Studie zeigt: Blick der Richter in der Dressur vor allem auf Vorderbeine gerichtet

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Analyse: Auf welchem Bereich ruht der Blick der Richter bei einer Dressur am intensivsten? Eine Studie hat das jetzt aufgezeigt. (© Van Hall Larenstein University of Applied Sciences)

Wohin schauen die Augen der Richter beim Dressurreiten? Das haben Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Inga Wolframm, Professorin für Nachhaltigen Pferdesport an der Van Hall Larenstein University of Applied Sciences in den Niederlanden untersucht. Unterstützt wurden sie dabei von Tobii Eye Tracking Technology. Das Ergebnis zeigt: Hinterbeine? Eher unwichtig!

„Ich sehe was, was du nicht siehst – und das ist … das Hinterbein.“ Worauf geht der Blick der Richter in der Dressur am häufigsten? Nach vorn. Da, wo die Beine so schön hochgeschmissen werden. Und wo auch Hals und Genick des Pferdes sich befinden. Das zeigen neue Erkenntnisse darüber, wohin Dressurrichter ihre Aufmerksamkeit bei der Bewertung von Pferd-Reiter-Kombinationen am stärksten richten. Insgesamt konzentrieren sich Richter demnach mehr auf den vorderen Teil des Pferdes als auf dessen hinteren, die Füße oder den Reiter. Bei den Bewegungen im Trab und im Galopp schenkten Richter auf fortgeschrittenem Niveau den Füßen des Pferdes vergleichsweise mehr Aufmerksamkeit. Richter, die Pferd-Reiter-Kombinationen auf Basis-Niveau des Sports beurteilen, konzentrieren sich vergleichsweise mehr auf den Sitz des Reiters.

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Eye-Tracking-Technologie: Dressur – Richter-Blick unter der Lupe

In dieser Studie wurden die visuellen Suchmuster und die anschließenden Entscheidungsprozesse von Dressurrichtern mit Hilfe moderner Eye-Tracking-Technologie untersucht. Zwei Gruppen von Dressurrichtern auf hohem und niedrigem Niveau wurden gebeten, eine Reihe von Dressurlektionen anhand von Videoaufnahmen zu bewerten. Parallel dazu wurden ihre Augenbewegungen mit der Tobii Fusion Eyetracker-Technologie aufgezeichnet.

Blicke von 20 Richtern wurden in der Dressur analysiert

Die Untersuchungen an 20 Richtern wurden für die Arbeit herangezogen. Elf waren auf Basisniveau plus neun Grand Prix-Richter. Konkret berechneten die Forscher, wie lange und wie oft die Richter auf die verschiedenen Aspekte der Pferd-Reiter-Kombinationen „fixierten“. Während einer dieser Fixation genannten Momente konzentrieren sich die Augen lange auf einen bestimmten Bereich. Damit kann das Gehirn die betrachtete Detailinformation tatsächlich verarbeiten. Fixierungen bieten daher eine nützliche Methode, um Rückschlüsse auf kognitive Prozesse und Aufmerksamkeit zu ziehen.  Sprich sie geben Aufschluss darüber, wie der Richter oder die Richterin Dinge wahrnehmen. Es wird gemessen, wie lange der Blick auf einem bestimmten Punkt verhaarte und wie kurz der Zeitraum war zur nächsten Fixation.

Diese Technik ist schon bei verschiedenen Sportarten zum Einsatz gekommen. So wurde beispielsweise mittels Eye-Tracking betrachtet, wie Fußballspieler das Fußballfeld im Verlaufe des Spiels „abscannen“. Auch bei Schützen wurde untersucht, wie sie das Ziel auf der Zielscheibe anvisieren.

(Ein)-Blicke in das Dressur-Richten

Die Bereich, auf denen die Blicke der Richterinnen und Richter länger ruhten, konnten in vier Segmente aufgeteilt werden. Die Hinterhand, die Vorhand, der Reiter und die Füße des Pferdes.

