Weltspitze Kopf an Kopf in der Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen, von Bredow-Werndl siegt

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CHIO AACHEN 2023

Abklatschen mit der Bundestrainerin. Jessica von Bredow-Werndl und Dalera sind die Sieger des Großen Dressurpreises von Aachen 2023. (© Pauline von Hardenberg)

Die Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen setzte Maßstäbe. Und sie erweckt Vorfreude auf die Europameisterschaft in Riesenbeck Anfang September 2023.

Zehn Kombinationen wurden in der Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen mit über 80 Prozent bewertet. In der Spitze war es ganz eng, was die Leistung anbelangt. Glücklicherweise nicht in Bezug auf die Anlehnung. Die war bei fast allen Paaren so, wie man sie sich wünscht. Diese Kür war nicht nur Weltklasse, sie baut schon jetzt Spannung auf, wie es bei den Europameisterschaften in Riesenbeck ausgehen wird. Dass Deutschland, Dänemark und Großbritannien um den Mannschaftssieg konkurrieren werden, ist klar. Ausgang? Spannend, das kann man schon jetzt so sagen. In der Einzelwertung in Aachen hat Jessica von Bredow-Werndl den Atem zweier Konkurrentinnen im Nacken gespürt. Beide setzen auf das Konzept, das Bundestrainerin Monica Theodorescu lebt: Schönes reiten. Davon sah man viel in Aachen.

Jessica von Bredow-Werndl und Dalera

Das Paar zeigte die Edith Piaf-Kür ­– zwei Weltcupfinals hat sie damit schon gewonnen, zuletzt die Deutschen Meisterschaften in Balve. Stets über 90 Prozent hat das Paar dabei bekommen. Die Musik: „Non, je ne regrette rien“ von Edith Piaf für die Trabtour, Passagen und Piaffen. Auch „I love Paris in the spring time“ von Cole Porter (im Deutschen: „Ganz Paris träumt von der Liebe“) ist dabei. Wieder hebt die Stute beim Gruß das rechte Hinterbein – Platz 14 in der Zwischenwertung. Aber: für Auftakt- und Schlussgruß gibt es eine Note. Und am Ende stand Dalera wie ein Baum.

Pauline von Hardenberg

Jessica von Bredow-Werndl und Dalera tanzen durch ihre Kür beim CHIO Aachen 2023. (© Pauline von Hardenberg)

Vieles gelingt dem Paar heute besonders gut. Der Übergang aus dem starken Trab in die Piaffe-Pirouette – einzigartig, sicher und geschmeidig. Es ist diese besondere Selbstverständlichkeit, die das Paar ausmacht. Der Schritt, im versammelten wie im starken Tempo (zu „La vie enrose“ ) gelingt gut. „Daran habe ich gearbeitet“, verrät die Siegerin. Aus dem Schritt geht es direkt in die Galopptraversale nach rechts. Im Galopp schmettert Edith Piaf „Padam, padam” und „Jessi“ und „Queen Dalera“ scheppern über die Diagonale, starker Galopp im Vorwärts, maximales Risiko. Nach einer sanften Zurückführung dann Galopppirouetten – auf kleinstem Kreis springt die Trakehner Stute um das innere Hinterbein. Sie ist genauso aktiv im Abfußen, wie die großen Gelenke der Hinterhand gebeugt sind. Versammlung at its very best!

Die klassische Reitlehre – sie hat halt doch immer recht.

Am Ende ist es weniger ein Traversieren als vielmehr ein Seitwärts-Gleiten: Passage-Traversale-Piaffe-Passage-Traversale. Halten, Gruß. Riesenjubel bricht aus den Menschen im Dressurstadion. Das zwölfte Mal in Folge, das elfte Mal in einem internationalen Wettbewerb, erzielen die beiden eine Bewertung in der Kür über 90 Prozent.

„Ich war sehr emotional, sie gibt ihr ganzes Herz für mich“, sagt Jessica von Bredow-Werndl in der abschließenden Pressekonferenz und ihre Stimme bricht. „Ich gebe mir selbst so viel Druck und sie hört zu“. Dass alles immer so leicht aussehe, sei vor allem eine Konzentrationsleistung. „Ich muss im Hier und Jetzt sein, wenn ich einmal an etwas anderes denke, kommt der Fehler. Gestern habe ich die falschen Entscheidungen getroffen“, kommentiert von Bredow-Werndl den gestrigen Grand Prix Special. Ihr Schluchzen klingt wie eine Entschuldigung bei Dalera. 32 Mal steht heute eine Zehn im Protokoll des Siegerpaares.

