wenn man mal große Tour geritten ist, kommt einem die U25 Tour auf einmal gar nicht mehr so unerreichbar vor“, sagte sie damals. Hendricks hat in Wellington ebenso ihren ersten Nationenpreis geritten wie die einstige Junioren-Europameisterin Anna-Christina Abbelen und Lars Ligus. Die beiden gehören zusammen mit Frederic Wandres zum Team Kasselmann, das Wellington auch für die Betreuung der Kunden und den Handel nutzt.
Von wegen Urlaub!
Vor Weihnachten kam das Trio an und hat Heiligabend 2023 gemeinsam unter der Kunsttanne verbracht. Inzwischen ist es Anfang März. Wie es ist in Florida? „Viele denken, wir machen hier wirklich Urlaub, aber ich kann jedem sagen, natürlich, das Wetter ist schön und das Essen ist gut, aber ansonsten ist es alles andere als Urlaub! Es ist deutlich mehr Arbeit als zuhause. Wir sind komplett auf uns allein gestellt. Hufschmied, Tierarzt, Kunden, Videos schneiden, misten, sauber machen, füttern, zum Turnier fahren, nennen, organisieren, 300 Ballen Heu abladen – wir machen von A bis Z wirklich alles selbst“, sagt Olympiateilnehmer Frederic Wandres.
22 Pferde sind zu versorgen. Sie sind zu dritt plus einem Pfleger von zuhause und einer Mitarbeiterin im Stall. Und wenn sie Zeit haben, helfen auch Emma und Lilli Kasselmann, die mit ihrer Mutter ebenfalls den Winter in Wellington verbringen und hier auch zur Schule gehen. Der Tag beginnt früh, denn sobald die Sonne durchkommt, schnellt die Temperatur nach oben. „Um 11 Uhr haben wir die Pferde spätestens geritten“, so Wandres. Während sein Partner Lars, mit dem er sich das Häuschen auf der Anlage teilt (Anna hat ein Apartment in Wellington), bereits im Stall ist, erledigt er die Korrespondenz aus der Heimat, die ja zeitlich sechs Stunden voraus ist.
Ein Olympiateilnehmer mit Alligatoren-Erfahrung
Danach packt er mit an, bis es aufs erste Pferd geht oder er unterrichten muss. Geritten wird unter freiem Himmel – was dieses Jahr eine kleine Herausforderung ist, denn es ist ein Mythos, dass in Florida immer die Sonne scheint. Gerade im Januar gab es dieses Jahr tagelange Regenfälle, berichten die drei. Was blöd ist, wenn man kein Dach über dem Kopf hat zum Reiten, auch bei 20 Grad. Aber immerhin ist der Boden auf dem Reitplatz allwettertauglich. Und er scheint keine anziehende Wirkung auf die Alligatoren zu haben, von denen es in Wellington doch einige gibt. Schließlich war die Stadt einst Sumpfland.
Normalerweise bleiben die Echsen in ihrem angestammten Habitat, den Everglades, oder in den Entwässerungsgräben. Das war auch mal anders. „Früher waren wir auf einer Anlage in der Nähe der Everglades. Eines Tages lag ein Alligator in der Reithalle“, erzählt Wandres. Der sei dann von mit Besen ausgerüsteten Stallmitarbeitern hinauskomplimentiert worden. Alltag in Florida halt. Die Alligatoren sind übrigens einer der Gründe, weshalb das Team Kasselmann die neun Minuten zum Turnierplatz lieber mit dem LKW fährt, als hinüberzureiten oder zu führen, wie die Springreiter das machen. „Die sind da ein bisschen schmerzfreier.“ Normalerweise stehen Pferd und Mensch aber ja auch nicht auf dem Speiseplan der Reptilien.
Apropos Speiseplan – für dessen Ausgestaltung ist die Wellington-WG selbst verantwortlich. Wobei man sich abends oft in der Stadt trifft. „Zuhause ist es so, man kommt nach Hause und dann Tschüss. Hier will man abends nochmal raus – essen gehen, etwas trinken, man verabredet sich zuhause etc. Man nimmt mehr am sozialen Leben teil.“ Zumal die drei ja nicht die einzigen deutschen Dressurreiter in Wellington sind. „Wir sind hier eine richtig gute Truppe mit Christoph Koschel, Michael Klimke, Jennifer und Jürgen Hoffmann und noch ein paar anderen Deutschen.“ Das klingt nun irgendwie doch nach Urlaub, ist aber nur das Rahmenprogramm.
