In Berlin waren in den vergangenen neun Tagen rund 7.000 Athleten mit geistiger oder mehrfacher Beeinträchtigung am Start, um eine von 26 Sportarten auszuüben. Nicht weniger als zwölf Reiter gingen für Deutschland ins Rennen und konnten sich über 21 (!) Medaillen freuen. Als Botschafterin für den Reitsport überreichte Vielseitigkeitsreiterin Bettina Hoy die Medaillen und schilderte ihre Eindrücke im Interview.
Die Reitwettbewerbe gliederten sich in die vier Kategorien Dressur, Equitation (Reiterwettbewerb), Working Trail (Geschicklichkeitsreiten) und Springen. 120 Athleten aus 41 Ländern nahmen alleine an den Reitwettbewerben teil. Jeder Teilnehmer durfte dabei in drei gewählten Kategorien an den Start gehen. Unterschieden nach Möglichkeiten und Fähigkeiten bestritten die Athleten die Wettbewerbe entweder auf Level A, B oder C und in verschiedenen Abteilungen.
Schon der erste Prüfungstag der Reitwettbewerbe geriet zu einem Erfolg für das Team von Special Olympics Deutschland (SOD). Luisa Fußy, 28 Jahre und aus Nordrhein-Westfalen stammend sowie Christian Stickel, 57 Jahre aus Baden-Württemberg, nahmen beide nacheinander Platz im Sattel des Fuchswallachs USA Dr. Z. Fußy und Stickel starteten in Level C und sicherten sich in dem Wettbewerb, in dem ausschließlich Schritt zu reiten ist, Medaillen. Auf gleichem Level demonstrierte der 18-jährige Sachse Marco Sohr mit Holli, wie geschickt er den Working Trail absolvieren kann. Dafür gab es die Goldmedaille in seiner Abteilung.
Gleich zweimal Gold sicherte sich die 17-jährige Mia Wünsch aus Nordrhein-Westfalen mit dem Pferd Silva, einmal im Reiterwettbewerb und zum anderen im Geschicklichkeitsreiten. In der gleichen Abteilung des Geschicklichkeitsreitens wurde es für Alisa Hamzic (26, Baden-Württemberg) mit Neska die Bronzemedaille.
Im Schritt und Trab mussten sich die Reiter auf Level B beweisen. Hier gab es für das Team SOD gleich dreimal Gold im Dressurwettbewerb. Die Medaille sicherten sich jeweils Lisa Preiß (29, Baden-Württemberg) und Andrea Sperlich (56, Hamburg), beide auf dem Rücken von Mr. Bob sowie Markus Benter (55, Berlin) mit dem Pferd Kalle. Benter und Sperlich knüpften an ihre Leistungen im Reiterwettbewerb ideal an und sicherten sich nochmal jeweils die Goldmedaille. Aufs Podium schafften es auch die 31-jährige Lisa Thun aus Schleswig-Holstein mit Cornado und Christian Jansen, 41 Jahre aus Nordrhein-Westfalen mit Holli. Beide errangen auf Level B die Bronzemedaille.
Level A fordert die Teilnehmer in den drei Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp heraus. Behaupten konnte sich hier zunächst Cornelius Geitner, 31 Jahre aus Nordrhein-Westfalen. Mit dem Pferd Silva entschied er sich für die Disziplinen Dressur, Reiterwettbewerb und Geschicklichkeitsreiten und freute sich am Ende über zwei Bronzemedaillen. Amadeus Colsman, ein 19-jähriger bis Vielseitigkeit Klasse E im Regelsport erfolgreicher Reiter aus Nordrhein-Westfalen, heimste sogar drei Medaillen ein. Mit dem Fuchswallach USA Dr. Z gab es Gold im Reiterwettbewerb, Bronze im Geschicklichkeitsreiten und zum Abschluss nochmal Edelmetall in Form von Silber im Springen. In Summe sind das großartige Erfolge, die die deutschen Athletinnen und Athleten da erzielt haben.
Weitere Informationen zu den Teilnehmern vom Team SOD finden Sie hier.
In einem Interview mit der Deutschen Reiterlichen Vereinigung berichtet Bettina Hoy, die als Botschafterin für den Reitsport bei den Special Olympics dabei war, von ihren Eindrücken.
Wie sind Sie zu den Special Olympics World Games gekommen?
Bettina Hoy: „Ich wurde von Jens Nordlohne angesprochen, der sich sehr für die Special Olympics engagiert, und der mich gefrag hat, ob ich nicht Lust hätte dazuzukommen, als Botschafterin für die Reitwettbewerbe und um zusammen mit Frank Busemann die Medaillen zu vergeben. Ich hatte bisher wenig Kontakt zu Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, hatte aber Bilder gesehen von Amadeus Colsman, die mich sehr berührt haben. Er stammt aus einer Reiterfamilie und war schon letztes Jahr in Berlin am Start. Daher habe ich gerne zugesagt.
Wie haben Sie die Reiterspiele erlebt?