90,820 Prozent – Sieg! Bis zur Europameisterschaft hat Dalera jetzt Pause. Ausreiten, „durch den Wald galoppieren“ stehen nun auf dem Programm. „Sie kann ja alles“.

Nanna Skodborg Merrald (DEN) und Zepter

Eine Pianoversion von „Time to say goodbye”, dem berühmten Henry Maske Song des blinden Tenors Andrea Bocelli ist in verschiedenen Tempi und mal mit viel Instrumenten, mal mit wenigen, die durchgängige Musik für den riesengroßen Oldenburger und seine dezent einwirkende dänische Reiterin.

Pauline von Hardenberg

Nanna Skodborg Merrald und Zepter in der Grand Prix Kür des CHIO Aachen 2023. (© Pauline von Hardenberg)

Es ist eine Kür zum genau Hinsehen: Starker Trab mit Übergang in den versammelten Schritt, das geht nur mit einem durchlässigen Pferd. Unfassbar, wie sich das Pferd verändert hat im Gegenteil zu den Vorstellungen unter dem Schweden Patrik Kittel noch vor zwei Jahren. Jetzt: alles locker, alles durch den Körper und in Balance – die Piaffe genauso wie die Galopppirouetten und die fliegenden Galoppwechsel, die von dezentem Piano untermalt werden.

Es ist eine Kür ohne Effekthascherei und das macht diese Kür zu einer großartigen Vorstellung. Sie besticht durch die Harmonie zwischen Reiterin und Pferd. Zum Abschluss darf Andrea Bocelli dann endlich singen, „Time to say goodbye“, dazu Übergang vom starken Trab in eine Piaffe und eine Fächerpirouette. Einklang von Pferd und Reiterin zu jedem Moment werden von den Richtern mit durchschnittlich 9,5 beurteilt.

Die Weltcup-Zweite sagt, sie habe keinen Podiumsplatz erwartet. „Ich wollte zeigen, dass wir uns entwickelt haben. Zepter ist speziell, weil er immer das Beste macht, der lässt dich niemals hängen. Im Special, der bislang beste Ritt meiner Karriere, wie ich finde, da war er immer noch relaxed und zufrieden, dabei konnte ich nach immer mehr fragen und er macht es“. Eine Hausaufgabe hat sie jetzt bis zu den Europameisterschaften: „Ich muss herausbekommen, wie viel er geben kann, aber immer im Hinterkopf haben, dass ich nicht zu viel mache. Hier in Aachen habe ich neue Knöpfe gefunden, da ist noch mehr drin“. 88,73 Prozent – Platz zwei

Charlotte Dujardin (GBR) und Imhotep

Nach einem grandiosen Grand Prix Special und Siegen in der kleinen Tour mit der Stute Kizmet, kommt die Britin zu ihrem letzten Start zur Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen in diesem Jahr ins Viereck „How to tame a dragon“ („Drachen zähmen leicht gemacht“, Filmmusik aus dem Zeichentrickfilm der Disney Studios) – das ist die Kür des unvergessenen Valegro mit dem Wechsel von zarten Tin Whistle-Flötentönen und großem Orchester. Sie gestalten den Auftakt zu Traversalen in versammelten Trab und in der Passage. Immer mal wieder streut Dujardin Piaffen ein, alles immer im selben Zweitakt, als würde ein Metronom darüber wachen, dass versammelter und starker Trab und Passagen nicht voneinander abweichen im Takt.

Pauline von Hardenberg

Grand Prix Kür beim CHIO Aachen 2023: Charlotte Dujardin und Imhotep. (© Pauline von Hardenberg)

Auch im Galopp ist es  ein Wechsel von Momenten, in denen es dynamisch vorwärts geht und danach sofort super versammelt in Pirouetten und Traversalen. Alle Serienwechsel gelingen sicher mit viel Ausdruck. Nur die letzte Piaffe-Pirouette, 360-Grad-Wendung mit zusätzlichem Richtungswechsel (!) ist in der Einleitung nicht ganz sicher – bei einem zehnjährigen Pferd, das gerade die dritte Grand Prix Kür seines Lebens geht, ein verzeihlicher Wackler. Und geübt hat sie diese Kür nicht. „Er ist zehn, hier in Aachen gehr er drei Prüfungen, das kostet Kraft, da kann man nicht noch Dinge üben.“