Stars und Sternchen
Für Olympiakaderreiter Frederic Wandres ist Wellington seit Jahren fester Bestandteil seiner Saisonplanung – hüben wie drüben, könnte man sagen. „Ich bin ein Mensch, wenn gewisse Abläufe funktionieren, dann versuche ich die gerne beizubehalten. Bluetooth ist jetzt zum dritten Mal mit dabei und Duke bleibt immer zu Hause. Das war von Anfang an so und ist mit Monica (Theodorescu, Bundestrainerin, Anm. d. Red.) immer so abgesprochen gewesen. Das hat immer gut geklappt. Duke kriegt zuhause sein Easy Peasy-Rennbahnprogramm. Der muss keine Tricks mehr lernen, der muss einfach nur bei Laune gehalten werden. Bluetooth ist aber vom Typ ein ganz anderes Pferd. Der will gearbeitet werden, und zumindest in den letzten Jahren waren wir auch noch in der Findungsphase. Jetzt ist das alles natürlich eine ganz andere Sache. Aber man muss auch nicht drumherum reden, dass Bluetooth im Fall der Fälle das Pferd ist, mit dem wir das im Sommer anpeilen.“
Olympiateilnehmer Wandres hat schon im Februar an Paris 2024 gedacht
„Das im Sommer“ sind natürlich die Olympischen Spiele in Paris. Anders als die Jahre zuvor, wo Wandres die Wochenenden in Wellington mit seinem EM-Silbermedaillengewinner regelmäßig genutzt hat, um am Finetuning in der Prüfung zu arbeiten, hatte Bluetooth dieses Jahr noch keinen einzigen Start. Jetzt gehe es darum, die „feinen Stellschrauben zu justieren“. Voraussichtlich wird es nur einen Start in Wellington für Bluetooth geben und das wird am Fünf-Sterne-Wochenende sein. Wandres: „Sonst wird der Sommer in Europa einfach zu hart, wo dann alles schnell hintereinanderkommt – Balve, Aachen, Paris. Dazwischen sind jeweils nur ca. zweieinhalb Wochen und jedes Mal drei Prüfungen. Das ist dann schon eine Menge und wir wollen ihn im Sommer auf dem Peak haben.“
Zwar sei Bluetooth in seinen Augen ein Pferd, das regelmäßige Turnierstarts brauche, aber da habe die Bundestrainerin ein Veto eingelegt. „Erst war der Gedanke, ob ich im Januar ein Turnier reite. Aber Monica meinte, nee nee, das lassen wir schön sein. Er hat ja letztes Jahr auch wirklich voll durchgezogen mit Aachen, Riesenbeck und zum Abschluss Lyon. Er war sehr konstant und wurde über den Sommer immer besser. Darum haben wir gesagt, jetzt bekommt er wirklich seine Pause!“
Über Wellington nach Versailles
Regelmäßig unterrichtet Bundestrainerin Theodorescu Wandres per Video aus der Ferne. Aber für den täglichen Bedarf ist Lars Ligus sein „Auge am Boden“. Man kennt Ligus vor allem als Pfleger an der Seite von Wandres‘ Pferden, aber er hat selbst das Goldene Reitabzeichen und ist inzwischen auch auf Grand Prix-Niveau unterwegs. „Ich vertraue ihm sehr“, sagt Wandres. „Wir sprechen eine Sprache. Ich weiß genau, wenn er sagt, es ist gut, dann ist es eine 8. Und er kann mir sagen, warum es eben nicht gut ist, nicht 8 ist.“
Umgekehrt sei das mit dem Unterrichten schon schwieriger, räumt Wandres ein. Ob das am Sender oder am Empfänger liegt? Die Zeigefinger von Anna Abbelen und Lars Ligus deuten prompt in Richtung Wandres. „Ja, ich weiß, es kommt da zu Störungen im Empfangsbereich. Keine Ahnung, auf jeden Fall wissen wir das auch und lachen immer darüber“, grinst er ein bisschen schief und verlegen.
Ansonsten arbeite er zuhause zum Teil auch mit Ulli Kasselmann zusammen. „Aber immer in Verbindung mit Monica. Es sind eigentlich diese drei Leute, die mich in den letzten Jahren dahin begleitet haben, wo ich jetzt bin.“ Unter anderem zu einer Mannschaftsbronzemedaille bei den Weltmeisterschaften 2022 und einer Silbermedaille mit dem Team bei der EM. Und dann? Duke of Britain ist 17, fit, aber eben kein Nachwuchspferd mehr. Bluetooth ist mit 14 Jahren auf dem Zenit. Was kommt danach?
