Wer kann Kandare? Diskussion über Wahlfreiheit mit Trense, feinere Hilfen und blaue Zungen

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Kandare-Pferd-Arten

Über Kandaren wird gerade in Sozialen Medien gern diskutiert. (© www.toffi-images.de)

Kandare oder Trense? Das ist mittlerweile zu einer Glaubensfrage geworden. Selbst eine Wahlfreiheit lehnen viele ab.

Sie macht das Reiten „feiner“, sagen die Befürworter der Kandare und rümpfen beim Wort Trense die Nase. Damit liefern sie das beste Argument, denn genau das soll ja erreicht werden, feineres Reiten. Dem aggressiven Reiten ist der Kampf angesagt worden. Blaue Zungen will niemand sehen.

In der Tat hat sich das Bild auf Abreiteplätzen im Vergleich zu der Zeit vor 20 Jahren geändert. Zwar gehen dort immer noch viele, Kritiker sagen viel zu viele, Pferde eng im Hals. Aber die Zeiten, in denen auf dem Abreiteplatz das Gesetz des oder der Stärkeren galt und mit groben Schenkel- und Zügelhilfen die Pferde zusammengestaucht wurden sind vorbei. Was nicht heißt, dass auf dem Vorbereitungsplatz die Streichlerinnen das Sagen haben.

Kandare – das Ding mit der Kinnkette

Weil die Situation sich im Sinne des Pferdes verbessert hat, ist auch die Perspektive derjenigen, die dem Sport gegenüberstehen, eine andere geworden. Sie fokussiert sich auf Details. Auf entscheidende Kleinigkeiten mit großer Wirkung, beispielsweise die Kandare. Die Argumentationen sind so vielfältig wie die Lager, aus denen die kritischen Worte kommen. Einige stören sich schon an der Wortwahl. Für sie ist allein der Begriff Kinnkette Indiz genug, das mit der Kandare Dinge am Pferdekopf platziert sind – „Kette“ – die etwas mit Gewalt zu tun haben.

Kinnriemen kontrovers gesehen

Selbst der Kinnriemen, der mal Sperrriemen hieß, am Englischen Reithalfter bei Zäumung auf Wassertrense ist diesen Menschen ein Dorn im Auge. Dass beide, Kinn- bzw Sperrriemen und Kinnkette eine Funktion haben, die richtig eingesetzt dem Pferdemaul gute Dienste leisten, spielt in dieser Fraktion kaum eine Rolle. Sie träumen von der großen Freiheit, wollen so wenig Leder und Metall wie möglich am Pferdekopf. Ihr Credo: Weg mit der Kandare, her mit der Trense, oder am liebsten gleich ganz ohne Gebiss.

„Feines Reiten“ nur mit Kandare möglich, nicht mit Trense?

Kritiker argumentieren wissenschaftlich, wieder andere zitieren aus der Literatur. Wobei die klassischen Reitlehren immer von der Kandare als Zäumung des ausgebildeten Pferdes ausgehen. „Feines Reiten“ wollen alle, nur wie das aussieht, darüber herrscht Uneinigkeit. Fragt man Befürworter der Kandare, dann können die wenigsten erklären, warum das Reiten mit zwei Gebissen so viel feiner sein soll. Viele sind Könner, gehen intuitiv mit der Kandare richtig um und reiten damit tatsächlich feiner. Doch die Kandarenreife, das Reiten mit tiefer feiner Hand, die gezielt im richtigen Moment die Kandare – die niemals vorherrscht in der Hilfengebung – kurz zum Einsatz bringt, haben längst nicht alle. Das ist kein FEI-Problem, das kann man jeden Tag in der eigenen Reithalle oder auf kleineren Turnieren erleben.

Studie zu Maulverletzungen

Eine Beobachtungsstudie in Dänemark hat gezeigt, dass anhand des Öffnen des Mauls im Verlauf einer Dressurprüfung Rückschlüsse auf mögliche Maulverletzungen zulässig sein könnten. Der Studie liegt eine Intermédiaire I zugrunde, geritten auf Kandare, nicht auf Trense.

Dass ein durchhängender oder gar lose herumschaukelnder Kandarenzügel auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, hat sich auch noch nicht überall herumgesprochen. Verfechter dieser Denkweise gibt es aber auch.

