Ein Krimi von Grand Prix Special wegen des Aussetzers von Satchmo und das Doping-Desaster der deutschen Springreiter: so war Olympia 2008 in der schwül-heißen Kronkolonie Hongkong, in der ja lediglich die Reitwettbewerbe der Olympischen Spiele ausgetragen wurden.
Glanz und Elend
Erst anderthalb Jahre vor den Olympischen Spielen in Peking hatten sich die Chinesen entschlossen, die Reitwettbewerbe in die ehemalige Kronkolonie auszulagern. Eigentlich hätte Hongkong lieber die Segelwettbewerbe gehabt, aber das ließ man sich nicht anmerken. Anders als befürchtet, war die feuchte Hitze kein Problem, weil bis auf wenige Ausnahmen, wie die Vielseitigkeitsdressur und auch die ersten Springprüfungen, alle Prüfungen abends ausgetragen wurden. Es war feucht-schwül bis in die späten Stunden, aber auf der Tribüne war es noch besser auszuhalten als im eiskalt heruntergekühlten Pressezentrum, wo ich nur dank einer am Flughafen gekauften Strickjacke überlebte.
Während der Geländeprüfung, die in einem circa 20 Kilometer entfernten „Country Club“ ausgetragen wurde, sorgte ein warmer Tropenregen für erträgliche Temperaturen. Nie war das olympische Feuer weiter weg, es gab auf der Rennbahn in Hongkong nur ein mickriges Ersatzflämmchen, aber nie waren sich die Reiter, ihre Entourage und wir Journalisten näher. Denn alle wohnten in demselben großen Hotel, zehn Busminuten vom Turnierplatz entfernt. Das „Olympische Dorf,“ normalerweise strenger gesichert als Fort Knox, bestand aus einer Etage in einem anderen Hotel. Aber da dort kein Tropfen Alkohol aufzutreiben war, zogen die meisten Reiter bald um in unsere Bleibe. Die dortige Bar war dann der Hotspot für alle Vorder- und Hintergrund-Infos. Gefeiert wurde jeden Abend, denn einer hatte ja immer gewonnen. Zum ersten Mal seit Studentenzeiten habe ich eine Nacht „durchgemacht“, wobei man sagen muss, dass es immer nach Mitternacht war, bevor die Prüfungen beendet und die Berichte abgeschickt waren. Oft gingen wir dann abends noch in eines der kleinen Restaurants rund um unser Hotel, morgens verschlief man entsprechend oft das Hotelfrühstück und gönnte sich stattdessen in den Garküchen auf der Straße einen dieser köstlichen gedämpften Klöße für umgerechnet sage und schreibe 50 Cent.
Die Revanche
Auf der Tribüne war wie immer der niederländische Fanblock in knall orange nicht zu übersehen und vor allem nicht zu überhören. Bei den Dressurprüfungen, in denen die Holländer ja gute Chancen hatten, schaute Willem Alexander vorbei, damals noch das Kronprinzenpaar, heute Königs. Und natürlich trugen sie knallorange.
Die deutschen Buschreiter eröffneten den Reigen der rauschenden Siegesparties. Gold für die deutsche Mannschaft aus Hinrich Romeike auf Marius, Frank Ostholt auf Mr. Medicott, Andreas Dibowski auf Leon, Peter Thomsen auf Ghost of Hamish und Ingrid Klimke auf Abraxas, plus zu später Stunde noch der Einzelsieg von Romeike. Als nach dem Gelände feststand, dass der Zahnarzt aus Nübbel und sein Schimmel auf Goldkurs galoppierten, wurde noch schnell ein dritter Holsteiner eingeflogen, Jörg Naeve, der vor dem Parcoursspringen – nicht Marius’ Stärke – das Coaching auf dem Abreiteplatz übernahm. Das Last-Minute-Ticket hat sich entschieden gelohnt. Es war der Höhepunkt des genialen Trainer Duos Hans Melzer und Christopher Bartle, die Stimmung im Team war wohl nie besser und Hinni verbrachte die Tage nach dem Sieg wie in Trance, wurde rumgereicht und konnte immer wieder erzählen, wie alles kam. Zu Hauses setzte er das dann noch fort und war in den nacholympischen Monaten damit beschäftigt, auf Zahnarzt- und anderen Kongressen zu erzählen, wie man Olympiasieger wird. Für ihn, aber auch für Ingrid, Frank Ostholt und Dibo war es eine Revanche für das Gold von Athen, das sie hatten abgeben müssen.