„Ich war sehr gerührt, wie behutsam die Athletinnen und Athleten mit den fremden Pferden umgegangen sind. Sie reiten ja alle auf zur Verfügung gestellten Pferden. Ich muss auch meinen Hut vor den Pferden ziehen, die dadurch, dass sie so behutsam und nett behandelt wurden, wiederum auf die Reiter aufgepasst haben. Wenn mal ein Reiter ein bisschen aus dem Gleichgewicht gekommen ist, ist das Pferd gleich in die entsprechende Richtung gegangen, als wollte es sagen: Bleib du mal schön hier, setz‘ dich wieder gerade hin, ich habe dich. Das war sehr berührend mitzuerleben. Das Schöne oder Herausragende für mich am Reitsport oder an den Pferden ist ja: Das Pferd bewertet nicht. Das Pferd behandelt dich so, wie du das Pferd behandelst.“
Wo kamen die Pferde her?
„Die kamen von überall her. Es gab vorher einen Aufruf über Social Media, wer brave Pferde zur Verfügung stellen möchte. Diesem Aufruf sind viele nachgekommen. Zwar mussten einige Pferde zwei Mal gehen, aber die Aufgaben waren sehr kurz, so dass das kein Problem war. Die Pferde, die ich gesehen habe, waren einfach toll. Sie haben das unheimlich süß gemacht, haben sich toll auf die Menschen eingestellt.“
Für jemand, der nicht dabei war: Wie kann man sich die Aufgaben vorstellen?
„Ich habe eine Dressuraufgabe gesehen, da mussten die Reiter*innen im Schritt auf Mittellinie reiten, an bestimmen Punkten antraben und anhalten. Ähnlich wie ein Dressurreiterwettbewerb. Zum Teil wurde auswendig geritten, zum Teil mit Ansage – in allen möglichen Sprachen. Die zweite Aufgabe, die ich gesehen habe, war eine Art Reiterwettbewerb, der in der Abteilung geritten wurde. Zum Schluss wurde einzeln galoppiert, dazu haben die anderen die Bahn verlassen. Wer dran war, konnte sich aussuchen, auf welcher Hand er galoppieren wollte. Er wurde ein Zirkel im Trab geritten, dann schön am Punkt bei C angaloppiert, eine Runde herum, dann Mitte der langen und kurzen Seite wieder halten. Die Pferde mussten dabei ruhig stehen bleiben und die Reiter mussten zeigen, dass sie mit ruhiger Hand reiten. Bewertet wurde auch die Hilfengebung. Wenn man das live erlebt hat, war das schon sehr beeindruckend.
Was hat Sie besonders beeindruckt?
Die pure Freude der Athletinnen und Athleten, mit dem Pferd zusammen zu sein und mit dem Pferd etwas gemeinsam zu erleben. Es ging weniger um die Leistung. Natürlich wollten sie alle alles gut machen, aber primär ging es doch darum, dabei zu sein, mit den anderen Athleten zusammen zu sein und einfach nur darum, eine Partnerschaft mit Pferd zu bilden.“
Ein wichtiges Ziel der Special Olympics World Games ist die Inklusion von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in unseren Alltag und in den Sport? Hat sich nach Ihrem Besuch in Berlin etwas an Ihrer Einstellung geändert?
„Ich hatte während meiner Zeit als Reiter am DOKR-Bundestützpunkt in Warendorf natürlich Kontakt mit unseren Top-Parareitern, aber noch nie mit Reitern mit geistiger Beeinträchtigung. Zum Nachdenken gebracht hat mich vor allem ein Satz der Schwimmerin Claudia Göbel. Sie ist Aktivensprecherin des Landesverbandes Berlin-Brandenburg und war am Abend bei einer Podiumsdiskussion dabei, an der ich auch teilgenommen habe. Sie sagte: „Nur, weil wir alles ganz langsam machen, heißt das ja nicht, dass wir doof sind.“ Bei uns muss heutzutage ja immer alles schnell, schnell gehen und wir neigen leider dazu, alles und alle schnell in irgendeine Schublade zu stecken.“
Welche Wünsche und Anregungen nehmen Sie mit aus Berlin?
„Es gibt viele Kinder mit Beeinträchtigung, die gerne Reiten lernen möchten. Aber wenn sie in einen normalen Reitverein kommen, heißt die Antwort schnell nein. Zum einen aus versicherungstechnischen Gründen, aber auch weil sich die meisten damit überfordert fühlen. Wir – dazu zähle ich mich auch – wissen nicht, wie wir mit Reitern mit Beeinträchtigung umgehen sollen, weil da einfach die Ausbildung fehlt. Wir sprechen ja viel über Inklusion. Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass man das Thema im Rahmen der Trainer-, Pferdewirt- oder Pferdewirtschaftsmeisterausbildung zumindest einmal anreißt, auf Fortbildungsmöglichkeiten hinweist. Nicht jeder kann oder will später in den Hochleistungssport und ich glaube, dass hier ein großer Bedarf besteht.“
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