Bettina Hoy hätte heute die Chance gehabt, einen weiteren Schritt in Richtung Europameister-Titel zu machen. Es wäre ihr zweiter nach 20 Jahren gewesen. Und sie hätte es so verdient gehabt! Doch es hat nicht sollen sein. Wir wollen trotzdem oder vielmehr gerade deshalb einen Blick auf die Karriere und das Leben dieser einzigartigen Kämpferin werfen.
Höhen und Tiefen waren stets Begleiter der Karriere der Bettina Hoy, geborene Overesch. Sie war die erste, die Deutschland (nach 1936) einen Einzeltitel in der Vielseitigkeit bescherte (siehe Punkt 3). Sie war auch Doppelolympiasiegerin. Doch es hängt keine olympische Goldmedaille in ihrem Trophäenschrank (siehe Punkt 4). Und als 2005 ihr Pferd Woodsides Ashby aufgrund eines Aortaabrisses auf der Strecke der Kreuther Vielseitigkeit vor ihren Augen starb, brach sie nahezu zusammen. Das war zuviel. 2006 war sie jedoch wieder da. So, wie sie immer zurückgekommen ist, auch nach der Trennung von ihrem Mann Andrew, dem australischen Olympiasieger 2011 (siehe Punkt 10). Bettina Hoy – eine Persönlichkeit. Eine, die nie aufgibt. Eine, in der ein Mark Todd schon ganz früh das entdeckte, was sie werden sollte: eine Weltklassereiterin, eine mit Charakter (siehe Punkt 2).
1. Mit Peacetime fing alles an
Peacetime hieß das erste große Erfolgspferd der Bettina Hoy, damals noch Overesch. Der Ire stand schon als Vierjähriger im Stall der Familie Overesch. Damals ritt Bettina noch im Juniorenlager auf der braven Dodo, gecoacht von Papa Eduard, einem bekannten Ausbilder und Richter. Bettina und Peacetime, sie sind zusammen groß geworden. Ihre erste gemeinsame Vielseitigkeit war übrigens früh zu Ende. Nach der ersten Grußaufstellung für die Dressur ertönte nebenan die Siegerehrungsmusik zur Ehrenrunde. Peacetime schaltete um auf Fluchtmodus und sprang dabei über den Richtertisch. Der Offizielle dahinter rettete sich mit einem Sprung zur Seite. Kurioser Auftakt einer Karriere, diee Vielseitigkeitsgeschichte geschrieben hat.
Bereits mit 19 Jahren ritt Hoy im Seniorenlager. Bei der Deutschen Meisterschaft in Achselschwang war sie als Junge Reiterin noch inoffiziell im Einsatz, belegte aber de facto Rang vier. Sie wurde für die Weltmeisterschaften 1982 in Luhmühlen nominiert – als erste Frau in einem deutschen Vielseitigkeits-Championatsteam. Das Ergebnis Platz 24 von mehr als 80 Startern.
2. Die jungen Wilden im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
1984 qualifizierte sich das Paar Overesch/Peacetime für die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles. Bettina war damals 21 Jahre jung – genau wie ihre Mannschaftskollegen Burkhardt Tesdorpf und Dietmar Hogrefe. Der „Senior“ im Team war Claus Erhorn mit 24 Jahren. Die drei haben den Golfplatz mit der olympischen Geländestrecke zum Beben gebracht – obwohl das Dressurlager nach eher mäßigen Vorstellungen meinte, die vier seien eine „nationale Schande“.
Aber damals wurden Vielseitigkeiten noch im Gelände gewonnen. Und da lag die wahre Stärke des Quartetts. Hoy: „Wir ritten nicht wie alte Herren, sondern wie Engländer!“ Die Anglo-Germanen holten Bronze. Und Mark Todd, Neuseelands Buschlegende, die damals mit Charisma die erste von zwei olympischen Goldmedaillen holte, sagte: „Die Tina reitet mit dem Können und der Courage der Engländerinnen.“ Noch Fragen?
