Olympia Teilnehmer 2024 Jessica von Bredow-Werndl? Das klingt prosaisch, unvollständig. „Olympiasiegerin“ muss es korrekt heißen. Ein Titel für die Ewigkeit. Doch das Motto der heute zweifachen Mutter, die in Paris 2024 noch einmal Gold gewinnen möchte, „Klappe halten und reiten“, lässt keine Extravaganzen zu. Innerhalb von sechs Jahren wurde aus „Jessi und Dalera“ ein Mythos. Wir waren von Anfang an dabei.
Wir wollen die Geschichten über die Teilnehmer bei Olympia 2024 wie Jessica von Bredow-Werndl erzählen. Wir haben die Olympiateilnehmerinnen besucht, teilweise lange bevor sie gen Olympia 2024 in Paris aufgebrochen sind.
Heute kennt fast jeder „Dressurfit“ oder die „Aubenhausen Academy“ bzw. den „Aubenhausen Club“. Und Dalera und „Jessi“ sind weltweit ein Begriff. Im Frühjahr 2018 war das noch ganz anders. Aber vieles war in den Grundzügen schon angelegt.
In einer lockeren Serie stellen wir diejenigen vor, die hoffentlich von Olympia 2024 aus Versailles als goldene Reiter zurückkommen. Heute: Jessica von Bredow-Werndl.
Dalera setzt zur Piaffe an. Der Betrachter bekommt Gänsehaut, oder er hält zumindest kurz im Gespräch inne. Welche Reaktion auch immer kommt, es wird sie garantiert geben. Wie die Stute mit ihren knapp 1,80 Metern Stockmaß in der Hüfte abkippt. Dieses „Kleiner werden“, an dem man doch die Versammlung erkennt, wird erlebbar gemacht. Das kann niemanden kalt lassen. Es sei denn, er hat so gar keinen Sinn fürs Dressurreiten. (Anm. d. Red.: Zu diesem Zeitpunkt war Dalera erst wenige Grand Prixs gegangen, hatte im Winter das Finale des Louisdor Preis gewonnen. Als Olympia Teilnehmer wurden Jessica von Bredow-Werndl und Dalera damals noch nicht gehandelt).
„Keine Hilfen gesehen“ – Sitz: 10
Dann Passage! Man mag das Wort „Übergang“, das im Protokoll der Grand Prix-Prüfungen steht – und für das es eine extra Wertnote gibt – in Frage stellen. Es ist ein Hinübergleiten von der Bewegung auf der Stelle in die Erhabenheit. Jessica von Bredow-Werndl sitzt auf der großrahmigen Trakehner Stute. Alles sieht mühelos aus. „Dalera verdanke ich meine erste Zehn im Sitz“, sagt die Reiterin. Das war in München, drei Wochen vor den Deutschen Meisterschaften (Anm. d. Red. 2018). Und die Richterin war Dr. Evi Eisenhardt. Für überschwängliches Herumwerfen mit Noten ist die Medizinerin nicht bekannt. Schon gar nicht mit Zehnen. Die Idealnote vergibt sie mit Bedacht. „Ich habe keine Hilfen gesehen“, so Eisenhardt, die auch Mitglied im Dressurausschuss des Deutschen Olympiadekomitees für Reiterei (DOKR) ist. Dem Gremium also, das über die Nominierung der deutschen Championatsmannschaften befindet.
Piaffen im Paradies der Olympiateilnehmerinnen
Dalera kann beides: Zufrieden abschnauben, allen Bemühungen, ihre Ohren fotogen zu spitzen, mit der Arroganz einer Diva eine Absage erteilen und im nächsten Moment einen Bocksprung machen. Da war etwas! Den großen braunen Augen von Dalera entgeht nichts. Auch wenn sie, ganz Dame, im nächsten Moment einen Blick aufsetzt, der irgendwo zwischen Vamp und „habt doch Mitleid mit den Menschen, sie können ja nichts für ihre Einfältigkeit“ liegt. So schreitet sie dann entspannt an dem kleinen Birkenhain am Fuße hoch eingezäunter Koppeln entlang.
Von hinten grüßen die Alpen – so schön ist Oberbayern. Kollegin Zaire steht dort und grast. Dalera geht gemessenen Schrittes weiter. Fotograf Jacques Toffi kniet sich ins noch morgendlich feuchte Gras. „Soll er doch“, scheint Dalera zu denken. Zeit für die Piaffe. Jessi von Bredow-Werndl, die „Tschessi“, wie der Bayer es korrekt ausspricht, nimmt die Zügel auf. Ein leises aufforderndes Schnalzen, mehr ist nicht wahrzunehmen und aus der schlendernden Dame wird im Sekundenbruchteil eine Athletin, eine Tänzerin.