Das Programm berührt die Britin, die vor wenigen Monaten Mutter geworden ist. „Es ist die Musik, zu der ich den Weltrekord bei Olympia (dem Weihnachtsturnier in London) geritten habe. Das habe ich beim Reiten schon vor Augen“. Imhotep erstaune sie immer wieder. „Ich meine, dies war seine dritte Kür seines Lebens. Die erste ist er bei der Weltmeisterschaft in Herning gegangen. Dann hatten wir eine kleine Übungsrunde in Windsor, dafür hatte ich die Choreographie noch leichter gemacht. Hier ist er das Programm wie Valegro gegangen.“ Für die Europameisterschaft verspricht die Britin eine neue Musik, welche steht noch nicht fest. Am Programm wird noch gearbeitet.

Vorher geht Imhotep erstmal nach Hause nach England. Dort lebt er auf der Weide mit einem Kumpel, Tag und Nacht, bei Wind und Wetter. „So geht es ihm am besten“, sagt die Olympiasiegerin. 88,415 Prozent, Platz drei.

Charlotte Fry (GBR) und Everdale

„Higher Love“ (einst Whitney Houston, heute in der Mixversion mit Kygo populär) passt gut zur dynamischen Art des Rapphengstes sich zu bewegen. Die Traversalen sind schwungvoll und weit ausgreifend. Im starken Trab ist die Nase an der Senkrechten, den Ganaschenwinkel wünschte man sich dennoch offener.

Rihannas „Diamonds “ zum Galopp. Alle Serienwechsel sind frisch im Vorwärts angelegt, sie sind groß und gerade. Aus der die Galopptour abschließenden Zick-Zack-Traversale soll es direkt in die Piaffe-Pirouette gehen. Da ist der niederländische Hengst, Vater des Drittplatzierten Imhotep, für einen Moment irritiert. Schnell findet das Paar aber wieder zueinander. Dennoch hat man immer den Eindruck, dass der Rücken nicht aufgewölbt wird, in den Piaffen, sehr präzise und taktsicher am Platz, fragt man sich, ob der Widerrist der zierlichen Reiterin entgegenkommt, so sollte es ja sein. Generöse 87,515 Prozent, Platz vier.

Isabell Werth und DSP Quantaz

Die Bonnie Tyler-Kür ist Quantaz auf den Leib geschrieben worden. Mit ihr hat es das Paar aus Rheinberg in Omaha beim Weltcupfinale aufs Podium geschafft. Ein Potpourri aus Klassikern der Britin begleitet Werth, die hier schon 14 mal den „Großen Dressurpreis“ gewonnen hat.

„Lost in France“ macht den Auftakt zu einer etwas zögerlichen Piaffe-Pirouette aus der Grußaufstellung heraus. Dann „Total eclipse oft he heart“ zu dynamischen Traversalen im versammelten Trab. Bonnie Tylers rauchiges Timbre dröhnt – per Studiosängerin nachgesungen – aus den Lautsprechern, „Holding out for a hero“. Quantaz ist gut drauf, Kürkönigin Werth auch. Schritt zeigt das Paar auf der Zirkellinie, erst versammelt, dann im starken Tempo.

Dann die wunderbare „Turn around“-Idee, die Piaffe-Pirouette, die direkt in eine Galopppirouette übergeht. „Straight from the heart“ zum starken Galopp. Elf Zweierwechsel, dann bald 15 Einerwechsel, die in einen Hüpfer nach vorn münden, ähnlich wie im Grand Prix Special. „It’s a heartache“ zu Passagen und Piaffe-Pirouetten. Das mag das Publikum, es klatscht im Takt, Quantaz scheint ein bisschen die Luft anzuhalten. Aber er zieht durch. Bis zum Schluss. 84,84 Prozent bedeuten Platz fünf in der Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen.

Frederic Wandres und Bluetooth

Frederic Wandres und der Oldenburger Bluetooth setzen auf Beats aus dem Hier und Jetzt. „Tuesday“ mit seinem klaren Technobeat zu akzentuierten Piaffen und Passagen, auch als Traversale, kadenziert, sicher in der Selbsthaltung.

Alles federt, alles sieht leicht aus. In jeder Phase.

Die Passage-Piaffe-Übergänge können es mit jedem Paar in der Weltspitze aufnehmen. Den Schritt zeigt das Paar über zwei Halbdiagonalen. Dann geht es im Galopp schmissig weiter „I am not alone“. Dann ein Klassiker des Kürreitens, wenn Pirouetten, dann Glocken. 17 schnurgerade Einerwechsel zeigen die beiden, der Schweif ruhig, die Anlehnung stabil. 84,48 Prozent, Platz sechs – und dabei ist das Programm technisch nicht einmal voll ausgereizt!