3. Watermill Stream – Headshaker, Europameister
1993 übernahm Hoy von der Niederländerin Alice Naber-Lozeman einen Schimmel namens Watermill Stream. Mit ihm sollte sie für einen weiteren Eintrag im Geschichtsbuch der deutschen Vielseitigkeit sorgen. Zunächst gab es einige Probleme mit „Spooky“, denn der Schimmel war Headshaker. Mit viel Geduld bekam Hoy das in den Griff. 1997 nahmen die beiden an den Europameisterschaften in Burghley teil. Dafür hatte Hoy sich dressurmäßigen Rat von Klaus Balkenhol geben lassen. Der zeigte Erfolg: Spooky war in Burghley gar nicht spooky, sondern ging die Dressur seines Lebens. Naja, und im Gelände hatten die beiden nie ein Thema. Mit der Unterstützung von Ludger Beerbaum und Franke Sloothaak sprangen sie schließlich zu Einzelgold. Damit haben die beiden den ersten Nachkriegstitel in der Vielseitigkeit für Deutschland geholt. Der letzte war damals 61 Jahre her gewesen, als Ludwig Stubbendorff auf Nurmi 1936 in Berlin Olympiasieger wurde.
4. Olympiasiegerin der Herzen
Olympische Spiele 2004 in Athen, Abschlussspringen. Bettina Hoy und Ringwood Cockatoo auf dem Weg zu Gold. Nach Dressur und Gelände liegen sie vorne. Eine Nullrunde, und sie wären am Ziel aller sportlichen Träume – auf dem obersten Treppchen bei Olympia. Hoy ritt an, drehte noch eine Volte und peilte dann Hindernis Nummer eins an. Im Ziel war sie Olympiasiegerin. Und die Mannschaft auch. Eigentlich. Hoy hörte die deutsche Nationalhymne, hatte den Lorbeerkranz des Siegers auf dem Kopf.
Doch dann legte das französische Team, das Silber in der Mannschaftswertung gewonnen hatte, Protest ein. Der Vorwurf: Hoy hatte vor ihrem eigentlichen Parcoursbeginn bereits die Startlinie einmal überquert. Daraufhin wurden ihr zwölf Strafpunkte wegen Zeitüberschreitung angerechnet. Sie fiel damit in der Einzelwertung auf Rang neun zurück und die Mannschaft auf Platz vier. Keine Medaille für Deutschland.
Die deutsche Equipe legte nun ihrerseits Protest ein, denn wenn Hoy die Startlinie unbeabsichtigt überquert hatte, hätte ihr angezeigt werden müssen, dass die Uhr bereits läuft. Dann hätte sie noch eine Chance gehabt. Die Goldmedaillen wurden Deutschland – auch aus Gründen der Sportlichkeit – zurückgegeben.
Dagegen protestierten wiederum Frankreich, Großbritannien und die USA. Schließlich wurde die Entscheidung an den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) übertragen. Hier befand man, dass die Medaillen Deutschland wieder abzuerkennen seien. Begründung: FEI-Schiedsgericht, das Deutschland die Medaillen hatte zurückgeben wollen, hätte die Entscheidung der Ground Jury nicht aufheben dürfen.
Offenbar war der Weltreiterverband selbst nicht ganz glücklich mit dieser Situation, denn er bat das Internationale Olympische Komitee (IOC) um einen Kompromiss: Die Goldmedaillen sollten zweimal vergeben, aber die der Deutschen sollte nicht offiziell gewertet werden. Auch das wurde abgelehnt. Es wäre wohl auch unbefriedigend gewesen. Hoy und das Team verloren Gold wegen eines Formfehlers von beiden Seiten. Eine unsportliche Entscheidung am grünen Tisch. Zumindest das Team holte sich die olympischen Goldmedaillen 2008 und 2012 zurück. Bettina Hoy darf sich seitdem immerhin Olympiasiegerin der Herzen nennen. In einem Interview mit St.GEORG sagte sie später:
Ich fühle mich als Olympiasiegerin.
Zu recht!
5. Medaillensammlerin
Bettina Hoys Medaillensammlung kann sich sehen lassen. Viermal wurde sie Deutsche Meisterin, 2002, 2004, 2006 und dann wieder 2017. Zweimal holte sie Bronze. Bei Europameisterschaften gab es neben dem Titel mit Watermill Stream zweimal Bronze, jeweils mit Ringwood Cockatoo, 2005 in der Mannschafts- und 2007 in der Einzelwertung. Dazwischen holten Hoy und der Schimmel Gold mit dem Team bei den Weltreiterspielen in Aachen. Eine Bronzemedaille in der Mannschaft hatte es schon bei den Weltreiterspielen 1994 in Den Haag gegeben, damals noch auf Watermill Stream. Dreimal nahm Bettina Hoy an Olympischen Sommerspielen teil, holte 1984 mit Peacetime Bronze mit dem Team und eigentlich 2004 Doppelgold in Athen auf Ringwood Cockatoo siehe oben.