Wie viele der Pferde, die Jessi reitet, gehört Dalera BB, so der offizielle Turniername, Beatrice Bürchler-Keller. Die Schweizerin, früher internationale Richterin, in deren Besitz auch Unee steht, der Rapphengst, mit dem Jessi sich fünf Jahre in Folge für das Weltcup-Finale qualifizieren konnte, hat die Easy Game-Tochter als junges Pferd erworben. Zunächst stand die Stute noch in der Schweiz. Mit den fliegenden Galoppwechseln gab es Probleme. Achtjährig wechselte die Stute nach Aubenhausen, ins „Home of the Dressage Horse“, unter der die Anlage der Werndls firmiert. Es ist ein Kleinod – oder muss es anhand von 50 Pferden, die in unterschiedlichen Stalltrakten dort beheimatet sind, eher „Großod“ heißen? Große Reitplätze, eine Halle mit Glasfront, die den Blick über die Alpen schweifen lässt, Koppeln, Paddocks, Rennbahn, Führanlage, Aquatrainer. Alles wird modernsten Anforderungen gerecht, fügt sich in die Landschaft ein. Aubenhausen ist gewachsen.
#teamaubi
Jessi hat Marketing und Kommunikation studiert, ihr zwei Jahre älterer Bruder Benjamin Wirtschaft. Parallel haben sie immer geritten. Stefan Münch war lange Zeit der Trainer der Geschwister, dann Isabell Werth. Der Sprung aus dem Nachwuchslager war kein einfacher, zumal stets der Ehrgeiz bestand, keine „fertigen“ Pferde zu kaufen, sondern sie selbst auszubilden. Das Projekt „HOME of the DRESSAGE HORSE“. Ein Ausbildungszentrum mit einer Mission. Präsent im Spitzensport, um vorzuleben, dass eine Ausbildung, die auf der Liebe zum Pferd und der Achtung vor der Kreatur basiert, durchaus zu Höchstleistungen in der Lage ist. Seit 2011 ist Co-Bundestrainer Jonny Hilberath der Mann, der vom Boden den beiden hilft. Außerdem noch Morthen Thomsen und Andreas Hausberger aus Wien. Und selbstverständlich unterstützen sich die Geschwister gegenseitig. In der, wenn auch kurzen, Babypause 2017 hatte Jessi Zeit, „ihre“ Pferde auch einmal von unten zu sehen. Auch so etwas schult.
Benjamin ist der Geschäftsmann. Er kennt die Zahlen, die Kosten, die „#teamaubi“, so der Hashtag unter dem die neue Idee der Werndls firmiert, monatlich erwirtschaften muss. Immer pro Pferd – das kostet. Permanent werden Pferde auf Koppeln gebracht und wieder hereingeholt. Es wird geritten, geführt, longiert. Der Faktor Mensch ist wichtig. Und teuer.
2018 in den Startlöchern, 2021 Olympiasieg: Jessica Bredow-Werndl und Dalera
Als diese Reportage entstand, war Jessica von Bredow-Werndl eine mehrfache Weltcup-Finalistin und Dalera ein aufstrebendes Nachwuchspferd. 2018 schafften sie es einige Monate nach dieser Reportage zu den Weltreiterspielen nach Tryon. 2019 dann der Start bei den Europameisterschaften mit dem berühmten „Shit happens-Moment“ in Rotterdam. Nach dem Kürfinale, das die Olympia Teilnehmer Jessica von Bredow-Werndl und Dalera mit der Bronzemedaille abschlossen, sprachen viele von dem deutschen Paar. Dann kam Corona und dann Tokio. 2021 wurde das Paar Olympiasieger, gewann dann 2022 das Weltcup-Finale. An der Weltmeisterschaft konnte Jessi nicht teilnehmen – sie bekam zeitgleich ihr zweites Kind, die Tochter Ella. 2023 siegte sie erneut im Weltcupfinale und wurde Europameisterin.
Spätestens seit der Deutschen Meisterschaft, bei der Jessica und Dalera für das Aachen-Team nominiert wurden und Bronze in der Kür gewannen, ist Team Aubi noch einen Schritt weiter. Der Traum vom WM-Start ist zum Greifen nahe gerückt. „Da halte ich meiner Schwester den Rücken frei“, sagt Benjamin. Beide sind Teamplayer, schon ihre Eltern waren auf Skiern und im Segelboot in der Nationalmannschaft. Und Team heißt auch: Jeder packt mit an. So wie Nachwuchsreiter Raphael, „Raphi“, Netz, der mit 19 Jahren schon sein Goldenes Reitabzeichen hat. Kollegin Julia Hamberger hat gerade vier S-Dressuren in Folge gewonnen. In Aubenhausen wird ausgebildet, auch wenn Benjamin und Jessica keine Berufsausbilder sind. Benjamin ist allerdings in der Trainerakademie des Deutschen Olympiade Komitees für Reiterei (DOKR) aufgenommen. Als Patin begleitet ihn Bundestrainerin Monica Theodorescu. Raphi konnte schon in den Grand Prix Sport hineinschnuppern. So versteht sich das Team Aubi. In der Gemeinschaft stark.