Beim Richten in der Dressur handelt es sich immer um ein subjektives Urteil. Eye-Tracking ist auch schon in der Analyse anderer Sportarten mit ähnlicher Thematik zum Einsatz gekommen. So wurden beispielsweise die Blicke der Richter beim Bodenturnen untersucht. Hierbei zeigte sich, dass bei erfahrenen Richterinnen und Richtern häufiger  Fixationen innerhalb eines Zeitraums festgestellt wurden als bei weniger erfahrenen. Dabei konzentrierten sich die erfahrenen Juroren stärker auf ein Detail, etwa die Haltung eines Körperteils.

Professorin Inga Wolframm erläutert: „Das Richten von Dressurprüfungen ist kognitiv sehr anspruchsvoll. Pro Lektion haben die Richter nur eine begrenzte Zeit, um eine Pferd-Reiter-Kombination zu beurteilen. Das bedeutet, dass die Richter ihre eigenen strategischen visuellen Suchmuster entwickeln müssen. Diese konzentrieren sich auf die Aspekte, die sie bei der Beurteilung von Pferd-Reiter-Kombinationen für wesentlich halten. Wir konnten zwar übergreifende Muster des visuellen Suchverhaltens erkennen, aber auch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Richtern feststellen“.

Das Problem der vermeintlichen Objektivität

Bereits in früheren Forschungen hatten Forschende unter der Leitung von Prof. Inga Wolframm die Herausforderungen, die das Richten von Dressurprüfungen mit sich bringen, untersucht. Dabei kam, grob zusammengefasst, heraus: Die Beurteilung einer Lektion in Bezug auf deren technische Ausführung plus das Checken, ob und zu welchem Grad die Forderungen der Skala der Ausbildung dabei erfüllt werden, überfordert das menschliche Gehirn schlicht und einfach. Deswegen baut sich das Hirn das, was die Forschung als kognitive Shortcuts bezeichnet. Um es etwas unwissenschaftlich auszudrücken: Gewisse Aspekte werden quasi ausgeblendet, weil das Hirn sie aus seinem Erfahrungsschatz heraus als zu vernachlässigen einordnet.

Anhand einer ausführlichen Studie, deren Grundlage 510 internationale Prüfungsprotokolle von sieben verschiedenen Richterinnen und Richtern der höchsten Kategorie, also 5*-Richter, waren, konnte nachgewiesen werden, dass systematische Fehler und Voreingenommenheiten („Biases“) – von der Nationalität des Reiters, bis zur Position in der Weltrangliste – stattfinden. Unbewusst, aber bei jedem Blick der Richter in jeder Dressur.

Weitere Forschung

Basierend auf den Erkenntnissen der neuen Untersuchung mit der Eye-Tracking Technologie wollen die Forschenden in den kommenden Monaten weitere Untersuchungen anstellen. „In einer Zeit, in der das Wohlergehen von Pferden und die Transparenz im Sport immer wichtiger werden, müssen wir wissen, worauf die Richter auf den verschiedenen Ebenen des Sports achten“, betont Prof. Wolframm.

Dr. Peter Reuter, von der Firma Tobii und außerordentlicher Professor an der VHL: „Eye-Tracking kann zur Entwicklung von Ausbildungsinstrumenten und Trainingsprogrammen für Dressurrichter beitragen. Durch die Identifizierung der visuellen Hinweise und Muster, die mit einem effektiven Richten verbunden sind, kann Lehrmaterial entwickelt werden, um die Beobachtungsfähigkeiten und die Entscheidungsgenauigkeit der Richter zu verbessern.“

Das vollständige Manuskript der Studie, an der Inga Wolframm (VHL), Peter Reuter (Tobii und VHL), Iulia Zaharia (VHL) und Johannes Vernooij (Universität Utrecht) mitgewirkt haben, ist hier zu finden.

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

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