Therese Nilshagen (SWE) und Dante Weltino

„La luna“ – kalter Wind im Aachener Stadion, da passt ja etwas karibisch angehauchtes. Starker Trab mit Übergang in die Piaffe, das zeigen auch nicht so viele. Wenngleich die Piaffe nicht die beste der Lektionen des Danone-Sohns ist.

Zweierwechsel auf gebogener Linie, starker Galopp mit maximalem Risiko, danach misslingt die doppelte Pirouette, dummerweise auch noch genau vor dem Richterhäuschen bei C. Das gibt Abzüge. Aber dafür gelingt die nächste Pirouette umso besser. 84,25 Prozent – persönliches Bestergebnis, Platz sieben.

Carina Cassøe Krüth (DEN) und Heiline’s Danciera

Man nehme eine Dänin und gebe dazu ungefähr 20 gut aussehende junge Männer mit mehr oder weniger grandiosen Stimmen, die allesamt eines gemeinsam haben: Sie sind Mitglieder einer Boy Band. Let the Party begin … Carina lässt die Jungs ihre Greatest Hits singen in der Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen.

Am Anfang: Backstreet Boys, „I want it that way”, zur Passage, die die Fürstenball-Tochter wie ein Uhrwerk zeigt. Die Passage-Traversalen stimmen im Rhythmus zu 100 Prozent im Takt mit der Musik überein. In jeder Sekunde. One Direction begleiten den starken Trab mit „Story of my life“. Dann ertönt noch die Schnulzenhymne „Quit playing games (with my heart)“. Erinnerungen an eine Jugend in den 1990er-Jahren bei den Zuschauern. Vermutlich nicht in den Richterhäuschen, das fand die Jugend etwas früher statt.

Take That dürfen nicht fehlen. „Never forget, where you are coming from”, noch so eine Hymne, eher aus dem Spätwerk der Band als die meisten der Sänger schon gesetzte Familienväter waren, in der Galopptour. In dieser Phase ist Cassina Cassøe Krüth etwas vor der Musik, zeigt aber gute doppelte Pirouetten. Ein Aussetzer in den darauf folgenden Einerwechseln auf gebogener Linie. Am Ende noch einmal Backstreet Boys, „Everybody“, dazu einhändige Passage nach einer Piaffe, die etwas besser gelang als die im Grand Prix Special.  81,975 Prozent, Platz acht.

Andreas Helgstrand (DEN) und Jovian

Gleich zu Beginn Piaffen mit 30-Grad-Wendung, gestützt auf dem Vorderbein, gehüpft im Hinterbein. Die Musik ist wuchtig, das ist nicht die Kreismusikschule Vodskov, das ist ein Sinfonieorchester, das da zu Werke schreitet. In der Passage-Traversale kreuzt der Neunjährige kaum, auch die Längsbiegung ist knapp zu erkennen. Nach links ist das besser als nach rechts. Aber alles was nach vorne geht, ist Weltklasse, da kennt sich der ehemalige Jungpferdeweltmeister aus. Starker Trab, starker Galopp – wow!

Aus dem – eher mediokren – starken Schritt geht es in eine doppelte Galopppirouette und daraus in Zweierwechsel. 19 Einerwechsel auf gebogener Linie, nach einer weiteren doppelten Pirouette, in der sich der Apache-Sohn einmal kurz freimacht, folgen spiegelbildlich. Die Raumaufteilung ist gut. Der mächtige Hengst zeigt Lektionen im gesamten Viereck. Die letzte Piaffe fällt noch matter aus als die ersten. 81,67 Prozent, persönliche Bestleistung und Platz neun in der Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen.

Patrik Kittel (SWE) und Forever Young

Der Schwede Patrik Kittel hatte zum Auftakt der Kür länger geführt. 81,21 Prozent erhielt er mit Forever Young zu Stevie Wonder-Klassikern, beispielsweise „Isn’t she lovely“. Die Fürst Fugger-Tochter ging dazu gehorsam ihre Lektionen – Passage-Traversalen und Serienwechsel auf gebogenen Linien. Alles rhythmisch, alles mit hoher Kruppe. 81,210 Prozent, Platz zehn.

Die Ergebnisse der Grand Prix-Kür beim CHIO Aachen 2023 stehen hier.

 

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

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