Wahre Weltklasse
So ging es leider nicht weiter. Die drei Dressurreiterinnen – Isabell Werth auf Satchmo, Heike Kemmer auf Bonaparte, Nadine Capellmann auf Elvis – konnten zwar noch über die gegen starke Holländer errungene Goldmedaille jubeln. Aber das Einzelgold, das für Isabell und Satchmo nach dem überlegenen Grand Prix quasi schon auf dem Silbertablett gelegen hatte, ging in einem dramatischen Special verloren. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, noch heute stockt mir der Atem, wenn ich dran denke. Satchmo flog übers Viereck, berührte in den Trabverstärkungen nur aus Gefälligkeit den Boden, wie es so schön heißt, geschmeidig, gehorsam, dynamisch. Auf der Tafel reihten sich Neunen an Zehnen, da würde auch keine Anky van Grunsven mehr rankommen. Und dann das Desaster. Satchmo schmiss hin, ausgerechnet in der Piaffe, machte kehrt und kroch rückwärts. Alles vorbei, dachte ich. Doch dann Isabell, sie machte die Beine zu, brachte ihr Pferd wieder vor sich und ritt weiter, als nichts geschehen. In solchen Momenten erkennt man die wahre Weltklasse. Zwar hatte sie nach Grand Prix und Special immer noch einen hauchdünnen Vorsprung vor Anky, den vergab sie allerdings in der Kür, als Satchmo das Spielchen wiederholte, in der Piaffe-Pirouette. Und alle Welt fragte sich, warum um Himmels Willen Isabell es nicht bei einer einfachen Pirouette belassen hat, das wäre vielleicht gerade noch mal gut gegangen. Anky van Grunsven fiel die Goldmedaille – ihre dritte in Folge – quasi kampflos zu. Silber blieb für Isabell, Heike Kemmer freute sich über Bronze.
Das böse Wort mit „D“
Folgenschwere Dramen spielten sich im Springreiterlager ab. Es war von Anfang an der Wurm drin. Die Pferde kamen zu früh, wurden lediglich von den Pflegern bewegt, die Reiter flogen sehr spät ein, die Stimmung war mau. Platz vier von Meredith Michaels-Beerbaum und Shutterfly im Einzelspringen war am Ende noch die beste Ausbeute. Die Mannschaft, zunächst auf enttäuschendem Platz fünf, wurde nach zwei Medikationsfällen nachträglich gesprengt. Am Morgen des Einzelspringens, wir saßen noch im Hotel-Pressezentrum, rief plötzlich ein Freund an, wir sollten ganz schnell ins Stadion kommen. Das Wort Doping fiel, FN-Pressesprecher Dennis Peiler, heute Sportchef, war nicht zu erreichen, er sei im Stall, hieß es. Wahrscheinlich bastelte er schon an einer Pressemeldung. Zu dem Zeitpunkt saß Christian Ahlmann bereits im Flieger Richtung Heimat. Bei seinem Pferd Cöster war wie bei drei anderen Pferden die im Wettkampf verbotene Substanz Capsaicin gefunden worden, enthalten in der Salbe Equiblock, mit der Verspannungen im Rücken behandelt werden können, aber auch die Haut an den Beinen sensibilisiert werden kann. Anhand der Starterliste fanden wir schnell heraus, wer fehlte. Bei einer Pressekonferenz versuchten die drei betroffenen Reiter, Christian war ja schon weg, zu erklären, wie es kam. Der Ire Denis Lynch hatte eine Dose Equiblock mitgebracht. „Fassen Sie ruhig rein“, sagte er, „brennt überhaupt nicht.“ Nein danke!
Dann gab es noch eine zweite Pressekonferenz nur für die deutschen Journalisten, möglich gemacht von unserer hochgeschätzten Kollegin Petra Schlemm, die für die Pressestelle arbeitete. Sie ging ein wirkliches Risiko ein, denn Pressekonferenzen bei Olympischen Spielen sind nach einem strengen Protokoll reglementiert, von dem abzuweichen nicht erlaubt ist. Es drängelten sich also in einem winzigen Raum die Vertreter der deutschen FN mit versteinerten Gesichtern und wir Journalisten. Die Luft war zum Schneiden und wir erhielten erste dürre Infos. Die Verfahren der FEI standen ja ohnehin noch aus.
Ein Häufchen Elend
Auf Betreiben der deutschen FN, die wiederum auf Druck des Fernsehens agierte, wurde Ahlmanns Fall vom internationalen Sportgericht CAS später als Doping hochgestuft – die drei anderen Fälle blieben – wie ursprünglich auch Ahlmann – „Verbotene Medikation“. Die Atmosphäre zwischen Ahlmann und der FN war daraufhin auf Jahre vergiftet, FN-Präsident Breido Graf zu Rantzau bezeichnete später den Gang der FN zum CAS als den größten Fehler seines Lebens. Auch Marco Kutscher wurde nachträglich disqualifiziert. Sein Hengst Cornet Obolensky bekam zwischen den beiden Nationenpreis-Umläufen ein Stärkungsmittel, was die Pflegerin ganz unauffällig in einer Handtasche transportiert hatte, wonach er kollabierte. Die gesamte deutsche Mannschaftsführung stand sich zu dem Zeitpunkt auf der Stallgasse und gab sich anschließend ahnungslos. Am Ende dieser Spiele war der deutsche Springsport ein Trümmerhaufen.Air Jordan 4 Retro Off – CV9388 – White Sail – 100 – Jordan Brand quietly slipped in a new rendition of the low-top | nike blazer mid 77 indigo dc8246 100 release date
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