Zukunftshoffnung
Wandres setzt auf den KWPN-Wallach Joy Game. Er ist zehnjährig, über Vater Devanto ein Hotline-Enkel mit Gribaldi auf der Mutterseite. So vielversprechend das Pedigree, so vielversprechend auch der erste Grand Prix mit Wandres in Wellington – gleich ein Sieg mit knapp 71 Prozent in der nationalen Tour und noch viel Luft nach oben. Ursprünglich war es Kasselmann-Bereiterin Nicole Wego-Engelmeyer, die Joy Game in den Sport gebracht hat. Seinen ersten Intermédiaire II-Einsatz hatte er unter Holga Finken. Aber Nicole Wego hatte so eine Ahnung, dass es zwischen Freddy Wandres und ihrem vierbeinigen Schützling gut funktionieren könnte.
Es scheint, als habe sie ihre Intuition nicht getäuscht. Frederic Wandres ist jedenfalls überzeugt von Joy Game: „Auf jeden Fall hat das Pferd sehr viel Perspektive und Potenzial, auch für Piaffe und die versammelten Lektionen insgesamt.“ Von seinem Glauben an dieses Pferd zeugt auch die Tatsache, dass Joy Game pünktlich zum Stichtag am 15. Januar 2024 bei der FEI als deutsches Pferd eingetragen wurde. Ja, und? Das war ein wichtiges Datum in der Pferdewelt. Denn bis dahin mussten alle potenziellen Olympiapferde die Nationalität angenommen haben, für die sie in Paris an den Start gehen sollen. Es lässt also tief blicken, was Wandres‘ Meinung über Joy Game angeht. Aber seine erste Wahl ist Bluetooth. Joy Game soll in Ruhe in den großen Sport hineinwachsen.
Manch einer mag denken, es sei ein Problem, als Spitzenreiter in einem Verkaufsstall zu arbeiten. Wandres sieht das nicht so. „Natürlich wird auch immer mal wieder ein Pferd verkauft. Aber man kommt auch immer wieder mit neuen Pferden in Berührung. Ich habe das Glück, dass nie eine große Lücke entsteht.“ Und er hat die Auswahl. Was ein Spitzenpferd seiner Meinung nach ausmacht? „Ich bin fest davon überzeugt, dass am Ende alles zwischen den Ohren passiert. Du kannst die stärksten Bewegungen bei einem Pferd haben, das nützt nichts, wenn sie es von ihrer Einstellung her nicht wollen. Duke ist beispielsweise auch nicht der größte Traber. Aber ich weiß, wenn es drauf ankommt, kann ich mich auf ihn verlassen und er versucht alles zu geben, was er hat. Wie viele Schlachten haben wir schon gegen Pferde gewonnen, die da lang traben für eine 10 und die Füße noch ein Stückchen höher reißen. Aber am Ende waren wir trotzdem vorn, weil der Hals da ist wo er sein soll, der Schritt, versammelter wie starker, geregelt ist und der seine Stärken in den Piaffen natürlich auch ausspielt. Es ist die Einstellung, der Wille, es mit einem machen zu wollen, die einen am Ende nach vorne bringen.“ Dann klappt’s auch mit den gelben Schleifen. Beziehungsweise mit den blauen. Denn in den USA sind die „Blue Ribbons“ die Auszeichnungen der Sieger.
Die jüngste blaue Schleife bis Drucklegung haben Wandres und Anna Abbelen für ihren Sieg im Nationenpreis bekommen. Mit ihnen galoppierten auf der Ehrenrunde zu Fuß Felicitas Hendricks und Michael Klimke. Es war der vierte Sieg für Deutschland in Folge. Da konnte man den Sport und das bereits erwähnte Sozialleben prima verbinden. Kasselmanns hatten zur Siegesfeier geladen und es waren nicht nur die Deutschen, die sich das nicht entgehen ließen. Auf dass es dieses Jahr noch mehr Siege zu feiern gibt …
Verfasserin dieses Textes über Olympia-Teilnehmerin 2024 Frederic Wandres ist Dominique Wehrmann. Erschienen ist er im St.GEORG 4/2024
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