6. Dressur-Queen
Keiner kann’s im Viereck wie Bettina! Erst in Strzegom hat sie mal wieder eine Duftmarke gesetzt mit ihrer 24,60 Minuspunkte-Runde auf Seigneur Medicott. Das ist ein persönlicher Rekord für dieses Paar. Allerdings kein persönlicher Rekord von Hoy. Ihr bislang bestes Ergebnis waren 20,8 Minuspunkte mit Woodsides Ashby bei den Weltreiterspielen 2002 in Jerez de la Frontera. Ein Jahr später kam sie – ebenfalls mit Woodsides Ashby – mit einer 22,2 aus dem Viereck des CCI3* in Luhmühlen.
7. Trainerin in Orange
Bettina Hoy hat dieses Jahr Martin Lips als Nationaltrainerin der niederländischen Vielseitigkeitsreiter abgelöst. Als Trainerin hat sie beinahe ebenso viel Erfahrung wie im Sattel. Unter anderem bereitete sie den Russen Alexander Markov auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio vor. Ob der überhaupt bei Olympia würde starten dürfen, stand im Vorfeld der Spiele in den Sternen angesichts der damaligen Dopingdiskussion um russische Sportler. Schlussendlich konnte er reiten. Seine Trainerin fand das nur richtig, denn: „Er tut ja keinem weh.“
Nachdem Hollands Buschreiter unter Martin Lips sensationell Bronze bei den Weltreiterspielen gewonnen hatten, soll Hoy nun nachlegen. Ziel: Tokio 2020. Bis dahin will sie die Kaderreiter „auf das gleiche Niveau brigen wie die Dressur- und Springreiter, mit ähnlichen Erfolgen“. So formulierte sie es zum Antritt ihrer neuen Tätigkeit. Die EM in Strzegom sei eine „gute Gelegenheit zur Bestandsaufnahme“.
8. Was wird aus Micky?
Von sechs Drei-Sterne-Prüfungen seit knapp einem Jahr hat Bettina Hoys elfjähriger Seigneur Medicott v. Seigneur d’Alleray xx fünf gewonnen. Wie lange Hoy „Micky“ weiterreiten kann, ist allerdings seit geraumer Zeit ein heißes Thema. Der Besitzer, Gerd-Herrmann Horst, will ihn eigentlich verkaufen. Hoy hofft auf die Hilfe von Sponsoren, damit sie und Micky ein Paar bleiben können. Vielleicht sollte sie eine Spendenaktion initiieren, wie der Ire Jonty Evans es erfolgreich vorgemacht hat, um sein Olympiapferd Cooley Rorkes Drift behalten zu können.
9. Mrs. (Ex)Hoy
Ihren Nachnamen verdankt Bettina Hoy der Ehe mit dem australischen Olympiasieger Andrew Hoy. Mit dem lebte sie zusammen in England, in Gatcombe Park, sozusagen Tür an Tür mit der britischen Prinzessin Anne. Gefunkt hatte es zwischen den beiden schon 1997. Damals hieß Bettina Hoy noch Bettina Overesch-Böker und war verheiratet. Für Hoy hat sie in Deutschland alles stehen und liegen gelassen und ist nach England gezogen. Jahrelang galten die beiden als das Traumpaar schlechthin. 2011 haben sie sich getrennt.
10. Familienmensch
Neben ihrer eigenen Karriere, dem Training ihrer Pferde und der Aufgabe als Trainerin der Niederlande, kümmert sich Bettina Hoy zudem um ihre Eltern. Sie lebt bei ihnen in Rheine und nimmt die tägliche Autofahrten nach Warendorf und zurück auf sich, um abends wieder zu Hause zu sein. Bettina ist froh, ihren Eltern etwas zurückgeben zu können. Im Interview mit der FAZ sagte sie, Turniere seien für sie Entspannung pur. Da habe sie den Kopf frei von der Sorge um den an Demenz erkrankten Vater und könne erholsam schlafen, ohne ständig wachsam zu sein. Wenn sie unterwegs ist, springt ihr Bruder ein und kümmert sich. Man hilft sich.
Heute hatte es nicht sollen sein für Bettina Hoy und Seigneur Medicott. Aber Hoy sagte schon bevor sie heute ins Gelände ritt: Ich bin alles geritten und muss niemandem mehr etwas beweisen, am wenigsten mir selbst.
PS: Und wenn Bettina Hoy doch mal alles zu viel wird, dann taucht sie eben ab. Buchstäblich.
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