Wahlfreiheit Trense/Kandare – nicht nur Fans

All dies führt dazu, dass die Diskussion um zumindest eine Wahlfreiheit zwischen Trense und Kandare auf dem Turnier nicht abreißt. Richter lehnen diese in der Mehrzahl ab, befürchten damit das in Teilen negative Image der Kandare unnötig zu befeuern. Siegen könne dann nur, wer auf Trense und damit vermeintlich pferdefreundlicher unterwegs ist. Dabei haben neben den Trainern gerade die Richter es in der Hand, in welche Hand eine Kandare gehört. Und die Stewards, die bei konsequenter Befolgung der klassischen Maximen schon eingreifen müssten, wenn der Kandarenzügel zum Stellen zum Einsatz kommt.

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Strotzen oder durchfallen

Durchfallende Kandaren sieht man immer wieder auf Turnieren, auch in ganz hochkarätig besetzten Prüfungen. Wenn die Kinnkette (zu) locker verschnallt ist, kippt das Stangengebiss im Maul nach vorne. Reiter sagen, sie hätten den Eindruck, das Pferd käme so am besten mit den zwei Gebissen im Maul zurecht. Gerade die kurzen Anzüge der „Babykandare“ verlassen schnell den idealen 45-Grad-Winkel zur Maulspalte, den das Lehrbuch fordert. Aber meistens auch nur dann, wenn das Pferd sich aufs Gebiss legt, sprich die Selbsthaltung und damit eine der entscheidenden Grundvoraussetzungen für feines Reiten nicht mehr gegeben ist. Doch immer noch bekommen Pferde, die dieses Verhalten zeigen keine Fünfen, sondern Achten für den starken Trab oder die Passage, die so gezeigt wird, Hauptsache, die Beine hochgerissen. Tatsächlich gibt es viele Aspekte, die der Richter blitzschnell zu erkennen und beurteilen hat. Wenn aber die Anlehnung dabei ins Hintertreffen gerät, entstehen die Bilder, die in sozialen Medien und nicht nur da übel aufstoßen.

Weltreiterverband (FEI) offen für Austausch über Trense oder Kandare

Die FEI weiß um die Problematik. Auf Nachfrage des St.GEORG, welche konkreten Handlungsideen hinter der eher allgemein formulierten Pressemitteilung nach der Zusammenkunft der Dressur-Interessenvertreter, stecken, wird der Verband deutlicher. Eine Sprecherin des Weltverbandes betonte: „Im FEI Equine Welfare Strategy Action Plan sind Gebisse, Kandare und Nasenriemen als Aufgaben aufgeführt, die weiterhin diskutiert werden unter Berücksichtigung aller verfügbaren Forschungsergebnisse“.

Sogar mit der Zucht will man enger zusammenarbeiten. „Die Pferde haben sich verändert“, sagen viele mit strahlenden Augen angesichts hochbeiniger, mitunter extrem elastischer Pferde, deren körperliche Verfasstheit in der Ausbildung dringend berücksichtigt sein will. In Bezug auf die Kandare sind die edlen Köpfe zum Problem geworden. Die Kiefer sind bei einigen Pferden mittlerweile so schmal geworden, dass kaum noch Platz für zwei Gebisse in der Maulhöhle ist.

Die Zukunft der Kandare?

Der Sport muss sich erklären, muss einer breiten Masse plausibel erläutern können, warum was wie gehandhabt wird. Mit weniger Bildern von offenen Mäulern könnte die Akzeptanz der Kandare wieder steigen. Erst recht, wenn der Blick auf bläuliche Zungen frei wird. Oder aber gar keine Zunge zu erkennen ist, weil diese sich hochgezogen dem Blick des Betrachters entzieht.

Sucht ein deutsches Nachrichtenmagazin nach „Kandaren-Denunzianten“?

Den Gegnern der Kombination von Stangengebiss und Unterlegtrense wird das nicht ausreichen. Auf Facebook gibt es einen Tipp, wonach angeblich ein großes deutsches Nachrichtenmagazin gezielt nach Anti-Kandaren-Stimmen sucht. Wer dazu beitragen möchte, aber seinen Namen nicht in dem wöchentlichen Magazin lesen möchte, muss nichts befürchten. Der Verfasser des Posts gibt Kontaktmöglichkeiten an, wie man die investigativ arbeitenden Journalisten erreicht. Mit genauer Gebrauchsanleitung, wie man problemlos anonym und nicht nachverfolgbar zu deren Recherche beitragen kann.

Viel Aufwand für zwei Zügelpaare und ein weiteres Indiz dafür, dass alle, die die Kandare erhalten wollen, wirklich „fein“ mit ihr umgehen sollten, in der Öffentlichkeit und zuhause.

In der November-Ausgabe des St.GEORG haben wir uns mit vielen Themen rund ums Pferdemaul beschäftigt, auch mit unterschiedlichen Studien. Hier kann man das Heft direkt bestellen.

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

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