Carl Hester zählt zu denjenigen, denen Benjamin Werndl gern über die Schulter schaut. Er selbst jettet aber auch eben mal nach Südostasien, weil ein Schüler dort Qualifikation zu den Asian Games reitet. Und gewinnt. Bücher über Sportler hat er früher verschlungen. Auch eines von Tennislegende André Agassi. Dessen Credo lautet, grob vereinfacht, den Schüler zusammenzufalten nach allen Regeln der Kunst. „Benni hatte plötzlich einen forschen Ton. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah“, so die spätere Olympiaisegerin. „Wir haben dann beide schnell festgestellt, dass das nicht so funktioniert bei uns“, grinsen beide.
Yoga + Turnmatte + Jessi = besser reiten
Einmal in der Woche steht Teamsport auf dem Programm. Jessica macht zusätzlich Yoga. Ihre Mutter Micaela ist Spezialistin dafür. Yoga ist bekanntlich nicht nur gut für den Körper, sondern auch für die Seele. Yoga, vor allem aber ihr Sohn Moritz, hätten ihr Reiten noch einmal verbessert, sagt Jessica. „Wenn du beim Abreiten dein gesundes Kind siehst, weißt du, was wirklich zählt.“ Dass sie nicht nur davon spricht, sondern es auch tut, können ihre mehr als 160.000 Fans auf Facebook und 92.000 auf Instagram nahezu im Stundentakt live miterleben. Ihre Idee vom Umgang mit dem Pferd im Spitzensport soll über die Grenzen Oberbayerns hinaus Schule machen. „Wir wollen die Leute inspirieren“, sagt Benjamin Werndl.
Er wie auch der Rest des Teams muss wöchentlich einmal auf die Matte. Joggen, Dehnungsübungen und mehr – längst schon werden Turniere nicht mehr nur in Reithosen gewonnen. Noch etwas hat der Reiter von anderen Sportlern gelernt, den Umgang mit Niederlagen. Sie wegzustecken. Nach den Erfolgen im Nachwuchslager war erstmal Schluss. „Da sind wir durch ein Tal gegangen, aber das ist nicht schlimm für uns.“ Jetzt wüssten sie, wie dankbar sie sein können, weil sie so viele tolle Pferde hätten.
Olympia Teilnehmer Jessica v. Bredow-Werndl? Olympiasiegerin Jessi (2021)!
Benjamin strahlt, wenn er von dem Talent für Piaffen und Passagen von Famoso spricht. Der gehört, wie viele Pferde, die Benjamin reitet, Flora Keller, der Halbschwester von Beatrice. Sie ist auch Besitzerin von Benjamins aktueller Nummer eins, Daily Mirror. Das heißt aber nicht, dass Jessica ausschließlich Pferde von Beatrice und Benjamin die von Flora reitet. Teamwork ist auch hier das Stichwort. Micaela Werndl sagt, sie sei jetzt wohl „hauptberuflich Turnier-Oma“ – Team Aubi halt.
Die Plätze drei, vier und fünf bei der Deutschen Meisterschaft. Dalera und Jessi im Team für Aachen – da vergisst man beinahe schon Zaire. Die drahtige Stute hat schon Weltcup-Prüfungen mit mehr als 80 Prozent bestritten. In jeder anderen Nation wäre sie damit der Superstar. Der ist sie auch. Einer unter mehreren. „Dass sie, die immer etwas ängstlich war, nun so verlässlich geworden ist, weil sie mir jetzt auch im Prüfungsviereck voll vertraut“, sei für sie ein „Geschenk“, sagt Jessica über die elegante Stute. Sohnemann Moritz, elf Monate alt, meldet sich. Mama ist zur Stelle. „Nach der Flutlichtkür in Wiesbaden mit Unee bin ich morgens ganz früh nach Hause gefahren“, erzählt sie. „Es war das erste Mal, dass Moritz nicht dabei war. Ich habe ihn so vermisst.“ Morgens waren Mutter und Sohn wiedervereint. Da schien schon die Sonne auf den Weiher und im Stall wurde Heu verteilt.
Sollte es mit der Nominierung für die WM klappen, dann wird Moritz wohl gen USA fliegen. Und Team Aubi drückt Dalera und Jessi aus der Ferne die Daumen.
Verfasst hat diesen Text über Olympia Teilnehmer 2024 Jessica von Bredow-Werndl Jan Tönjes. Erschienen ist er im St.GEORG 7/2018.
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